In der „kommunalen Familie“ herrscht seit einigen Monaten ein heftiger Streit, der kaum nach außen dringt – aber bald vor Gericht ausgetragen werden dürfte. Es geht um die Klage des „Niedersächsischen Landkreistages“ (NLT) gegen eine am 21. September 2022 vom Landtag beschlossene Änderung der Kommunalverfassung. Mit breiter Mehrheit hatte das Parlament damals, in der letzten Sitzung vor der Landtagswahl, die Verschuldungsregeln für Kommunen geändert. Wenn eine Stadt oder ein Landkreis Fehlbeträge anhäuft, sollen diese künftig nicht mehr binnen zwei Jahren ausgeglichen werden – sondern binnen 30 Jahren. Zur Corona-Zeit hatte es solche Vorgaben schon befristet gegeben, mit dem Beschluss des Landtags vom 21. September 2022 wurde daraus nun eine bis Ende Juni 2024 ausgeweitete Regelung. Der NLT protestiert dagegen, denn er sieht das Land in der Pflicht, für eine bessere Finanzausstattung der Kommunen zu sorgen.

Den Kommunen nur höhere Verschuldungsrechte zuzubilligen, löse das Problem nicht, sondern verschärfe auf längere Sicht die kommunale Abhängigkeit von der Kreditfinanzierung. Problematisch sei zudem, dass die Kommunen die Schulden über die Obergrenze ihres eigenen Vermögens hinaus ausdehnen dürfen. Ganz anders hingegen beurteilt der Niedersächsische Städtetag (NST) die Situation, die Spitzenorganisation der größeren und mittleren Städte. Die Gesetzesänderung war auf Wunsch und Drängen des NST zustande gekommen. Auslöser war die nächste Notsituation nach dem Ende der Corona-Krise gewesen, geprägt durch die Folgen der russischen Aggression auf die Ukraine, begleitet von Lieferengpässen, Fachkräftemangel und vor allem erheblicher Preissteigerung.
Der Konflikt über diese Frage zwischen NLT als Vertretung der Landkreise und NST als Organisation der größeren und mittleren Städte ist schon eigenartig, da beide sonst gemeinsam mit dem Niedersächsischen Städte- und Gemeindebund (NSGB) bestrebt sind, mit einer Stimme nach außen aufzutreten. Seit die Klage Ende Februar vom NLT in Bückeburg eingereicht wurde, gibt es dort jedoch noch keine Terminierung für eine mündliche Anhörung. Allerdings liegt eine vom „Gesetzgebungs- und Beratungsdienst“ (GBD) des Landtags entworfene und vom Plenum beschlossene Stellungnahme zur NLT-Klage vor, die es in sich hat. In Bausch und Bogen werden darin nicht nur die Argumente des Landkreistages zurückgewiesen, sogar die Zulässigkeit der Klage wird bestritten.
Einer der Autoren der Stellungnahme ist der GBD-Leiter Christian Wefelmeier. Er reibt sich zunächst an der Behauptung des Landkreistages, er sei in seinen Rechten verletzt worden, da ihm vor der Beschlussfassung über die Änderung der Kommunalverfassung nur eine Anhörungsfrist von fünf Werktagen (einschließlich eines Wochenendes) gewährt worden sei – während doch eigentlich sechs Wochen üblich seien. Fünf Tage, so die Position des NLT, sind nicht genug, um sich bei den Mitgliedern über die geplanten Inhalte rückversichern und eine gemeinsame Position formulieren zu können.

Wefelmeier meint nun, der NLT als Interessensverband sei „kein Landesorgan“, deshalb also auch nicht mit eigenen Rechten ausgestattet, die verletzt werden könnten. Die Tatsache, dass in der Landesverfassung die Anhörung der Kommunen vor der Gesetzgebung vorgeschrieben sei, begründe noch „kein subjektives verfassungsrechtliches Anhörungsrecht“. Nur Inhaber der Staatsgewalt könnten solche Rechte beanspruchen, dazu zähle der NLT nicht. Im Übrigen wende man sich an die Kommunalverbände deshalb, weil nicht sämtliche Kommunen wegen ihrer Vielzahl beteiligt werden können. NLT, NST und NSGB seien aber „keine öffentlich-rechtliche Körperschaft, sondern ein privatrechtlich organisierter Verband“.
Die GBD-Stellungnahme geht dann noch in die Tiefe und prüft, inwieweit ein Mangel bei der Anhörung der Kommunen zur Rechtswidrigkeit eines Gesetzes führen könne – und verneint das. Als die Landtags-Fachausschüsse über die Einführung der Anhörungspflicht in der Kommunalverfassung berieten, hätten sich mehrere Politiker und auch Kommunalvertreter eindeutig geäußert. Beide Seiten seien sich einig gewesen, dass Mängel bei der Anhörung den Gesetzgebungsprozess als solchen nicht gefährden dürften. Im Übrigen zweifelt der GBD, ob der NLT tatsächlich nicht genug Zeit gehabt hat, zu dem Anliegen der Gesetzesänderung Stellung zu nehmen – zumal der Sachverhalt doch schon bekannt gewesen sei und es sogar das Angebot einer Sonder-Anhörung gegeben habe, das der NLT nicht genutzt hatte.
Aus dem Kreis des NLT heißt es, dass die Klage nun noch mal erweitert werden soll. Mehrere Landkreise wollen neben der NLT-Klage noch eine „kommunale Verfassungsbeschwerde“ einreichen. Das ist immer dann möglich, wenn Kommunen meinen, durch ein Landesgesetz würden sie in ihren Selbstverwaltungsrechten beschnitten. Die Schwierigkeit bestünde dann darin, dass die jeweiligen Landkreise begründen müssten, warum sie durch die Ausweitung der Verschuldungsmöglichkeiten in ihren Rechten eingeschränkt würden. Das könnte als Widerspruch in sich zurückgewiesen werden.