16. Sept. 2021 · 
Umwelt

Lies erklärt: Darum gibt es immer noch keine Obergrenze für den Wolf

Landtagsdebatten über den Wolf werden selbst dann meist ziemlich emotional geführt, wenn sich alle Redner gegenseitig versichern, doch eigentlich gerne eine ganz sachliche Debatte führen zu wollen. Mindestens einer, häufig aber gleich mehrere Abgeordnete werden dann doch emotional – was aber auch nachvollziehbar ist, schließlich sind sie in ihren Wahlkreisen wahlweise mit verzweifelten Weidetierhaltern oder aber wütenden Artenschützern konfrontiert.

Foto: GettyImages/Andyworks

So ging es also auch am Mittwoch zeitweise wieder hoch her, als die FDP-Fraktion im niedersächsischen Landtag eine „aktuelle Stunde“ zum Wolf aufgerufen hatte. „Endlich wieder der Wolf“, witzelte FDP-Agrarpolitiker Hermann Grupe zu Beginn und erntete dafür höhnisches Gelächter aus den Reihen der Großen Koalition. „Wir haben hier schon viel darüber geredet, aber es wurde nur wenig gehandelt“, hielt er der Landesregierung vor. Die Parlamentarier waren sicht- und hörbar ungehalten darüber, dass die Freidemokraten nun schon wieder die Wolfspolitik thematisieren wollten. Grünen-Fraktionsvize Christian Meyer mutmaßte sogar, der einzige aktuelle Anlass für diese Debatte könne nur die bevorstehende Bundestagswahl sein. Grupe jedoch begründete die Aktualität mit der kürzlich vom Landeskabinett auf den Weg gebrachten Novelle des niedersächsischen Jagdgesetzes, in der sich (für ihn offensichtlich überraschend) keine Silbe zum Wolf finden ließ. Hatte nicht die Union noch Anfang des Jahres groß erklärt, den Wolf ins Jagdrecht aufnehmen zu wollen?

FDP fordert seit Jahren: Wolf muss ins Jagdrecht

In der Tat haben die Regierungsfraktionen im Frühjahr einen gemeinsamen Entschließungsantrag im Parlament beschlossen, der genau auf das abzielte, was auch die FDP nun erneut und bereits seit Jahren fordert: Der Wolf müsse ins Jagdrecht kommen, zudem wolle man nach französischem Vorbild eine Obergrenze für Wölfe festlegen lassen (FDP-Vorschlag: 300 Tiere in Niedersachsen), um die Population des Raubtiers aktiv steuern zu können. Vergessen ist diese Entschließung in den Reihen von SPD und CDU derweil nicht, auch wenn man bei der FDP diesen Eindruck zu haben scheint.

"Es können und werden bereits Wölfe entnommen. Niedersachsen nutzt alle rechtlichen Möglichkeiten aus, um Problemwölfe zu entnehmen.“

Frank Schmädeke, CDU-Agrarpolitiker

CDU-Agrarpolitiker Frank Schmädeke hielt Grupe gestern jedoch vor, gewusst zu haben, dass die Jagdrechtsnovelle bereits ohne den Wolf auf den Weg gebracht war, weshalb sich Union und SPD darauf verständigt hatten, diese Ergänzung über das parlamentarische Verfahren nachzuschieben. Seine SPD-Kollegin Karin Logemann sagte an Grupe gewandt: „Dass Sie suggerieren, wir würden nicht handeln, hilft nicht weiter.“ Die agrarpolitische Sprecherin der SPD erklärte, zu einer „neuen Normalität“ mit dem Wolf kommen zu wollen, wozu auch gehöre, nach gründlicher Prüfung einzelne Tiere zu entnehmen, also abzuschießen. Auch Schmädeke stellte im Landtag klar: „Es können und werden bereits Wölfe entnommen. Niedersachsen nutzt alle rechtlichen Möglichkeiten aus, um Problemwölfe zu entnehmen.“

Auch nach Aufnahme ins Jagdrecht:
Wolf bliebe ganzjährig geschützt

Die jeweiligen Sprecher der Regierungsfraktionen machten aber auch deutlich: Die Aufnahme des Wolfes in das Jagdrecht ist zwar gewollt und soll kommen – sie wird aber zunächst nichts ändern. Der Wolf wäre auch danach noch durch EU- und Bundesrecht ganzjährig geschützt und dürfte nicht bejagt werden. Für Schmädeke und Logemann handelt es sich bei dem geplanten Schritt, bei dem aber noch nicht ganz klar ist, wann er nun final gegangen werden soll, lediglich um eine „vorbereitende, perspektivische Weichenstellung für sich auf Bundesebene gegebenenfalls ändernde juristische Rahmenbedingungen“ (Logemann). Schmädeke empfahl deshalb auch der FDP, ihre Fragen doch lieber in Berlin zu stellen und nicht in Hannover, wo nicht über den Schutzstatus des Wolfes entschieden werden könne: „Das Bundesumweltministerium muss seine Hausaufgaben machen.“

Foto: GettyImages / GarysFRP

Grünen-Naturschutzpolitiker Meyer ist sich allerdings sicher, dass Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) genau diese Hausaufgaben bereits gemacht habe und sagen würde, den Wolf ins Jagdrecht aufzunehmen sei rechtswidrig. Er mutmaßte, die Landesregierung lasse die Änderung an der Jagdgesetznovelle nur deshalb über die Regierungsfraktionen einbringen, weil sonst die Landtagsjuristen in ihrer Bewertung vorab hätten sagen müssen, dass dieser Schritt nicht rechtens sei. Meyer meinte sogar, die gesamte niedersächsische Wolfspolitik sei „gescheitert und rechtswidrig“. Dabei verwies er auf ein Pilotverfahren der EU-Kommission, bei dem es darum geht, die Ausnahmegenehmigungen zur Entnahme von Wölfen zu untersuchen. Niedersachsen ist da in den Fokus der Brüsseler Behörde gelangt, weil hier besonders viele solcher Entnahmegenehmigungen erteilt wurden.

Nach Kritik von den Grünen:
Umweltminister Lies verteidigt seine Politik

Für manch einen Parlamentarier war wohl der Pfad der sachlichen Debatte bereits bei Hermann Grupes Redebeitrag verlassen worden. Umweltminister Olaf Lies (SPD) machte dann aber deutlich, dass für ihn dieser Punkt erst bei den Ausführungen Meyers erreicht wurde. Lies beruft sich bei der Verteidigung seiner Politik auf mehrere Verwaltungsgerichtsurteile, die die prinzipielle Praxis, die das niedersächsische Umweltministerium mit der Entnahme von Problemwölfen verfolgt, stützen sollen. Die Urteile hatten tatsächlich stets nur Teilaspekte eines konkreten Falls bemängelt, das Ministerium leitete daraus ab, die anderen Aspekte seien also korrekt abgelaufen, und besserte später entsprechend nach. Die Grünen kritisieren allerdings auch, dass Umweltminister Lies neuerdings die Entnahme-Sondergenehmigungen geheim halte und erst veröffentliche, wenn ein Abschuss eines Wolfes geglückt sei. Eine Klage sei dann aber nur im Nachhinein möglich, bemängeln die Grünen. Bald wird sich der Staatsgerichtshof mit dieser Angelegenheit befassen. Die Grünen wollen nämlich erreichen, über ihre Auskunftsrechte als Parlamentarier vorab und nicht nur in vertraulicher Sitzung an die Informationen über die Genehmigungen zu gelangen.

Lies möchte derweil zu einem entspannteren Umgang mit dem Wolf gelangen. Für sein derzeitiges Vorgehen erhielt er zudem kürzlich Rückendeckung aus der Bevölkerung. Wie er gestern noch einmal betonte, hatte eine Meinungsumfrage im Auftrag des Landvolkverbands ergeben, dass rund 70 Prozent der befragten Niedersachsen die Rückkehr des Wolfes begrüßen – aber ebenfalls rund 70 Prozent dafür sind, dem Wolf Grenze zu setzen und ihn notfalls einzuschränken, wenn er Probleme verursacht. „Die Menschen erwarten einfach von uns, dass wir das Problem lösen“, sagte er und erklärte, Niedersachsen habe dazu die „weitestgehende Wolfsverordnung“ bundesweit. Die Grundlage dafür bilde das Bundesnaturschutzgesetz, das erst auf Initiative Niedersachsens dahingehend geändert wurde, dass Entnahmen bei Problemwölfen geregelt werden können. „Wir handeln am Recht entlang, aber nicht darüber hinaus“, stellte Lies klar. „Aus meiner Sicht war jede Ausnahmegenehmigung begründet.“

Umweltministerium plant Wolfspopulation zu begrenzen

Die Aufnahme des Wolfes in das Jagdrecht sieht allerdings auch Lies nicht als die Lösung des Problems an, das hat er im Übrigen auch zuvor nie getan. Seine Strategie ist eine andere. Neben dem bereits beschriebenen Vorgehen über Abschussgenehmigungen möchte Lies nun demnächst einen gewissen Korridor definieren, in dem sich die Wolfspopulation in Niedersachsen bewegen dürfe. Für die untere Grenze dieses Korridors lässt das niedersächsische Umweltministerium gerade ein Gutachten erstellen, das Antworten auf die Frage liefert, ab wann der Fortbestand der Wolfspopulation gefährdet wäre. Er habe das selber in Auftrag gegeben, „weil Berlin sich damit gerade schwer tut“, sagte Lies. Das obere Ende des Korridors sieht Lies durch die Akzeptanzgrenze der Bevölkerung definiert, etwa durch zunehmende Nahbegegnungen oder Angst um die eigenen Kinder. Anschließend soll eine Quote festgelegt werden, die definiert, wie viele Wölfe getötet werden können und müssen, damit sich die Population in diesem Korridor bewegt. Für diesen Schritt braucht Lies dann vermutlich aber doch noch Unterstützung aus Berlin. Doch der Umweltminister ist sich sicher: „Der Wolf wird bleiben. Ein Nebeneinander von Wolf und Weidetierhaltung ist aber möglich.“

Dieser Artikel erschien in Ausgabe #162.
Niklas Kleinwächter
AutorNiklas Kleinwächter

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