Die monate-, ja jahrelangen Versuche der Großen Koalition im Landtag, sich einig zu werden über eine Reform der Landtagswahlkreise, zeigen jetzt Früchte: SPD und CDU haben eine Verständigung auf ein Modell erzielt und dieses jetzt an das Innenministerium zur Prüfung weitergeleitet. Wenn der Landtag darüber abschließend entscheidet, was für Mitte Dezember vorgesehen ist, dürften die Vorbereitungen der Parteien auf den Wahlkampf vor der Landtagswahl am 9. Oktober 2022 von erheblich mehr Sicherheit begleitet sein.

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Würde nämlich eine Reform ausbleiben, so könnte das Ergebnis der Landtagswahl später erfolgversprechend angefochten werden. Der Grund liegt in den Disparitäten der Wahlkreise, die wiederum Ausfluss der ungleichen Bevölkerungsentwicklung in Niedersachsen sind. Weil im Norden immer mehr Menschen wohnen, im Süden immer weniger, gerät die geforderte gleichmäßige Verteilung der Einwohner in den Wahlkreisen ins Schwanken: Der bisherige Wahlkreis 49 (Lüneburg) liegt mehr als 25 Prozent über dem Durchschnitt der Wahlkreis-Einwohnerzahl, ebenso der Wahlkreis 60 (Osterholz). Der Wahlkreis 19 (Einbeck) unterschreitet den Durchschnittswert um mehr als 25 Prozent. Laut Gesetz sind aber Abweichungen von mehr als 25 Prozent unzulässig – damit ist das momentane Wahlrecht verfassungswidrig. Deshalb soll nun im Norden ein neuer Wahlkreis entstehen, im Süden dafür einer wegfallen.

Lüneburg bekommt zweiten Wahlkreis: Ilmenau kehrt von Uelzen zurück

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Die von SPD und CDU vereinbarte Korrektur sieht vor, dass in Lüneburg ein zweiter Wahlkreis geschaffen wird. Der bisherige Wahlkreis 49 (Lüneburg-Stadt) gibt Amelinghausen, Bardowick und Gellersen an den neuen Wahlkreis Lüneburg II ab, dieser neue Wahlkreis erhält außerdem vom Wahlkreis 48 (Lüneburg-Lüchow-Dannenberg) noch die Samtgemeinde Scharnebeck, vom Wahlkreis 47 (Uelzen) die Samtgemeinde Ilmenau. Das zum Landkreis Lüneburg zählende Ilmenau kehrt damit, was die Wahlkreis-Zuständigkeit angeht, von Uelzen nach Lüneburg zurück. Der bisherige Wahlkreis 49 erhält neben der Stadt Lüneburg noch vom Wahlkreis 48 die Samtgemeinde Ostheide und die Gemeinde Adendorf. Damit ist die Wunsch-Konstellation der Lüneburger erreicht. Weiter westlich gibt der Wahlkreis 60 (Osterholz) die Gemeinden Ottersberg und Oyten an den Wahlkreis 53 (Rotenburg) ab. Beide gehören zum Kreis Verden.

Noch größer sind die Veränderungen im Süden, wo der bisherige Wahlkreis 13 (Seesen) aufgelöst wird. Die Stadt Seesen, die zum Kreis Goslar gehört, wird künftig an den Wahlkreis Einbeck, der von Gemeinden des Kreises Northeim geprägt wird, angegliedert. Auch der Flecken Adelebsen (Kreis Göttingen) kommt zum Wahlkreis Einbeck. Dies ist auch Zweck der Übung gewesen, weil der Wahlkreis 19 (Einbeck) bisher zu wenige Einwohner hatte. Die Gemeinden Braunlage und Clausthal-Zellerfeld, die beide zum Landkreis Goslar und bisher zum Wahlkreis Seesen zählten, wandern zum Wahlkreis 12 (Göttingen-Harz), der wiederum schwerpunktmäßig zum Landkreis Göttingen gehört. Bad Harzburg wechselt zum Wahlkreis 14 (Goslar). 

Neueinteilung ist eventuell problematisch für Seesener oder Adelebser

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Für wen ist diese Neueinteilung problematisch? Wenn in einer Partei ein Bewerber für ein Direktmandat im Wahlkreis 19 (Einbeck) antreten will, der in Seesen (Landkreis Goslar) oder in Adelebsen (Landkreis Göttingen) wohnt, so hat er es in der Delegiertenversammlung seiner Partei vermutlich mit einer Übermacht von Vertretern aus Gemeinden des Landkreises Northeim zu tun. Das würde seine Chancen schmälern. Grundsätzlich könnten sich zudem die Seesener oder Adelebser benachteiligt fühlen, da ihr Wahlkreisabgeordneter seinen Schwerpunkt in Einbeck und den umliegenden Gemeinden des Kreises Northeim haben dürfte. Daraus kann die Befürchtung entstehen, beim zuständigen Wahlkreisabgeordneten nur die zweite Geige zu spielen. Das gilt auch für die Braunlager und Clausthal-Zellerfelder, die nun zum Wahlkreis 12 kommen, der eindeutig auf Göttingen fixiert ist und nicht auf Goslar, dem natürlichen Bezugspunkt für die beiden Harzgemeinden. Zwar gehört alles zum Harz, aber die Entfernungen sind – nicht nur räumlich – beträchtlich. Gegen solche Ängste und Befürchtungen sind die Neuzuschnitte im Norden, vor allem der in Lüneburg, kaum Grund für Ärgernisse.