20. Mai 2021 · 
Inneres

Landtagsjusriten raten zu rascher Reform der Wahlkreise

Die Ungeduld der unabhängigen Landtagsjuristen, die die Abgeordneten in ihrer Arbeit beraten, hat sich in einer Sache am gestrigen Donnerstag Luft verschafft: Es geht um die neue Einteilung der 87 niedersächsischen Landtagswahlkreise. Schon vor zwei Jahren, 2019, hatte Landeswahlleiterin Ulrike Sachs auf einen dringenden Handlungsbedarf in dieser Frage hingewiesen – ohne Ergebnis. Das macht die Vertreter des „Gesetzgebungs- und Beratungsdienstes“ (GBD) im Parlament nun nervös.

Wenn die nächste Landtagswahl nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen sollte, wird das Wahlergebnis hinterher juristisch anfechtbar sein.

Ihre Vertreterin Irina Brüggeshemke sagte gestern in der Sitzung des Landtags-Innenausschusses: „Eigentlich hätte schon bis Februar dieses Jahres eine Änderung beschlossen werden sollen. Bis jetzt, Mitte Mai, liegt aber immer noch kein Entwurf vor. Ich weise darauf hin: Wenn die nächste Landtagswahl nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprechen sollte, wird das Wahlergebnis hinterher juristisch anfechtbar sein.“

Während Marco Genthe (FDP) und Susanne Menge (Grüne) irritiert auf die Mitteilung reagierten, verzichteten die Vertreter von SPD und CDU auf Kommentare. Frank Ruge vom Innenministerium, Referatsleiter für Wahlen, meinte lediglich: „Das ist jetzt Sache des Landtags.“

Jede Stimme muss gleichwertig sein

Hintergrund ist die Bestimmung in Verfassungen und Wahlgesetzen, wonach der Erfolgswert jeder Stimme gleich sein muss. Da jeder siegreiche Wahlkreisbewerber einen Sitz im Parlament bekommt, müssen die Wahlkreise in etwa eine ähnlich große Zahl an Wahlberechtigten haben. Abweichungen nach oben und unten vom Durchschnittswert sind zwar erlaubt, dürfen aber eine Toleranzgrenze von 25 Prozent nicht überschreiten.

Die dynamische Bevölkerungsentwicklung hat nun dazu geführt, dass im Wahlkreis 49 (Lüneburg) die Normgröße um 27 Prozent überschritten wird, im Süden des Landes aber, im Wahlkreis 19 (Einbeck), um 25,4 Prozent unterschritten. Die Lüneburger hatten vorgeschlagen, in ihrem Bereich einen zusätzlichen Wahlkreis zu schaffen. Das könnte eine Lösung sein – würde aber voraussetzen, dass im Süden dann einer wegfällt, indem etwa 18 (Northeim) und Einbeck verschmelzen.

Gegen diesen Weg aber hatte Uwe Schwarz (SPD), der Northeimer Abgeordnete, massiv protestiert, im Ergebnis ist die Variante vom Tisch. Wenn nun aber in Lüneburg ein Wahlkreis hinzukäme und sich im Süden wenig ändern würde, hätten wir 88 statt 87 Wahlkreise. Die Durchschnittsgröße würde sinken – und nicht nur Lüneburg, auch Osterholz und weitere Wahlkreise würden die Toleranzgrenze sprengen. Der Reformbedarf wäre also am Ende noch größer als heute.

Lüneburger Kreispolitiker werden wohl enttäuscht

Inzwischen scheint die Koalition auf dem Weg zu sein, sehr zum Verdruss vieler engagierter Kreispolitiker im Lüneburger Kreistag,  sich mit der geringfügigen Verschiebung der Wahlkreisgrenzen in Lüneburg und in Einbeck zufrieden zu geben und so die 25-Prozent-Marke vorläufig wieder herzustellen. Der starke Wunsch der Lüneburger nach einem zusätzlichen Wahlkreis dürfte unerfüllt bleiben. Das Ergebnis wird dann wohl nur Flickwerk, da heute schon abzusehen ist, dass man vor der übernächsten Landtagswahl 2027 erneut an den Zuschnitt wird gehen müssen.

Zu einer wirklich mutigen Reform fehlt SPD und CDU offenbar gegenwärtig die Kraft, und schon die kleinen Verschiebungen, die jetzt anstehen, sind immer noch nicht spruchreif. Ein Konzept fehlt noch. Umso mehr fühlte sich die GBD-Vertreterin jetzt im Innenausschuss zu einer Mahnung veranlasst. Das geschah nicht ohne Grund. Denn die Frist, in der die Landtagswahlen stattfinden können, beginnt schon am 17. Juli 2022 – sie endet dann am 9. Oktober 2022.

Da die Aufstellung der Wahlkreiskandidaten ebenso Zeit braucht wie die Zusammenstellung der Landeslisten, könnten schon in diesem Jahr die ersten Kandidaten nominiert werden. Eigentlich wäre die passende Gelegenheit für einen Landtagsbeschluss in der Plenarwoche vom 9. bis 11. Juni gewesen – doch das erscheint mittlerweile unrealistisch. Es dürfte dann eher in der zweiten Juliwoche geschehen, kurz vor dem Start der parlamentarischen Sommerpause.

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #095.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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