Die Linkspartei in Niedersachsen versucht in der aktuellen weltpolitischen Lage, einen großen Bogen zu spannen – und das auf Basis eines merkwürdig anmutenden Programmentwurfs. „Russlandfreunde sind wir alle – aber ein Putin-Versteher ist keiner von uns“, sagt der Landesvorsitzende Lars Leopold, der auch für den Landtag kandidieren wird. Der 45-jährige Außenhandelskaufmann aus dem Landkreis Hildesheim wird auf Position eins oder zwei auf der Linken-Landesliste antreten. Die Partei nimmt sich bis zu einer endgültigen Entscheidung in dieser Frage Mitte Juni allerdings noch etwas Zeit. Zunächst sollen die programmatischen Fragen geklärt werden, später dann erst die personellen.

Die inhaltlichen Festlegungen sind nun gerade für die Linkspartei nicht einfach, gilt sie doch seit Jahren als die Partei, die für Abrüstung eintritt. Das sind nun zwar keine Fragen, die ein Landtagswahlprogramm füllen. Doch im ersten Entwurf des Programms der niedersächsischen Linken für die Landtagswahl am 9. Oktober war auch die Forderung zu lesen, Militäreinrichtungen in Niedersachsen aufzulösen und die „Konversion“ in den Mittelpunkt zu stellen – also die Umwandlung von militärischem Gerät in zivile Güter. Dies war indes die Formulierung von Januar, lag also noch einen Monat vor dem Angriffskrieg Putins auf die Ukraine. Inzwischen versuchen Leopold und die Co-Vorsitzende, die Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek aus Osnabrück, die Position der Partei im aktuellen Kriegskonflikt neu zu bestimmen. „Wir stehen klar an der Seite der Bevölkerung in der Ukraine“, sagt Leopold, „aber auch an der Seite der Friedensfreunde in Russland“. Reichinnek ergänzt, das von Kanzler Olaf Scholz angekündigte 100-Milliarden-Programm für die bessere Ausrüstung der Bundeswehr sei verkehrt, denn dies sei ein „Aufrüstungsprogramm“. Leopold ergänzt, die Landesverteidigung als neuer Schwerpunkt der Bundeswehr sei aus seiner Sicht sehr wohl „begrüßenswert“, Auslandseinsätze indes müssten nicht sein.
Grundsätzlich allerdings werbe die Linkspartei natürlich weiterhin „für eine Friedens- und Deeskalationsstrategie“. Die Frage, ob man der Ukraine Waffen zur Selbstverteidigung liefern soll, hat innerhalb der Linkspartei schon Debatten ausgelöst. Im aktuellen Entwurf für das Landtagswahlprogramm steht nun, dass es „keine Förderung von LNG-Terminals“ geben soll – das kann als Absage an Flüssiggas verstanden werden, wobei LNG als stärkste Alternative zu russischen Gasimporten gilt. Außerdem steht dort der Satz „Kriege gelten führenden Kräften der USA, der Nato und der EU als taugliches Mittel der Politik.“ Dort findet sich auch die Passage: „Raus aus der Nato und Atomwaffen endlich ächten.“ Gefordert wird zudem, Rüstungsexporte aus Niedersachsen zu beenden und die Flugzeuge auf dem Fliegerhorst Wunstorf nur noch zivil statt militärisch zu nutzen. Viel spricht dafür, dass diese Passagen bis zur Verabschiedung des Programms noch überarbeitet werden – obwohl dieser neue Entwurf das Datum 23. März trägt, also einen Monat nach Putins Angriffskrieg überarbeitet worden war. Eine Passage zum Russland-Krieg sucht man dort indes vergeblich.

Gastrednerin auf dem Programmkongress der Linkspartei, bei dem über die landespolitischen Forderungen der Partei diskutiert wurde, war die Bundesvorsitzende Susanne Hennig-Wellsow aus Thüringen. Sie sprach in ihrem Grußwort ausdrücklich vom „russischen Angriffskrieg“, der vermutlich „massive ökonomische Verwerfungen auslösen“ werde – die wachsende Inflation sei ein Beispiel dafür. Wichtig sei, dass die Linkspartei sich nicht von enttäuschenden Wahlergebnissen wie etwa im Saarland herunterziehen lasse. „Die Wähler unterscheiden sehr genau nach den Ebenen, auf denen Politik gemacht wird“, sagte Hennig-Wellsow. Je stärker die Linke in den Parlamenten der Bundesländer sei, desto erfolgversprechender könne sie ihre Ziele verfolgen.
Der Linken-Landesvorsitzende Leopold nannte als Wahlziel „fünf Prozent plus“. Bei der Landtagswahl im Oktober 2017 hatte die Partei 4,6 Prozent der Zweitstimmen erhalten, war also knapp an der Fünfprozenthürde gescheitert. Wer neben Leopold die weibliche Spitzenkandidatur wahrnimmt, ist noch ungeklärt. Mehrere Frauen, die in der Linkspartei schon einen Namen haben, bewerben sich voraussichtlich für die vorderen Plätze der Landesliste – vermutlich aber hinter dem Spitzenteam. Darunter sind die frühere Landesgeschäftsführerin Maren Kaminski, die Gewerkschafterin Ursula Weisser-Rölle und die Laatzener Kommunalpolitikerin Jessica Kaußen.
Leopold und Reichinnek nannten mehrere zentrale Wahlkampfforderungen der Linken in Niedersachsen: Krankenhausschließungen sollten verhindert werden, flächendeckend sollten neue Gesamtschulen entstehen, Lehrergehälter müssten aufgestockt werden, eine Landeswohnungsgesellschaft müsse entstehen und in der Schule müssten genügend Fachkräfte für die Digitalisierung eingesetzt werden. „Es kann nicht sein, dass der Lehrer am Nachmittag unter seinem Pult herumkriecht und die Kabel zusammensteckt“, spottet Leopold. Reichinnek sagt: „Selbst wenn es für Rot-Grün nach der Landtagswahl reichen sollte, brauchen die beiden Parteien dringend ein soziales Korrektiv – und das können wir sein.“