Die Nachricht erreichte die Öffentlichkeit auf ungewöhnlichem Wege: Nicht das Sozialministerium, das für die Verbreitung zuständig ist, sondern der SPD-Sozialexperte Uwe Schwarz teilte am Mittag als erster mit, dass an diesem Mittwoch die Befragung der Pflegekräfte zur niedersächsischen Pflegekammer beginnen soll. Bis zum 5. Juli können sich die rund 80.000 Pflegekräfte, die zur Mitgliedschaft in der Kammer verpflichtet wurden, nun mit den insgesamt zwölf Frageblöcken befassen.


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Ursprünglich sollte die Befragung schon im März beginnen, war aber aufgrund der Corona-Krise auf unbestimmte Zeit verschoben worden. Gut anderthalb Stunden nach Schwarz‘ Pressemitteilung verschickte dann auch das Sozialministerium eine Information, dass es nun losgehen soll.  „Mit der Mitgliederbefragung wollen wir den politischen Dauerkonflikt um die Pflegekammer in Niedersachsen endlich beenden“, teilte Sozialministerin Carola Reimann mit. Die Pflegekräfte könnten nun selbst entscheiden, ob sie die beitragsfreie Kammer zur Vertretung ihrer berufsständischen Interessen wollten. „Das Ergebnis dieses Teils der Befragung wird von der Landesregierung als politisch bindend betrachtet“, so Reimann.

FDP-Sozialpolitikerin spricht von „irreführender Befragung

Der „politische Dauerkonflikt“ nimmt nun zu Beginn der Befragung allerdings wieder Fahrt auf, weil genau die Frage, die für viele Pflegekräfte entscheidend ist, erst fast am Ende der Umfrage gestellt wird. Frage elf lautet: „Wünschen Sie sich für die Zukunft eine beitragsfreie Pflegekammer in Niedersachsen?“ Die Fachkräfte können Ja, Nein oder Keine Angabe ankreuzen.

Sandra Barth, Pflegefachkraft aus Uelsen in der Grafschaft Bentheim, hält die Fragestellung für eine Katastrophe. „Dadurch steht das angekreuzte Nein nicht mehr allein für unser eigentliches Anliegen, dass wir nämlich überhaupt keine Pflegekammer wollen – nicht nur keine beitragsfreie“, sagt Barth im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick. Auch dass die Frage erst ganz am Ende der langen Umfrage kommt, empfindet Barth als intransparent und unangemessen.

Die Kritiker ziehen jetzt die Konsequenz. Zwei Kammerkritiker  steigen aus dem neunköpfigen Pflegebeirat, der die Evaluation begleiten soll, aus. Darunter ist auch ein Vertreter der Gewerkschaft Verdi, die für die Entscheidung vollstes Verständnis hat. Von einem Alibi-Beirat ist bei der Gewerkschaft die Rede, man ärgert sich über „intransparente Entscheidungen des Sozialministeriums“.

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Die FDP-Sozialpolitikerin Sylvia Bruns sprach gestern von einer „irreführenden Befragung“. „Die eine Frage, die die große Mehrheit der Pflegekräfte bewegt, wird nicht gestellt. Damit werden die Pflegekräfte hinters Licht geführt“, sagte Bruns. Ihrer Meinung nach hätte gleich zu Beginn des Fragebogens klar und deutlich nach der Zukunft der Kammer gefragt werden müssen.

Der AfD-Sozialpolitiker Stephan Bothe hält die Befragung für eine Farce. „Sie simuliert ein Mitspracherecht, das die Pflegekräfte am Ende nicht haben werden“, kritisierte Bothe. Die Formulierung der elften Frage impliziere, dass Pflegekräfte, die eine Kammer ablehnten, damit eine kostenpflichtige Kammer befürworten würden. „Hier werden die Pflegekräfte von der Landesregierung hinters Licht geführt.“

SPD-Sozialexperte begrüßt die Befragung

SPD-Sozialexperte Uwe Schwarz begrüßte dagegen, dass man nun „zeitnah eine fundierte Aussage über die Wahrnehmung der Arbeit der Kammer“ habe. Es sei wichtig, dass die Pflegekräfte nun die Möglichkeit bekämen, ihre Meinung und Haltung zum Ausdruck zu bringen. Schwarz sieht der Abstimmung optimistisch entgegen. In der Corona-Krise habe sich gezeigt, dass die Pflegekammer eine wichtige Institution in der niedersächsischen Gesundheitsszene darstelle. So habe sie die Arbeit im Zusammenhang mit dem Register für Bereitschaftsdienste geleistet, bei dem sich über 100 zusätzliche Pflegefachkräfte gemeldet hätten, um im Bedarfsfall zu unterstützen.

Diesen Punktgewinn sieht man bei den Kammerkritikern allerdings nicht. Allein in Göttingen hätten sich noch deutlich mehr als 100 Pflegekräfte für Bereitschaftsdienste gemeldet – und das ganz ohne Kammer. Für Barth ein weiterer Beleg dafür, dass sich die Pflegekräfte in Niedersachsen auch ohne Kammer organisieren können.