Jahresausblick Christian Wilhelm Link | Foto: LUMIKK555 (Gettyimages), Montage: cwl

Die Klimaziele für 2030 erreichen sich nicht von selbst. Auf dem Weg zur Klimaneutralität muss die gesamte deutsche Wirtschaft einmal komplett umgekrempelt werden. Die Boston Consulting Group hat in einer umfangreichen Studie für den BDI ausgerechnet, dass Deutschland etwa 860 Milliarden Euro zusätzlich investieren muss, um dieses Mammutprojekt erfolgreich zu wuppen. Angesichts dieser Summe kann einem als Mittelständler, Konsument oder Steuerzahler durchaus mulmig werden. Man kann aber auch hoffnungsvoll sein, denn bislang ist die deutsche Wirtschaft immer wieder vor allem durch große Krisen und Umbrüche beflügelt worden. Die große Chance für die Bundesrepublik und speziell auch für Niedersachsen besteht darin, in den kommenden Jahren zu einem Vorreiter bei klimafreundlichen Technologien zu werden. Die Voraussetzungen sind günstig: Vor allem bei Windkraft, grünem Wasserstoff, synthetischen Kraftstoffen und E-Mobilität liegen niedersächsische Firmen derzeit ganz gut im Rennen. Jetzt muss nur noch die Politik die richtigen Weichen stellen.

„Jetzt muss nur noch die Politik die richtigen Weichen stellen. Möglicherweise steuern wir dann erneut auf Goldene Zwanziger zu. 2022 werden sie noch nicht anbrechen.“

Chef-Redakteur Christian Wilhelm Link

Möglicherweise steuern wir dann erneut auf Goldene Zwanziger zu. Mit großer Gewissheit kann man aber sagen: 2022 werden sie noch nicht anbrechen. Erst einmal geht es mit Lieferproblemen und Produktionsausfällen weiter. Die Ära der Engpässe dauert an. Das ifo-Institut hat inzwischen sogar einen eigenen Index für die Knappheit bei Vorprodukten in der Industrie eingeführt. Das jüngste Ergebnis: Im November meldeten 75 Prozent aller Firmen, dass ihnen Rohstoffe für die Produktion fehlen. Stahl, Aluminium, Kunststoffe, Halbleiter und Chips, Holz, Bauteile, Papier, Kupfer, Bleche, Chemikalien – es ist alles dabei. Beziehungsweise nicht mehr dabei. Und wie lange geht das noch so weiter? Bei der ifo-Umfrage rechneten die Unternehmen im Schnitt mit weiteren acht Monaten, also mit Problemen bis Sommer 2022. Das war allerdings noch vor der Omikron-Variante, die die ohnehin schon trübe Stimmung in der Wirtschaft weiter belastet. „Sollten aufgrund neuer Virus-Varianten doch umfangreiche, längeranhaltende Schutzvorkehrungen notwendig werden, dürften letztere im Inland den privaten Konsum beeinträchtigen, und eine schwächere Weltwirtschaft würde die deutschen Exporte und die Investitionen belasten“, sagen die Ökonomen der Bundesbank in ihrer ganz aktuellen Dezember-Prognose voraus. Sofern die Corona-Pandemie beherrschbar bleibt, seien die Perspektiven der deutschen Wirtschaft bis 2024 jedoch tendenziell rosig. Das Bruttoinlandsprodukt und die Inflation sollen sich schon 2023 wieder normalisieren.

Ausblick 2022: Lieferengpässe und Klimawandel

Hier kann man sich den Kommentar von Christian Link anhören.

Für 2022 erwarten die Bundesbank-Experten eine Teuerungsrate von 3,6 Prozent. Teilweise sei das auf das „steil ansteigende landwirtschaftliche Erzeugerpreise“ zurückzuführen.  Gut ein Prozentpunkt entfällt aber auf den Anstieg der Energiepreise. Elektrizität wird zwar durch die Entlastung bei der EEG-Umlage etwas billiger, Gas aber wesentlich teurer. „Die Endkundentarife für Gas werden voraussichtlich im Durchschnitt um knapp ein Fünftel angehoben, da sich die Marktnotierungen für Erdgas am Spotmarkt im laufenden Jahr mehr als vervierfachten“, erläutern die Ökonomen. Ein Vorbote für eine Preisexplosion aufgrund der Umstellung des Stromsektors ist das aber nicht. Energie wird laut der BDI-Studie zwar teurer, bis 2030 klettert der Preis pro Kilowattstunde jedoch vergleichsweise moderat von heute 32 auf 36 Cent (plus 13 Prozent). Für industrielle Großabnehmer ist derzeit sogar nur ein Preisanstieg von einem Cent pro Kilowattstunde zu erwarten. Ein großes Problem bleibt dennoch beim Energiewandel. „Es ist vollkommen unrealistisch, dass dieser Umbau im bestehenden Regulierungsrahmen allein durch den Markt geschehen könnte“, mahnen die Wirtschaftsanalysten der Boston Consulting Group. Denn Prognosen sind zwar schön und gut. Unternehmen benötigen aber Sicherheiten dafür, dass sich die Investitionen in Klimafreundlichkeit auch wirklich auszahlen. Bestes Beispiel dafür ist der Ausbau der Windenenergie in der Nordsee. Durch neue Offshore-Windparks könnten rund 60 Gigawatt zusätzliche Energie erzeugt werden – tatsächlich sind derzeit aber nur Anlagen mit gerade mal 3 Gigawatt in Planung. Es fehlen die Anreize. Dabei gibt es aus der Wirtschaft genug Ideen dazu, welche Umlagen und Quoten angepasst, welche Genehmigungsverfahren vereinfacht und beschleunigt werden müssen. Die Politik muss nur endlich mal zuhören und handeln.