16. Nov. 2023 · 
Wirtschaft

KI-Experten fordern: „Künstliche Intelligenz muss zur Chefsache in Unternehmen werden“

Der Chip-Entwickler Nvidia ist hierzulande vor allem als Hersteller von Grafikkarten für PCs und Spielekonsolen bekannt. Doch beim sechstwertvollsten Unternehmen der Welt geht es schon längst nicht mehr nur darum, möglichst schnell möglichst viele Pixel auf den Bildschirm zu bringen. Die Grafikprozessoren des US-Unternehmens sind inzwischen auch die Grundlage für die neue Generation von Künstlicher Intelligenz (KI). „Die Architektur der Grafikprozessoren hat dazu geführt, dass Anwendungen im Bereich der KI ideal auf diesen Systemen wiederzugeben sind“, erklärte Ludwig von Reiche, Deutschland-Chef von Nvidia, am Donnerstag beim Industriekongress „Industrie Digital“ in Hannover. Obwohl das Deutsche Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz (DFKI) seit 35 Jahren an dem Thema forscht, sei KI doch erst seit einem Dreivierteljahr in aller Munde. Grund dafür ist der Chatbot ChatGPT, der nach Ansicht vieler Branchenbeobachter zu einem „iPhone-Moment“ und einer Revolution in der KI geführt hat.

Wirtschaftsminister Olaf Lies (von links), Niedersachsen-Metall-Chef Volker Schmidt und Nvidia-Germany-CEO Ludwig von Reiche sprechen in Hannover über Künstliche Intelligenz. | Foto: Axel Herzig

Das Prinzip hinter ChatGPT sei eigentlich gar nicht so neu. „Es hat jedoch ein bisschen gedauert, bis die Systeme, auf denen so etwas geleistet wird, so schnell geworden sind, dass sie die nötigen Datenströme aufnehmen können“, sagte von Reiche. Seitdem sei die Künstliche Intelligenz in allen Bereichen auf dem Vormarsch. „Bei uns arbeiten inzwischen mehr Mitarbeiter in der Software- als in der Hardware-Entwicklung, auch wenn wir mit letzterem hauptsächlich unser Geld verdienen“, verriet der Nvidia-Germany-CEO, dessen Mutterkonzern weltweit etwa 27.000 Angestellte beschäftigt und einen Jahresumsatz von 27 Milliarden US-Dollar macht.

„Künstliche Intelligenz spielt eine Schlüsselrolle als Treiber der Wettbewerbsfähigkeit", sagt Ludwig von Reiche, Geschäftsführer von Nvidia in Deutschland. | Foto: Axel Herzig

Den niedersächsischen Betrieben und Unternehmen aller Größen und Branchen rät von Reiche dringend, sich dem Einsatz von KI zu öffnen. Dafür seien nicht einmal große Investitionen nötig. „Die Technologien dafür kann man sich mittlerweile bei den großen Cloud-Anbietern minutenweise mieten“, sagte der Diplom-Volkswirt und verortet das größte Hindernis für die KI-Anwendung in den Betrieben im fehlenden Knowhow. „Der Kompetenzaufbau sollte deswegen eher der Intelligenz als der Hardware dienen“, so der Nvidia-Manager.

Niedersachsen-Metall-Hauptgeschäftsführer Volker Schmidt sieht durch den KI-Einsatz ebenfalls „gewaltige Chancen“ für die Wirtschaft. „Der Standort Deutschland ist aktuell nur noch bedingt wettbewerbsfähig. Wir sind ein Land mit abnehmendem Potentialwachstum, demografischen Verwerfungen und nachhaltiger Investitionsschwäche“, analysierte Schmidt. Künstliche Intelligenz könne darauf nicht nur eine Antwort bieten, sondern sogar einen „Gamechanger“ darstellen. Deutschland müsse sich auf den KI-Gebrauch sowohl gesellschaftlich als auch politisch einstellen, wenn es den Anschluss an den Weltmarkt nicht verlieren wolle.

"Wir müssen uns darüber im Klaren sein, dass KI auch weitreichende ökonomische Konsequenzen hat: für Produktion, für technischen Fortschritt, für den Arbeitsmarkt, für die gesamte Volkswirtschaft", sagt Volker Schmidt (Mitte), Hauptgeschäftsführer von Niedersachsen-Metall. | Foto: Axel Herzig

„Natürlich wird KI nicht sämtliche heutige Arbeitsplätze ersetzen, aber werden künftige Arbeitsplätze überhaupt noch ohne KI auskommen? Ich glaube nicht“, sagte Schmidt. Er warnte aber auch vor den Gefahren der Technologie, die ein zweischneidiges Schwert darstelle. „Es gibt heute schon Leute im Netz, die versuchen, KI zu missbrauchen. Es ist erkennbar, dass bei künftigen Wahlen eine Welle von Fake-News auf die Menschen herunterbricht.“

„Es hat wohl auch etwas mit niedersächsischer Kultur zu tun, dass man solche Sachen durchaus kritisch angeht“, kommentierte von Reiche. Die Sorgen des Niedersachsen-Metall-Chefs seien aber durchaus begründet, denn der Künstlichen Intelligenz dürfe man nur bedingt vertrauen. KI biete auch Nährboden für Fake-News, Datenmissbrauch oder Urheberrechtsverletzungen. „Eine richtige Regulierung der Künstlichen Intelligenz ist eine wichtige Voraussetzung für deren Akzeptanz“, sagte der Digitalisierungsexperte. Dass die Europäische Union ein KI-Gesetz vorbereitet, sieht er deswegen positiv. Das Gesetzgebungsverfahren müsse nun aber schnell abgeschlossen werden und dürfe sich nicht über Jahre hinziehen.

„Entscheidend ist, die politischen Rahmenbedingungen mit Blick auf Datenschutz und Ethik aktiv zu gestalten, ohne dabei die Entwicklung von Innovationen in Wissenschaft und Wirtschaft auszubremsen“, sagte Niedersachsens Wirtschaftsminister Olaf Lies. Auch er sieht in der KI riesige Chancen für den Standort. „Egal ob Energiewende, Dekarbonisierung oder Demografie – der Kern aller Lösungen ist die Digitalisierung. Das müssen wir in den Mittelpunkt stellen“, sagte Lies. Heute gehe es zudem nicht mehr darum, ob durch die Digitalisierung Arbeitsplätze wegrationalisiert werden. „Digitalisierung macht es möglich, dass der Arbeitsplatz, der nicht mehr besetzt werden kann, überhaupt noch gefüllt wird“, betonte der Wirtschaftsminister.

„KI wird nicht nur den Standort Niedersachsen nachhaltig verändern, sondern auch die Art, wie wir denken, arbeiten und miteinander umgehen", prophezeit Wirtschaftsminister Olaf Lies. | Foto: Axel Herzig

„Automatisierung heißt nicht: Ich entlasse Leute, sondern: Ich ersetze Leute, die nicht da sind“, bestätigte Florian Remark, Geschäftsführer der Beratungsfirma „Strategion“ aus Osnabrück. Für den Digitalisierungsexperten führt auch aus Effizienzgründen zukünftig kein Weg mehr an KI vorbei. „Durch den KI-Einsatz sehe ich ganz viele Möglichkeiten, die Effizienz in den Verwaltungen zu steigern. Solche Anwendungen bringen ein Unternehmen immens voran. Man wird heute keinen Menschen mehr finden, der von Hand webt, nachdem der Webstuhl erfunden wurde, und ähnliches sehen wir jetzt auch in den kreativen Bereichen“, sagte Remark.

„Nichts ist schlimmer als angefangene Digitalisierungsprojekte, die auf halber Strecke liegen bleiben. So verhindern wir Innovation“, sagt Florian Remark, CEO der Strategion GmbH aus Osnabrück. | Foto: Axel Herzig

Im Bereich der Digitalisierung hätten die kleineren und mittleren Betriebe grundsätzlich Aufholbedarf.  „Wir haben gerade in Niedersachsen viele Unternehmen, die sich in ihrer Nische etabliert haben, aber jetzt merken, dass Firmen aus anderen Ländern aufholen. Und auf einmal ist das Differenzierungsmerkmal nicht mehr das Spaltmaß, sondern die dazugehörige Software.“ Auch die deutschen Industrieunternehmen müssten sich vom reinen Produkt- zum Produkt- und Servicelieferanten weiterentwickeln. Das dazugehörige Bewusstsein sei aber noch nicht überall durchgesetzt. „Das Thema KI sollte kein Innovationsthema mehr sein, sondern ein zentrales Unternehmensthema“, forderte Remark.

„Wir müssen es schaffen, dass KI Vorstandsthema ist. Wenn ich einen Wettbewerbsvorteil haben will, muss ich das Thema strategisch behandeln“, bekräftigte auch Jan Heinrich Beinke, der beim Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz an der Schnittstelle zwischen Technologie, Innovation und Geschäftsmodellen sitzt. Einen Masterplan zum Umgang mit KI im Betrieb hätten allerdings bisher nur die wenigsten Unternehmen.

„Wir müssen es schaffen, dass KI ein Vorstandsthema ist", sagt Jan Heinrich Beinke vom Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz. | Foto: Axel Herzig

Aus der Sicht von Beinke verschenken die Firmen damit nicht nur Effizienz, sondern stehen sich dabei auch bei der Nachwuchsgewinnung selbst im Weg. „Wenn ich als Unternehmen auf den Einsatz von KI verzichte, bin ich dadurch auch weniger attraktiv für junge Mitarbeiter“, sagte der DFKI-Experte. Ausdrücklich warnte er die Unternehmer davor, den Einsatz von Künstlicher Intelligenz im Betrieb sogar zu verbieten. Beinke: „Dann entwickelt sich eine Schatten-KI.“


Dieser Artikel erschien am 17.11.2023 in Ausgabe #200.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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