Immer weniger Niedersachsen müssen ins Gefängnis: Die Zahl der Verurteilungen ist weiterhin stark rückläufig und im Zehn-Jahres-Vergleich um fast ein Fünftel gesunken. Die Corona-Pandemie hat insbesondere die Alltagskriminalität erheblich gedämpft. Der Abwärtstrend ist aber nicht in allen Bereichen der Kriminalität zu beobachten, einige Delikte führen immer häufiger zu Verurteilungen. „Diese falsche Entwicklung in unserer Gesellschaft beobachten wir insbesondere bei der Verbreitung von Kinderpornographie, Beleidigungen, Gewalt gegenüber Amtsträgern und auch illegalen Autorennen. Hierauf werden wir sehr gezielt reagieren“, sagte Justizministerin Barbara Havliza gestern bei der Vorstellung der Strafverfolgungsstatistik 2021 in Hannover.

KI soll Ermittlern helfen: Insgesamt 297 Männer sind im vergangenen Jahr wegen Verbreitung, Erwerb oder Besitz von kinderpornographischen Schriften in Niedersachsen verurteilt worden – doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren. „Die immer einfachere Verbreitung von Kinderpornographie ist eine der dunkelsten Kehrseiten der Digitalisierung“, beklagte Havliza und sagte einen weiteren Anstieg der Strafverfahren in diesem Bereich voraus. Doch darauf will die Landesregierung entsprechend reagieren und Polizei sowie Justiz noch besser aufstellen. Außerdem soll die Technik künftig eine noch größere Rolle spielen. „Die Künstliche Intelligenz wird uns gerade in der Vorauswahl der Bilder helfen können“, sagte die CDU-Politikerin. Durch ein neues KI-System, an dem gerade mit Hochdruck gearbeitet werde, erhofft sich die Justizministerin auch eine Entlastung der Ermittler, die das kinderpornographische Material sichten müssen. „Diese Grausamkeiten und die leeren, verzweifelten Kindergesichter hält man auf Dauer einfach nicht aus. Das ist quälend und auch etwas, das man nicht einfach ablegt, wenn man das Büro verlässt“, schilderte Havliza. Die Kinderporno-Ermittler sollen deswegen auch durch Personalaufstockung entlastet werden. Zudem versprach Havliza eine weiterhin konsequente Strafverfolgung. „Hinter jedem Bild steckt auch immer ein Missbrauch, der konkret stattgefunden hat. Das muss uns immer klar sein.“
„Kriminalität ist männlich“: Unter den Verurteilten hat der Männeranteil im vergangenen Jahr noch einmal leicht zugenommen. Von den 62.474 Straftätern waren nur noch 17,5 Prozent weiblich. Vor allem bei den Gewaltdelikten zeigt sich für Thomas Hackner, Abteilungsleiter für Straf- und Strafprozessrecht im Justizministerium, ganz deutlich: „Kriminalität ist männlich.“ Der Anteil der Nichtdeutschen und Staatenlosen unter den Verurteilten ist von 30,4 auf 31,6 Prozent gestiegen. Vor zehn Jahren lag dieser Wert noch bei 16,6 Prozent. „Es liegt nicht fern, dass sich die Migrationsbewegungen der vergangenen Jahre hier widerspiegeln“, sagte Havliza. Ob auch der Anstieg der Sexualstraftaten einen Zusammenhang mit dem Zuzug vieler alleinstehender junger Männer infolge der Flüchtlingswelle 2015 zusammenhängt, ist unklar. „Eine Kausalität könnte nur die wissenschaftliche Begleitforschung untersuchen – und das ist extrem aufwendig“, sagt der frühere Staatsanwalt. Mit Sicherheit kann Hackner aber sagen: „Sexuelle Gewalt hat eine gewisse Enttabuisierung im Anzeigeverhalten erfahren.“ Seit der Umsetzung der Istanbul-Konvention im Sexualstrafrecht im Jahr 2016 („Nein heißt Nein“) wurden auch in Niedersachsen deutlich mehr Straftäter verurteilt. Die Zahl der Verurteilungen infolge von Delikten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist von 658 (2016) auf 914 (2021) kontinuierlich gestiegen. Bei den Vergewaltigungen gibt es zwar auch einen neuen Höchststand mit 67 Verurteilungen (darunter eine Frau), hier sind seit 2011 aber größere Schwankungen zu beobachten. 2021 wurden auch so viele Stalker wie noch nie in Niedersachsen verurteilt: 48 Männer und 6 Frauen. „Es ist davon auszugehen, dass es deutlich mehr werden“, sagt Hackner und verweist auf eine Gesetzesänderung von Oktober 2020. Dadurch sei die Nachstellung zum Offizialdelikt geworden, das von Amts wegen verfolgt wird, und künftig vor Gericht auch leichter nachzuweisen ist.

Sitten werden rauer: Während Körperverletzungen, Diebstähle, Einbrüche und Betrugsfälle weniger werden, gibt es immer mehr Beleidigungen und Angriffe auf Vollstreckungsbeamte in Niedersachsen. „Die Sitten sind einfach rauer geworden. Die Menschen werden unfreundlicher – und sie werden es vor allem dann, wenn sie sich in der vermeintlichen Anonymität des Internets befinden“, sagte Hackner. Wegen tätlicher Angriffe auf Vollstreckungsbeamte wurden im vergangenen Jahr insgesamt 701 Männer und Frauen in Niedersachsen verurteilt, 2018 waren es noch 234 Verurteilungen. Die Generalstaatsanwaltschaften hätten sich dabei auf Bitten des Justizministeriums eine einheitliche, harte Linie verständigt: Bei Übergriffen auf Amtsträger komme es in der Regel immer zu einer Anklage oder einem Strafbefehl. Laut Havliza werden diese Verfahren nur noch in besonderen Fällen eingestellt. „Es kann nicht sein, dass sich Menschen im ehrenamtlichen Bereich nicht mehr engagieren, weil sie Angst vor Übergriffen haben müssen. Das ist ein Angriff auf unsere Demokratie“, sagte die Ministerin.
Autorennen immer häufiger: Trotz „Corona-Delle“ ist die Zahl der Straftaten im Straßenverkehr kaum gesunken. „Das ist immer noch überraschend viel“, kommentierte Hackner die 15.074 Verurteilungen (minus 580 im Vergleich zum Vorjahr). Bedenklich findet er auch den Anstieg bei verbotenen Kraftfahrzeugrennen. Seit der Einführung des Straftatbestands im Herbst 2017 stieg die Zahl der Verurteilungen von zunächst 6 (2018) auf 86 (2021). „Das ist zwar ein Kontrolldelikt, aber die Polizei hat das sehr auf dem Schirm“, lobte Hackner. Die hohe Zahl der Verurteilungen erklärte er auch damit, dass der Tatbestand sehr weit gefasst sei. An einem illegalen Autorennen seien auch „Alleinraser“ beteiligt, sofern sie nur rücksichtslos die höchstmögliche Geschwindigkeit fahren. „Dieses Imponiergehabe finden wir vor allem im Bereich von jungen, männlichen Clanmitgliedern“, sagte Hackner. Unter den bislang 160 Straftätern, die in Niedersachsen wegen des „Raser-Paragrafen“ verurteilt wurden, befinden sich nur drei Frauen.