Die Reaktionen auf das von der Spitze der Bundesregierung vereinbarte „Entlastungspaket“ fallen in Niedersachsen höchst unterschiedlich aus. Während von Vertretern der SPD, der Grünen und der FDP am Montag lobende Worte kamen, hagelte es von verschiedenen Verbänden Kritik. Sehr scharf fiel eine einstimmig verabschiedete Stellungnahme des Jugend- und Sozialhilfeausschusses im Niedersächsischen Landkreistag (NLT) aus. Das Gremium unter Vorsitz des Verdener Landrates Peter Bohlmann (SPD) stellte drastisch fest: „Die von der Bundesregierung angekündigten Maßnahmen gegen soziale Notlagen wegen der steigenden Energiepreise sind nicht geeignet, einkommensschwache Haushalte gezielt zu entlasten.“ Gesetzliche Schritte bedürften „der sofortigen Umsetzung zu Beginn der Heizperiode und nicht erst mit Beginn des nächsten Jahres 2023.“ Das Wohngeldverfahren müsse „drastisch vereinfacht werden, um überhaupt umsetzbar zu sein“. Anstelle von vielen Detailschritten sei „eine gezielte Regulierung des Energiemarktes“ nötig – also eine staatliche Begrenzung der Gaspreise.

Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick erläutert NLT-Hauptgeschäftsführer Prof. Hubert Meyer das Problem: Die Bundesregierung hatte ein einmaliges Energie-Geld für Rentner und Studenten angekündigt, außerdem einen Zuschuss für Wohngeldbezieher von 415 Euro (Einpersonenhaushalt) oder 540 Euro (Zweipersonenhaushalt). Dieses Geld wird schon für die jetzt beginnende Heizperiode in Aussicht gestellt, eine gründliche Reform des Wohngeldes soll dann zum Jahresbeginn 2023 folgen. Nun sagt Prof. Meyer: „Wir rechnen mit einer erheblichen Zunahme derjenigen, die Wohngeld beantragen werden. Aber die Genehmigung solcher Anträge nach dem derzeit vorgegebenen Verfahren zieht sich in die Länge. Daher brauchen wir sehr schnell eine Entbürokratisierung.“
Volker Schmidt, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Niedersachsenmetall, übt scharfe Kritik. Zwar werde mit dem Entlastungspaket das Ziel, die Unternehmen von hohen Energiekosten zu befreien, grundsätzlich erreicht. „Dennoch bleibt das Paket aus Sicht der Wirtschaft hinter den Erwartungen zurück“, sagt Schmidt. Es enthalte kaum Erleichterungen für Betriebe, die ad-hoc greifen können. Statt unverzüglich wirkender Entlastungen würden lediglich weitere Belastungen vermieden. Vor allem aber sei das angekündigte Entlastungsvolumen eine Mogelpackung. „In den 65 Milliarden Euro sind auch ausgesetzte Erhöhungen wie die Anhebung der CO2-Abgabe und der Ausgleich der kalten Progression miteingepreist. Es handelt sich dabei also mitnichten um eine reale Entlastung, sondern lediglich um den Wegfall weiterer Belastungen“, meint Schmidt. Unklar bleibe auch, ob die Verlängerung der Kurzarbeitergeldregelung bis Jahresende zur Entlastung wird oder lediglich den Status quo fortschreibt.

„Um eine Erleichterung für die Betriebe darzustellen, muss der Staat die Sozialversicherungsbeiträge vollständig erstatten, wie es auch in den Anfangszeiten der Corona-Pandemie der Fall gewesen ist“, sagt Schmidt. Zudem lasse das neue Paket Nachbesserungen bei den Erleichterungen für energieintensive Unternehmen, die die Steigerung ihrer Energiekosten nicht an ihre Kunden weitergeben können, vermissen. Volker Müller von den Unternehmerverbänden Niedersachsen (UVN) sagte: „Wichtig ist es, die Gasverstromung zu stoppen und den Strom- vom Gaspreis zu entkoppeln. Weiter muss der Strompreis endlich von allen preisbelastenden Steuern und Umlagen befreit werden und eine staatliche Ko-Finanzierung der Strom-Übertragungsnetzentgelte stattfinden. Auch braucht es dringend eine spürbare Reduzierung der Mehrwertsteuer auf Strom. Zusätzlich ist die Stromsteuer zügig an das EU-Mindestmaß anzugleichen.“
SPD-Landtagsfraktionschefin Johanne Modder lobte, das Entlastungspaket helfe gerade den Beziehern kleiner und mittlerer Einkommen. Stefan Birkner (FDP) meinte, die Ampel-Koalition zeige sich „handlungsfähig und der Krise gewachsen“. Julia Hamburg (Grüne) sagte: „Ich hätte mir bei den Regelsätzen noch etwas mehr gewünscht, wir müssen nun schauen, wie sich die Belastungen entwickeln“.
Im Unterschied zu den niedersächsischen Grünen geht deren Jugendorganisation scharf ins Gericht mit den Beschlüssen der Bundesregierung. GJ-Sprecherin Pia Scholten sagt: „Das vorgestellte Entlastungspaket ist eine Mogelpackung. Die Anhebung der Hartz IV Regelsätze gleicht gerade so die Inflation aus, hat aber nichts mit einer spürbaren Verbesserung zu tun. Das vorgestellte Entlastungspaket wird den gesellschaftlichen Notwendigkeiten nicht im Ansatz gerecht. Es braucht einen Verband für die Wunden und Sorgen, stattdessen liefert dieses Entlastungspaket kleine Pflaster. Das reicht nicht.“ Ihr Kollege Felix Hötker meint: „Es ist inakzeptabel, dass arme Menschen sich am Ende des Monats zwischen einer warmen Wohnung oder einem vollen Kühlschrank entscheiden müssen, während Spitzenverdiener in Krisen sogar noch übermäßig profitieren.“

Finanzminister Reinhold Hilbers (CDU) zeigte sich „verärgert“: „Unabhängig davon, dass vieles von den mitgeteilten Änderungen ,noch im Ungewissen bleibt‘, habe die Ampel Maßnahmen beschlossen, „ohne die Länder vorab auch nur zu informieren“. Dabei hätten diese Schritte „enorme Auswirkungen auf die Länderhaushalte“. Für die Einführung eines vergünstigten Nahverkehrstickets sollten die Länder dauerhaft 1,5 Milliarden Euro jährlich bereitstellen, das heiße für Niedersachsen 150 Millionen Euro. „Spielraum im Haushalt sehe ich dafür wahrlich nicht“, erklärt Hilbers. SPD-Fraktionschefin Modder entgegnete, das Nahverkehrsticket sei nötig, sie könne die Kritik von Hilbers nicht nachvollziehen.
Alexander Zimbehl, Landesvorsitzender des Niedersächsischen Beamtenbundes (NBB), hat von der Landesregierung eine zügige Entscheidung für die etwa 100.000 pensionierten Landesbeamten gefordert. Da die Ampel-Koalition am Sonntag angekündigt hatte, Rentnern und Bundes-Pensionären am 1. Dezember eine Energiepreispauschale von 300 Euro zu überweisen, müsse das Land jetzt schnell nachziehen und einen ähnlichen Beschluss für die Landesbeamten treffen, betont Zimbehl. Auch Frank Bornemann vom Richterbund unterstützte diese Position.
