Darum geht es: Die öffentliche Debatte wird immer schriller. In den Online-Kommentaren breitet sich täglich die Wut aus. Und ein Internet-Guru empfiehlt sogar schon, sich von den sozialen Medien abzumelden. Ein Kommentar von Martin Brüning.

Irgendwie war das alles einmal anders gedacht. Nicht nur die sozialen Medien, auch die Kommentarspalten unter den Online-Artikeln von Zeitungen wirkten einst wie eine Befreiung des mündigen Rezipienten. Sie ermöglichten Lesern eine leicht zugängliche Teilhabe an öffentlichen Debatten. Auf der anderen Seite erhofften sich Medien, die eigene Kundschaft besser kennenzulernen. Schnelle und direkte Online-Reaktion statt ein Leserbrief, der erst Tage später in der Redaktion eintrudelt. Das Ergebnis, das wir heute auf Facebook, Twitter und den Internetseiten der Zeitungen lesen können, ist ernüchternd. Hass und Bosheit haben sich durchgesetzt. Die klugen und vernünftigen Kommentare muss man mühsam suchen zwischen all dem geistigen Schund, der dort verbreitet wird.

Natürlich gibt es Ausnahmen. Noch sind wir beim Politikjournal Rundblick auf einer Insel der Glückseligen, ein spezielles Medium für eine spezielle Zielgruppe. Es kommt bisher kaum vor, dass wir einen Facebook- oder Twitter-Kommentar löschen mussten oder eine Leser-Mail bekamen, die vollständig unter der Niveaugrenze lang. Im Normalfall dürfen wir uns über kluge und freundlich gemeinte Anmerkungen und Anregungen freuen. Aber das ist der Luxus der speziellen Zielgruppe. Auch wir wissen: Je weiter wir im Internet und in den sozialen Medien wachsen, desto näher rücken uns auch die Wutbürger, die den Kollegen der Massenmedien seit Jahren online das Leben schwer machen.

https://twitter.com/ulfposh/status/1003310796993122305

Unter dem Kommentar von „Welt“-Autor Thomas Schmid, der dem AfD-Vorsitzenden Alexander Gauland beschied, mit seiner „Vogelschiss der Geschichte“-Rede die Grenze des Zumutbaren überschritten zu haben, wüteten die Gauland- und AfD-Freunde. Von „hysterischen Bösartigkeiten der Medien“ war unter anderem die Rede. „Ja, immer sind die Medien Schuld. Wie armselig“, giftete Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt in der Kommentarspalte zurück. Nun kann man sagen, dass das Medium auf die Kommentare schnell reagiert hat. Aber bringt das gegenseitige Bepöbeln von Zeitungsredakteuren und dem wütenden Mob irgendjemanden weiter – außer vielleicht den Mob, der sich freut, ernst genommen zu werden?

Es ist ein erstaunlicher Zufall, dass Internet-Pionier und Microsoft Chefentwickler Jaron Lanier an diesem Wochenende ausgerechnet in der „Welt am Sonntag“ allen, die es können, empfahl, den sozialen Medien den Rücken zu kehren. Im aktuellen System von Facebook würden sich „negative Gefühle wie Angst, Paranoia, Neid und Hass schneller verbreiten als positive Gefühle“, erklärte er. „Social Media macht Dich zum Arschloch. Und deshalb werbe ich jetzt dafür, die Accounts in den sozialen Netzwerken zu löschen.“ Was dabei für Facebook gilt, gilt für Twitter übrigens noch viel mehr. Dort scheint sich der Hass bei kontroversen Themen sogar noch viel ungestümer und unkontrollierter zu verbreiten. Und es betrifft eben auch die Kommentarspalten der Massenmedien, die zwar durch ihre redaktionelle Betreuung nicht direkt mit sozialen Medien zu vergleichen sind, aber mit denselben Phänomenen zu kämpfen haben.

Ist das Dialog oder kann das weg? Macht die Leser-Kommentare auf den Internetseiten dicht.

Dialog ist eine schwierige Sache. In den vergangenen Jahren sollten wir gelernt haben, dass die Kommentarspalten auf Internetseiten nur in seltenen Fällen einen anständigen Dialog hervorgebracht haben. Die klugen Kommentare muss man mühsam zwischen all den Pöbeleien suchen. Hier überzeugt niemand niemanden. Ist das Dialog oder kann das weg? Statt Journalisten damit zu beauftragen, die Wutbürger in den Online-Kommentaren in Schach zu halten, sollte man sie lieber nach draußen schicken, um die Welt abseits der Monitore zu sehen. Macht die Leser-Kommentare auf den Internetseiten dicht! Und geht rigoros gegen den Hass in den sozialen Medien vor! Löschen ist das neue Qualitätsmanagement. Vielleicht können und wollen wir uns nicht alle sofort von Facebook und Twitter verabschieden. Aber Hass, Einfältigkeit und Einförmigkeit an jedem Tag haben diese Welt nicht besser gemacht. Irgendwie war das alles einmal anders gedacht.

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