Niedersachsens SPD hat bei der Europawahl ein historisch schlechtes Ergebnis eingefahren. Nur 19,5 Prozent der Wähler setzten ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten – das ist mehr als ein Prozentpunkt weniger als noch bei der vorherigen Europawahl. Deutlicher fiel der Stimmenverlust bei den Grünen aus, die im Vergleich zu ihrem Spitzenergebnis von 2019 sogar mehr als zehn Prozentpunkte einbüßen mussten und nun mit 12,2 Prozent der Wählerstimmen nur auf dem vierten Platz landen. Die Christdemokraten konnten ihr Ergebnis derweil leicht ausbauen. 31,4 Prozent der niedersächsischen Wähler gaben ihre Stimme für die CDU ab, vor fünf Jahren waren es noch 29,9 Prozent. Deutlicher Gewinner in Niedersachsen ist allerdings die AfD, die ihr Ergebnis von 7,9 Prozent in 2019 auf jetzt 13,2 Prozent steigern konnte und damit sogar noch über ihrem Ergebnis bei der Landtagswahl liegt. Die Bewertung dieser Zahlen fiel am Montagmorgen erwartungsgemäß sehr unterschiedlich aus.

Dörte Liebetruth, Generalsekretärin der Niedersachsen-SPD, sprach von einer „herben Wahlniederlage – auch für die SPD in Niedersachsen“. Dass ihr Landesverband mit seinem Stimmergebnis im bundesweiten Vergleich auf dem dritten Platz nach dem Saarland und Bremen rangiert, helfe da auch nicht weiter. Insgesamt spielt die Niedersachsen-SPD den Ball allerdings direkt weiter in Richtung Berlin. Das Ergebnis sei ein „Weckruf“ auch für die Bundesregierung. Auf die Frage, ob Bundeskanzler Olaf Scholz die Vertrauensfrage im Parlament stellen sollte, verwies Liebetruth auf Beratungen der Bundes-SPD und meinte, es sei jetzt wichtig, geschlossen aufzutreten. Sie schloss diesen Schritt des Kanzlers also nicht explizit aus. Für die Landes-SPD stellte sie hingegen klar, dass man bis zur nächsten Landtagswahl weiter „auf die Alltagsprobleme der Menschen eingehen“ werde. Liebetruth räumte ein, dass es nicht gelungen sei, die eigene Politik ausreichend zu erklären und die Wähler in einer immer weiter zersplitterten Öffentlichkeit angemessen anzusprechen. Das Thema, mit dem die SPD habe punkten wollen, sei der Kampf gegen den erstarkenden Rechtsextremismus gewesen. Die Zukunft der Demokratie in Europa und die Einheit Europas insgesamt stünde auf dem Spiel.
CDU-Generalsekretär Marco Mohrmann zeigte sich zufrieden mit dem Ergebnis seiner Partei: „Wir haben gezeigt, dass wir wieder Wahlen gewinnen können.“ Das Abschneiden der AfD bereite ihm allerdings Sorgen, wobei Mohrmann daran erinnerte, dass nicht die CDU allein für das AfD-Ergebnis verantwortlich sei. Die Ampel-Regierung in Berlin müsse einen Politikwechsel hinkriegen, „sonst kann sich auch ein Kanzler Olaf Scholz nicht mehr halten“, so Mohrmann. Inhaltlich habe die CDU dadurch überzeugt, dass sie das Friedensprojekt Europa betont, den Klimaschutz mit Technologieoffenheit flankiert, ein klares Bekenntnis für die Ukraine und gegen den Aggressor Putin abgegeben und die Wettbewerbsfähigkeit einer geschlossenen Union herausgestellt habe. Für den niedersächsischen Landesverband will Mohrmann in dem guten Ergebnis seiner Partei ein erstes Zwischenzeugnis für die neu aufgestellte Parteiführung sehen, die „fleißig, aber unaufgeregt“ arbeite.
Niedersachsens Grüne brachten ihre Enttäuschung über das Abschneiden ihrer Partei zum Ausdruck. Co-Parteichef Alaa Alhamwi erkannte im Ampel-Streit eine wesentliche Ursache für das schlechte Wahlergebnis. Seine Co-Parteichefin Greta Garlichs meinte, die Bundespolitik könne in dieser Hinsicht von Niedersachsen lernen, wo ruhig regiert und Streit nicht öffentlich zelebriert werde. Auch Ängste vor den Belastungen, die eine ambitionierte Klimapolitik mit sich bringen kann, seien für das Abstimmungsergebnis mitverantwortlich, weshalb Klimaschutz künftig sozial verträglich ausgestaltet werden müsse. Dass Viola von Cramon die Grünen künftig nicht mehr in Brüssel und Straßburg vertreten wird, bezeichnete die Parteiführung als „sehr bitter“. Aufgrund ihrer Osteuropa-Expertise habe man ihr den Listenplatz 15 erstritten, Proporzregeln hätten eine bessere Startposition allerdings nicht möglich gemacht. Für Niedersachsen zieht nun nur noch Katrin Langensiepen ins EU-Parlament ein.
AfD-Landesvize Jens-Christoph Brockmann nannte das Ergebnis seiner Partei „erfreulich“ und hofft auf wachsende Zustimmung bis zur kommenden Landtagswahl. Kern des AfD-Erfolgs sei neben der Reaktion der Wähler auf eine vermeintliche AfD-feindliche Kampagne von Medien und Staatsanwaltschaften ihre kritische Haltung zur EU und deren Institutionen gewesen. Das Europaparlament, in dem nun mit der Ostfriesin Anja Arndt erstmals auch eine Abgeordnete der Niedersachsen-AfD sitzen wird, will man jedenfalls laut Parteiprogramm abschaffen. Als Grund dafür nannte Brockmann das fehlende Initiativrecht des Parlaments sowie der fehlende Grundsatz der Stimmengleichheit bei den Parlamentswahlen. Einen Zeitplan dafür kenne er noch nicht, die Zahl der kritischen Stimmen im Parlament nehme aber zu. Eine Zusammenarbeit könne er sich mit der FPÖ aus Österreich vorstellen. In welcher Fraktion die AfD künftig mitarbeiten kann, ist noch offen.
Insgesamt neun Niedersachsen werden künftig dem neuen EU-Parlament in Straßburg und Brüssel angehören. Wieder mit dabei sind für die CDU David McAllister (Geestland), Lena Düpont (Gifhorn) und Jens Gieseke (Sögel), für die SPD Bernd Lange (Burgdorf) und Tiemo Wölken (Osnabrück), für die Grünen Katrin Langensiepen (Burgwedel) und für die FDP Jan-Christoph Oetjen (Sottrum). Erstmals ins EU-Parlament gewählt wurden für die AfD Anja Arndt (Nortmoor) und für die Partei Volt Deutschland Kai Rasmus Tegethoff (Braunschweig). (nkw)