Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) beklagt schon seit längerer Zeit den schlechten ökologischen Zustand unserer Flüsse und Seen. Im Interview mit Rundblick-Redakteur Niklas Kleinwächter erklärt Niedersachsens BUND-Geschäftsführerin Susanne Gerstner, wie es um die Gewässer im Land bestellt – und was das mit der Landwirtschaft zu tun hat.

Selfie mit BUND-Geschäftsführerin: Susanne Gerstner und Niklas Kleinwächter – Foto: nkw

Rundblick: Frau Gerstner, es heißt, unsere Gewässer seien in keinem guten Zustand. Wie schlimm ist denn die Lage aus Ihrer Sicht wirklich?

Gerstner: Die Zustandsbewertung auf Grundlage  der Wasserrahmenrichtlinie der EU spricht eine klare Sprache: Nur zwei Prozent der Gewässer in Niedersachsen sind in einem guten ökologischen Zustand. Das heißt, 98 Prozent der Gewässer sind noch von dem Ziel entfernt, das laut Richtlinie eigentlich bis 2015 hätte erreicht werden müssen.

Rundblick: Über welche Gewässer reden wir denn da? Heißt das also, unser Trinkwasser ist in Gefahr?

Gerstner: Die Zustandsbewertung hat gezeigt, dass nicht nur die Oberflächengewässer, sondern auch unser Grundwasser in keinem guten Zustand ist. In 42 von insgesamt 90 Grundwasserkörpern in Niedersachsen wird der Schwellenwert für die Nitratbelastung von 50 Milligramm pro Liter überschritten. Da rund 90 Prozent unseres Trinkwassers aus dem Grundwasser gewonnen werden, ist damit auch unser  Trinkwasser betroffen. Durch vorsorgende Maßnahmen und technische Aufbereitung wird aber dafür gesorgt, dass es letztlich in einem einwandfreien Zustand beim Verbraucher ankommt. Es kann allerdings nicht das Ziel sein, dass unser Trinkwasser aufbereitet oder gar Brunnen geschlossen werden müssen, um die nötige Qualität wieder herzustellen. Gerade eine Aufbereitung ist aufwändig und kostenintensiv. Genauso wenig kann es unser Ziel sein, die Qualitätsziele der Wasserrahmenrichtlinie abzusenken, nur weil wir sie nicht einhalten können. Es geht schließlich um unsere zentrale Lebensgrundlage Wasser.


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Rundblick: Ein Grund für die hohe Nitratbelastung ist die Überdüngung in der Intensivlandwirtschaft. Was müsste sich da ändern?

Gerstner: Es steht außer Frage, dass Düngung in der Landwirtschaft notwendig ist. Es müssen die Nährstoffe im Boden ersetzt werden, die durch die Pflanzen entzogen werden. Das System hat sich aber auf den Kopf gestellt, weil wir nicht mehr flächengebunden produzieren. Vor allem im Nordwesten des Landes entsteht durch die Massentierhaltung ein Nährstoffüberschuss, der „entsorgt“ werden muss. Tun wir das auf die Felder, haben wir ein Problem. Als Gesellschaft müssen wir das Ziel verfolgen, Nährstoffüberschüsse zu vermeiden.


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Rundblick: Wie soll die Gesellschaft das denn leisten?

Gerstner: Zum einen muss die Düngeverordnung verschärft und konsequent umgesetzt werden. Zum anderen ist die Gemeinsame Agrarpolitik der EU, kurz: GAP, eine entscheidende Stellschraube. Über die GAP sollten nach der anstehenden Reform nur noch solche Betriebe finanziell unterstützt werden, die eine umwelt- und gewässerschonende Landwirtschaft betreiben. Die Förderung dieser Betriebe muss dann aber auch verlässlich sein, damit die Landwirte wissen, woran sie sind. Die Investitionen in neue Verfahren müssen sich lohnen. Die Gelder, die in der GAP dadurch eingespart werden, dass nicht mehr alle landwirtschaftlichen Betriebe quasi mit der Gießkanne gefördert werden, sollen dann für jene Betriebe verwendet werden, die sich darüber hinaus auch noch besonders für Artenvielfalt einsetzen, Stichwort: Öko-Standards, Brachen und Blühstreifen.

Als Gesellschaft müssen wir das Ziel verfolgen, Nährstoffüberschüsse zu vermeiden.

Rundblick: Die Landwirtschaft trägt nicht nur eine Mitschuld an der Nährstoffbelastung des Grundwassers. Durch Beregnungsanlagen trägt sie auch verstärkt zum Wasserverbrauch bei.

Gerstner: Das ist richtig. Spätestens in den vergangenen Jahren ist bei allen Akteuren die Erkenntnis gereift, dass wir auf die drohenden Veränderungen durch den Klimawandel reagieren müssen. Beim verstärkten Einsatz von Beregnungstechnik sollte deshalb darauf geachtet werden, dass weniger Wasser verdunstet. Außerdem kann der Humus-Aufbau gefördert werden. Die Bodenstruktur muss so entwickelt werden, dass Wasser länger gespeichert wird. Damit hier eine Veränderung gelingt, brauchen wir die Landwirte als Partner – und entsprechende Fördermöglichkeiten. Es müssen sich auch Strukturen ändern. Fruchtfolgen müssen vielfältig werden, den natürlichen Standortverhältnissen und dem Klimawandel angepasst.

Rundblick: Der Präsident der Landwirtschaftskammer, Gerhard Schwetje, schlug vor Kurzem vor, man könne Stauseen extra für die Landwirtschaft anlegen, um das Wasseraufkommen über das Jahr besser zu verteilen.

Gerstner: Ich bin total bei ihm, wenn es darum geht, wieder mehr Wasserrückhalt sicherzustellen. In der Vergangenheit haben wir genau das Gegenteil getan: Durch Entwässerung von landwirtschaftlichen Flächen und Begradigungen von Flüssen haben wir dafür gesorgt, dass das Wasser möglichst schnell abfließt. Die Landschaft muss aber wieder als Schwamm wirken können. Durch die Renaturierung unserer Flüsse und Auen, durch die Wiederschaffung von Überschwemmungs-, Feuchtgebieten und Auwäldern, können wir drei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Das Wasser wird länger im Boden gehalten, das ist gut für den vorsorgenden Hochwasserschutz und die Landwirtschaft. Außerdem schaffen wir wieder naturnahe Lebensräume und zugleich attraktive Landschaften für die Erholung – man denke nur an unsere beliebten Flussradwege. Hier passiert aber in der Fläche noch zu wenig, es bleibt bislang bei einigen Modellprojekten. Es fehlt an Ressourcen, an nötigem Fachpersonal und an Finanzmitteln. Die Renaturierung von Gewässern ist nicht billig – aber allemal günstiger, als den Schaden zu beheben der entsteht, wenn man es nicht tut.