9. Okt. 2022 · 
Kommentar

Kommentar: Weils dritte und letzte Amtszeit wird die schwierigste

Foto: Stephan Guthahn

Alles spricht dafür, dass Niedersachsen in den kommenden fünf Jahren von einem rot-grünen Bündnis regiert wird. Doch obwohl die Wähler und beide Parteien diese Koalition wollen, ist kein lockerer Durchmarsch zu erwarten. Die letzte Amtszeit von Stephan Weil wird für ihn wohl auch die härteste. Das liegt an externen Herausforderungen, aber auch an neuen Bedingungen im Inneren.

Jemand muss den Rotstift ansetzen:

Der Staat ist in der Krise nun erneut gefragt, viel Geld auszugeben. Das hat er ja, getragen von einer breiten Mehrheit im Parlament, bereits in der Corona-Pandemie getan, um die Wirtschaft zu stützen. Und nun müssen neben der Wirtschaft auch die privaten Haushalte entlastet werden, damit die Kosten für Energie die Menschen nicht in die Armut treiben. Dieser Sichtweise stimmen auch konservative Ökonomen zu – dennoch muss strikte Haushaltsdisziplin gewahrt werden. Das Geld, das vom Staat ausgegeben wird, muss auch irgendwo herkommen. Zudem wird es die Aufgabe der nächsten Landesregierung sein, das Corona-Sondervermögen zurückzuzahlen.



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Unbenommen der Notwendigkeit der nun anstehenden Entlastungszahlungen müssen die nächste Regierung und die sie tragende Mehrheit im Parlament also sehr genau schauen, wofür sie sonst noch Geld ausgeben können und wollen. Das Land muss die eigenen Auf- und Ausgaben kritisch beleuchten und den symbolischen Rotstift ansetzen. Das wird wehtun, und das ist etwas, das Rot-Grün traditionell nicht besonders liegt – nicht zuletzt, weil sich ihre gemeinsame Wählerklientel zu einem nicht geringen Teil in der öffentlichen Verwaltung findet. Die Mehrheit, die Rot-Grün im Parlament nun bilden wird, ist voraussichtlich keine allzu große. Um die Schuldenbremse anzutasten, wird sie jedenfalls nicht ausreichen.

Gräben müssen überwunden werden:

Ein weithin anerkanntes Erfolgsmodell der vergangenen Legislaturperiode war der sogenannte „niedersächsische Weg“ in der Landwirtschafts- und Umweltpolitik. Anstatt dass die beiden Ressorts und die dazugehörigen Verbände stets nur im eigenen Saft kochen und gegeneinander arbeiten, hat man die tiefen Gräben mit viel Mühe zugeschüttet und versucht, die widerstreitenden Positionen zu versöhnen. Längst gilt dieses Modell in vielen Bereichen als Vorbild, auch Weil selbst hat sich öffentlich gewünscht, diesen Politikstil fortzusetzen und auszubauen. Anders sehen das aber die Grünen.


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Ein rot-grünes Bündnis könnte nun allerdings zur Folge haben, dass sich die Grünen wieder weitgehend allein um Umwelt und Landwirtschaft kümmern könnten – ein lagerübergreifender Dialog würde vermutlich ausbleiben, auch weil die SPD eigentlich gar kein so großes Interesse an diesen Politikfeldern zeigt. Was aber passiert, wenn in einer angespannten Lage eine zu rigorose Politik weitere Belastungen statt Perspektiven schafft, haben die eskalierenden Bauernproteste in den Niederlanden gezeigt.

Koch und Kellner war einmal:

Rot-Grün im Jahr 2022 wird voraussichtlich ein anderes Bündnis sein, als es das von 2013 bis 2017 gewesen ist. Damals waren die Kräfteverhältnisse anders gelagert und fielen deutlich zugunsten der SPD aus. Das Verhältnis der beiden Parteien wurde (wie auch bei den rot-grünen Bundesregierungen) gerne mit dem Arbeitsverhältnis von „Koch und Kellner“ verglichen.



Das dürfte sich nun ändern, da die Grünen, wenn auch nicht so stark wie erwartet, zugelegt haben. Schaut man sich die Zuwächse an, konnten ohnehin nur Grüne und AfD ihre Position ausbauen. Die SPD hat im Vergleich zur vergangenen Landtagswahl an Zustimmung verloren. Das wird nun dazu führen, dass Julia Hamburg und auch Christian Meyer sehr viel selbstbewusster auftreten werden, wenn die Ressorts verteilt werden und wenn künftig am Kabinettstisch debattiert wird.

Die SPD ruft nach Erneuerung:

Stephan Weil hat diese Landtagswahl als beschützender Landesvater und ruhiger Verwalter gewonnen. In der Krise war das offenbar genau das, was die Wähler wollten. Doch ab jetzt werden mit jedem Tag auch in der SPD die Rufe nach Erneuerung ein kleines bisschen lauter werden. Mit Weils Wahlsieg ist zugleich der Gipfelpunkt seiner Macht erreicht, von heute an beginnt die Debatte über seine Nachfolge – ob er es will oder nicht. Noch stehen wir am Anfang einer neuen Legislaturperiode, doch mit jedem Tag, mit dem die nächste Wahl näher rückt, schwindet Weils Macht.

Womöglich plant die SPD ohnehin insgeheim schon den Machtwechsel zur Hälfte der Zeit. Olaf Lies stünde jederzeit bereit, und auch Daniela Behrens gilt als geeignete Nachfolgerin. Ob Weil einen von beiden als Nachfolger aufbauen will? Bisher hüllt er sich in Schweigen. Was Weil selbst als Ministerpräsident noch umsetzen will, sollte er also zügig angehen.

Dieser Artikel erschien am 10.10.2022 in Ausgabe #177.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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