3. Juni 2019 · 
Soziales

Physiotherapeuten sollen für ihre Ausbildung nicht mehr bezahlen

„Schulgeld ist eine Hürde, um eine Berufsausbildung zu ergreifen. Das sollte bei der Berufswahl nicht im Wege stehen“, sagt Niedersachsens Sozialministerin Carola Reimann. Die Landesregierung schafft deshalb das Schulgeld für die Ausbildung zum Ergo- und Physiotherapeuten sowie zum Logopäden und Podologen ab. Reimann hofft, dass sich dadurch mehr junge Menschen für diese Berufe entscheiden, zumal derzeit nur etwa 1300 der möglichen 1920 Ausbildungsplätze besetzt sind. Auch hier schlägt der demographische Wandel voll zu. Mehr Menschen, die Pflege und Unterstützung benötigen, treffen auf weniger Schulabgänger. „Deshalb wird der Fachkräftemangel hier besonders deutlich“, erklärt Reimann. Als positives Beispiel nennt sie die Abschaffung des Schulgeldes in der Pflege. Das habe dort zu Zuwächsen in der Ausbildung um 30 Prozent geführt. Einen ähnlichen Effekt erhofft sie sich jetzt auch bei den Gesundheitsfachberufen, die künftig von der Schulgeldfreiheit profitieren sollen.
Wir haben ja alle einmal eine Ausbildung gemacht. Ob man Teile der Ausbildung einfach so für nichtig erklärt, um dann noch einmal anzufangen, würde ich einmal dahingestellt sein lassen.
Im Moment zahlen viele Physiotherapeuten oder Logopäden noch zwischen 50 und 600 Euro für ihre Ausbildung, nur teilweise ist die Ausbildung kostenlos. Ab dem 1. August soll kein Auszubildender mehr etwas dafür bezahlen. Die Schulen bekommen genau die Summe, die sie derzeit von den Schülern verlangen, um künftige Mitnahmeeffekte zu vermeiden. Für die Finanzierung stehen für dieses Jahr rund 1,5 Millionen Euro bereit, in den kommenden Jahren kostet es das Land aber deutlich mehr. Ab 2020 plant Reimann neun Millionen Euro ein. Mit der Summe könnten dann auch alle 1900 möglichen Ausbildungsplätze finanziert werden. In den Folgejahren verdoppelt sich die Summe durch die weiteren Jahrgänge auf 18 Millionen Euro pro Jahr. Der Landtag muss dem Kabinettsbeschluss noch zustimmen, um die nötige Summe im Haushalt zu verankern. Interessenverbände hatten zuvor vor einer „Zweiklassengesellschaft“ gewarnt und die Befürchtung geäußert, dass sich viele junge Menschen, die bereits mit der Ausbildung angefangen haben, unfair behandelt fühlen und die Ausbildung wieder abbrechen könnten, um dann noch einmal ohne Schulgeld wieder anzufangen. Reimann zeigte sich ob diese Argumentation skeptisch. „Wir haben ja alle einmal eine Ausbildung gemacht. Ob man Teile der Ausbildung einfach so für nichtig erklärt, um dann noch einmal neu anzufangen, würde ich einmal dahingestellt sein lassen.“ Es gebe nun einmal immer eine Stichtagsproblematik. „Irgendwann geht es halt los.“ Die Landesarbeitsgemeinschaft niedersächsischer Ergotherapieschulen hatte vor Ausbildungsabbrüchen gewarnt, die man sich angesichts der Tatsache, dass es sich um Mangelberufe handele, nicht leisten könne. Beim Verband Deutscher Privatschulen in Niedersachsen befürchtet man, dass Schüler, die noch einmal neu starten, neuen Ausbildungsinteressenten die Plätze wegnehmen könnten.
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Eine solche Problematik befürchtet auch die Opposition im Landtag. Die Landesregierung lasse die Auszubildenden im zweiten und dritten Ausbildungsjahr weiterhin im Regen stehen, kritisiert Meta Janssen-Kucz, gesundheitspolitische Sprecherin der Grünen. Es hätten bereits einige Auszubildende ihre Verträge gekündigt, um in diesem Sommer neu zu beginnen. „Das aber reißt eine weitere Lücke in die ohnehin zu geringe Zahl der angehenden Therapeuten“, meinte die Grünen-Abgeordnete und sprach von einem dilettantischen Vorgehen der Landesregierung. Auch der FDP-Bildungspolitiker Björn Försterling hält den Beschluss der Landesregierung zwar für gut gewollt, aber schlecht gemacht. „Wir brauchen die Schulgeldfreiheit für alle. Alles andere ist ungerecht“, betonte Försterling.
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #103.
Martin Brüning
AutorMartin Brüning

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