Der Landtag befasst sich am Mittwoch abschließend mit dem Glücksspielstaatsvertrag. Mit der zweiten Änderung des Vertrages soll zum Beispiel die zahlenmäßige Beschränkung von Sportwetten aufgehoben werden. Ein nötiges Zugeständnis oder eine zu starke Liberalisierung? Sollte das Glücksspiel in Deutschland nicht vielleicht doch rigider gehandhabt werden? Lesen Sie dazu ein Pro & Contra von Klaus Wallbaum und Martin Brüning.

Martin Brüning (li.) und Klaus Wallbaum – Foto: DqM

 

PRO: Ordnungspolitik im Wirtschaftsleben muss auch eine Steuerungsfunktion haben können. Daher ist es falsch, gerade beim Glücksspiel vom „freien Spiel der Kräfte“ zu reden – wenn am Ende damit die Spielsucht noch gefördert und gestärkt wird, meint Klaus Wallbaum.

Nein, die Wirtschaftspolitik wäre tatsächlich überfordert, wenn man von ihr eine effektive Suchtbekämpfung erwarten würde. Alle Mittel und Wege, das Angebot an Glücksspielen einzudämmen und zu kanalisieren, erkennbar auch im geltenden Glücksspiel-Staatsvertrag, sind nur Hilfskonstruktionen. Man bedient sich der gerade verfügbaren Instrumente, um das gewünschte Ergebnis zu erreichen. Und gewünscht ist nun mal, den Reiz des Spielens zu verringern – indem man weniger solche Möglichkeiten anbietet, oder aber, indem auf die Risiken und Nebenwirkungen hinweist.

Ob das tatsächlich wirkt, sei dahingestellt. Über die Wege, wie der Staat das Glücksspiel reguliert, lässt sich trefflich streiten. Das Problem ist nur, dass dort viele mitdiskutieren, die gar kein ehrliches Interesse an einer Begrenzung der Angebote haben. Immerhin verspricht das Glücksspiel für die Betreiber und Anbieter ein Riesengeschäft – wieso also sollten sie ernsthaft versuchen, dieses Geschäft zu mindern? Sie wissen aber auf der anderen Seite: Wer sich an der Debatte beteiligen und dabei ernst genommen werden will, muss erst einmal versichern, dass er nichts anderes im Sinn hat als die Begrenzung der Spielsucht. Deshalb ist zu vermuten, dass gerade diese Diskussion über weite Strecken unehrlich geführt wird.

Da wir also nicht von der Aufrichtigkeit aller Debattenteilnehmer ausgehen können, ist das lange Hin und Her über die Frage, welche Regulierung des Glücksspielmarktes angemessen ist und welche nicht, mit Vorsicht zu genießen. Vielleicht hilft es weiter, wenn man sich zunächst auf ein paar grundsätzliche Regeln verständigt. Erstens: Nicht das Lotto-Spiel, nicht die Teilnahme an der Glücksspirale fördert die Spielsucht, es sind die Automaten in den Spielhallen – und problematisch kann es auch sein, wenn man dazu verleitet wird, hohe Summen bei Sportwetten im Internet zu setzen. Die meisten dieser Angebote in Deutschland sind illegal – aber die Frage, wie man mit nationalen Gesetzen das weltweit grenzenlose Internet einzudämmen vermag, ist ungeklärt. Vielleicht ist das sogar unmöglich.

Zweitens: Rund 193.000 Menschen in Deutschland sind spielsüchtig, wenn man von Studien der Suchtforscher ausgeht. Zwar soll die Zahl in den vergangenen Jahren abgenommen haben, aber erschreckend ist, dass vor allem für junge Männer der Weg in die Sucht vorgezeichnet ist. Sie suchen Bestätigung, lassen sich durch momentane Erfolge etwa an den Spielgeräten verleiten – und rutschen so immer tiefer in die Abhängigkeit. Dazu gehört häufig, dass man die eigene Sucht vor sich und anderen leugnet und ihr heimlich nachgeht. Soziale Bindungen gehen verloren, die Schulden wachsen über den Kopf – und man verliert allmählich die Kontrolle über das eigene Leben. Drittens: Wie der Alkoholismus gehört die Spielsucht zu den Problemen, über die öffentlich nicht intensiv gesprochen wird. Allenfalls manchmal taucht das Thema auf, etwa dann, wenn – wie nun im Landtag – wieder mal über eine Änderung des Glücksspiel-Staatsvertrages diskutiert wird. Beim Rauchen, ja, da gibt es verschärfte Regeln wie das Rauchverbot in Gaststätten oder die Aufdrucke auf den Zigarettenpackungen. Beim Alkohol sind die Grenzen viel niedriger, bei der Spielsucht auch.

Ein Staat, der alle Wege nutzt, das Suchtverhalten der Menschen nicht zu fördern, sondern zu begrenzen, handelt verantwortungsvoll.

Was folgt daraus? Der Staat sollte seine Bemühungen verstärken, die Spielsucht einzugrenzen. Das im momentanen Glücksspiel-Staatsvertrag enthaltene Abstandsgebot zwischen zwei Spielhallen, das bei 100 Metern festgelegt wird, ist ein Schritt in diese Richtung. Wie schwer das in der Praxis umzusetzen ist, haben die vergangenen Monate mit Protesten und Gerichtsverfahren gezeigt, und nicht unwahrscheinlich ist, dass am Ende nicht so viele Spielhallen geschlossen werden, wie die Initiatoren des Staatsvertrages gehofft hatten. Trotzdem ist es richtig, an diesem Ziel weiter zu arbeiten. Was ist nun mit dem Online-Glücksspielangeboten? Wäre es sinnvoller, sie aus der Illegalität zu befreien, sie zu erlauben und zu versuchen, mit nationalen Begleitregeln den Markt zu kanalisieren? Die Befürworter einer Liberalisierung meinen, dass dies überfällig ist – da diese Angebote, obgleich nach nationalem Recht illegal, sowie schon stark verbreitet seien. Doch dieser Weg ist gefährlich. Wenn die Sache erst erlaubt ist, kann auch besser für sie geworben werden – und das kann noch mehr Menschen dazu verleiten, hier mitzumachen und in die Sucht abzugleiten. Die Argumentation ist hier ähnlich wie bei der Frage, ob man Cannabis legalisieren sollte.

Ein Staat, der alle Wege nutzt, das Suchtverhalten der Menschen nicht zu fördern, sondern zu begrenzen, handelt verantwortungsvoll. Immerhin ist Spielsucht keine unangenehme Angewohnheit, die zur Freiheit eines Staatsbürgers gehört – sondern eine Krankheit, deren Ausbreitung bekämpft werden muss. Es ist die ordnungspolitische Verantwortung der Behörden, hier nach besten Kräften Einhalt zu gebieten. Wie schwierig das in der Praxis ist, zeigt sich beim boomenden Online-Spiel im Internet. Das darf aber kein Grund sein, die Bemühungen sein zu lassen.

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CONTRA: Grau ist alle Theorie und deshalb ist Glücksspiel in Deutschland nur theoretisch verboten – die Wirklichkeit findet im Graubereich statt. Die Politik wäre gut beraten, sich ehrlich zu machen, auch private Glücksspielanbieter zuzulassen, dafür aber auch ordentlich zu kontrollieren, meint Martin Brüning.

Schwarz oder weiß, Ordnung oder Unordnung, gutes Glücksspiel oder schlechtes Glücksspiel: Die politische Diskussion zum Glücksspielstaatsvertrag ist in den vergangenen Jahren vehement und teilweise unlauter geführt worden. Argumentiert wird gerne mit dem Spielerschutz, dabei haben die Länder mit vermurkster Gesetzgebung genau diesen längst aufgegeben und dafür gesorgt, dass das Glückspiel in Deutschland zu großen Teilen nur noch halblegal stattfindet. Grau ist alle Theorie und deshalb ist Glücksspiel in Deutschland nur theoretisch verboten – die Wirklichkeit findet im Graubereich statt. Diejenigen, die lautstark vor einer Liberalisierung des Marktes warnen und über den Begriff Ordnungspolitik nur müde lächeln, haben das Wachstum des illegalen Marktes erst möglich gemacht. Auf dem Glücksspielmarkt herrscht wirtschaftspolitische Unordnung. Die Leidtragenden sind Spieler und Staat gleichermaßen.

Kein Schutz, keine Rechte, kein Geld – das ist das Ergebnis der bisherigen Glücksspielgesetzgebung.

Auch im Fall des Glücksspielstaatsvertrages ist gut gemeint das Gegenteil von gut gemacht. Möge ein breites politisches Bündnis aus SPD, CDU und Grünen im Sinn gehabt haben, die Menschen vor sich selbst zu schützen und das Glücksspiel in Deutschland so weit es geht einzuschränken, so ist doch gerade die Schutzfunktion ausgehebelt worden. Denn natürlich gibt es in Deutschland heute zum Beispiel zahlreiche Sportwetten. Der Graumarkt wächst, die Umsätze gehen in die Milliarden. Die Anbieter sitzen allerdings nicht hier im Lande, sondern unter anderem in Malta. Und das sind die Folgen: Der Umgang der Anbieter mit dem Spielerschutz ist schwer einschätzbar, die rechtlichen Möglichkeiten der Spieler sind beschränkt und die Einnahmen aus den Wetten fließen nicht an die Vereine in Deutschland. Kein Schutz, keine Rechte, kein Geld – das ist das Ergebnis der bisherigen Glücksspielgesetzgebung.

Auch wenn in den Parlamenten oft vom Spielerschutz die Rede ist, geht es vielen in Wirklichkeit überhaupt nicht darum – es klingt nur besser. Schon in der vorletzten Legislaturperiode warnte der damalige SPD-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Jüttner vor dem „Einstieg in den Ausstieg aus dem Lottomonopol“. Die Glücksspiel-Skeptiker sind lediglich Verteidiger alter Monopole. Denn während Lotto Niedersachsen auf seiner Internetseite gerade mit 10 Millionen Euro im Jackpot wirbt, sind Sportwetten und Online-Casinos irgendwie halbseiden, zwielichtige Glücksspiel-Branche halt. Die Nähe zwischen Politik und Lotto-Gesellschaften wurde in den vergangenen Jahren zu einem „wir gegen die“ – Politik und Lotto-Gesellschaften auf der einen, die übrigen Glücksspiel-Anbieter auf der anderen Seite. Die Millionen aus dem Lotto-Glücksspiel sind derweil natürlich gerne gesehen. „Dadurch, dass von jedem Spielauftrag, jedem Los und jeder Sportwette Abgaben an das Land Niedersachsen gezahlt werden, kann das Land unterstützt werden, die hohe Lebensqualität und ein soziales und solidarisches Miteinander zu erhalten“, heißt es auf der Internetseite von Lotto Niedersachsen. Zocken für den sozialen Frieden – da ist Glücksspiel auf einmal eine gute Sache.

Die Politik wäre gut beraten, sich ehrlich zu machen. Das bedeutet: Sie sollte auch private Glücksspiel-Anbieter zulassen und endlich geordnete und juristisch wasserdichte Verfahren einführen. Dabei geht es nicht um eine marktradikale Liberalisierung, sondern um geordnete Verhältnisse. Die Prinzipien von Markt und Wettbewerb müssen eben organisiert werden. Der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap kommt zum Ergebnis: Nur wenn Glücksspiel legal stattfinde, könne der Staat auch seine anderen Ziele erreichen: Verbraucher schützen, Spielsucht bekämpfen und Manipulationen im Sport zu verhindern.

Niedersachsen ist keine Insel. Die Menschen können hier bereits heute nicht nur Lotto spielen, sondern auch auf Sportergebnisse wetten, online Karten spielen oder ins Casino gehen. Deshalb sollte die Politik nicht mehr die Augen vor der Wirklichkeit verschließen und ihrer Verantwortung nachkommen. Oder möchte vielleicht jemand China nacheifern und damit anfangen, Internetseiten nach und nach zu sperren?

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