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Die politische Debattenkultur ist inzwischen ein wenig verlottert. Und die Vielzahl von Daten und Informationen führt dazu, dass die nur scheinbar logischen Fakten oftmals nicht entlarvt werden. Niemals war der „Faktencheck“ nötiger als heute. Das ist auch deshalb bedenklich, weil sich dieselben Protagonisten, die mit Fakten teilweise eher hemdsärmelig umgehen und bei der Wahrheit manchmal Fünfe gerade sein lassen, über sogenannte Fake News in sozialen Netzwerken beschweren. Dabei geht es inzwischen aber nicht mehr nur um Meinungsroboter und fragwürdige Nachrichtenseiten, auch etablierte Medien müssen sich immer häufiger Fragen, ob das eigentlich stimmt, was sie da berichten. Althusmann hat das Turbo-Abi eingeführt, tausende Menschen sterben an Stickoxiden, Frauen verdienen 21 Prozent weniger – gehört das schon in die Kategorie Fake News oder sind kleine wahre Lügen, die irgendwie dazugehören?
Im Kern geht es um die Glaubwürdigkeit von Politik und Medien, und es stellt sich die Frage, ob die kleinen wahren Lügen überhaupt nötig sind. Braucht es wirklich fragwürdige Zahlen, wenn es um saubere Luft und gleiche Bezahlung von Männern und Frauen geht? Gegen eine zugespitzte politische Debatte ist nun wirklich nichts einzuwenden. Dennoch sollten wir uns im Wettkampf der politischen Ideen eine zentrale Frage stellen: Wollen wir wieder mal ein wenig ehrlicher sein?
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CONTRA: Der Ruf nach mehr Ehrlichkeit in der Politik ist sicher richtig. Aber noch mehr kommt es darauf an, den Gegner mit Respekt und Würde zu behandeln, meint Klaus Wallbaum.
Die Wahrheit ist heilig – und wer sie missachtet, vergeht sich an der Demokratie. Unser politisches System beruht darauf, dass es für die Diskussion der unterschiedlichen Auffassungen und Ziele eine gemeinsame Basis gibt, und sie muss in der Anerkennung von unverrückbaren Fakten bestehen. Allerdings ist das nicht immer ganz korrekt einzuhalten, denn in der Politik sind viele Tatsachen interpretierbar. Eine verkürzte Darstellung eines komplexen Sachverhalts kann dazu beitragen, dass bestimmte Stimmungen erzeugt und Betrachtungsweisen in eine Richtung gelenkt werden. Ein Beispiel: Die SPD sagt, sie habe in der rot-grünen Regierungszeit die „schwarze Null“ im Landeshaushalt erreicht – während die schwarz-gelben Vorgänger in ihrer Zeit einen Berg an Krediten angehäuft hätten. An Zahlen lässt sich das durchaus belegen. CDU und FDP entgegnen aber, diese Sichtweise sei stark verkürzt, weil seit 2013 die Steuereinnahmen nur so gesprudelt hätten, während es in den Jahren zuvor eine Konjunkturkrise gegeben habe. Auch dafür gibt es nachweisbare Zahlen. Ist die Aussage der SPD nun falsch, da unvollständig? Oder ist sie trotz aller Umstände im Kern richtig? Beide Antworten sind möglich.
Bei den meisten politischen Streitfragen verhält es sich so, und da Wahlkämpfe Zeiten von extremen Zuspitzungen sind, hageln in diesen Wochen die verkürzten Botschaften nur so auf die Bürger ein. Die Fälle, in denen eindeutig mit widerlegbaren Tatsachenbehauptungen argumentiert wird, bleiben dagegen in der Minderheit. Man muss es wohl hinnehmen und hoffen, dass Ende Oktober, wenn alle Wahlkämpfe vorüber sind, wieder mehr Sachlichkeit in die Debatte einkehrt.
Weitaus schlimmer als die Verdrehung von Fakten ist im Wahlkampf der Verstoß gegen Grundregeln des Respekts und Anstands. Verrät die Wortwahl, dass man die Würde des Gegners achtet – oder kommt eine feindselige Ausdrucksweise zum Vorschein? Zumindest die demokratischen Kräfte sollten sich nicht derart bekämpfen, dass der andere moralisch abgewertet oder verächtlich gemacht wird. Als die rot-grüne Landesregierung mehrere Gerichtsverfahren, unter anderem vor dem Staatsgerichtshof, verloren hatte, hörte man vereinzelt von CDU und FDP, in der Staatskanzlei werde „organisierter Rechtsbruch“ begangen. Das war eine Frechheit, denn vor Gericht kann man gewinnen oder verlieren – der Vorwurf vorsätzlicher Missachtung von Regeln aber geht zu weit und ist geeignet, das Ansehen des Gegners zu untergraben. Mit derartigen Äußerungen spielt man jenen in die Hände, die das politische System bekämpfen und die demokratischen Parteien als korrupt und verbrecherisch abwerten wollen.
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Eine Entgleisung der besonderen Art hat sich vor wenigen Tagen auch Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) geleistet, als er in einer Parteitagsrede die CDU in einer Form angegriffen hat, die ihresgleichen sucht. Er erinnerte an Überläufer im Landtag, die 1970 und 1976 die Mehrheitsverhältnisse dort verändert hatten. Weil sprach von einer „unseligen Tradition“ der CDU und davon, dass Mehrheitsänderungen im Landtag ohne vorherige Wahlen „Teil des christdemokratischen Erbguts“ seien. Das ist, gelinde gesagt, eine Unverschämtheit. Die historischen Tatsachen widersprechen Weils Darstellung, denn 1970 hatte die CDU auf ein Misstrauensvotum während der Legislaturperiode gerade verzichtet, obwohl sie dafür vermutlich eine Mehrheit im Parlament bekommen hätte. Sie hatte damals – wie die SPD – den Weg zu Neuwahlen bereitet. Und 1976 waren es Abgeordnete aus der SPD/FDP-Koalition, die dem CDU-Kandidaten Ernst Albrecht zum Sieg verhalfen. Die Unterstellung, die CDU habe hier im Hintergrund gewirkt, lässt sich durch nichts belegen. Wenn Weil dafür Belege hätte, wäre das eine Sensation und er müsste diese Hinweise offen nennen – doch das hat er bisher nicht getan.
Zuspitzungen in der politischen Debatte sind das Salz der Suppe, sie müssen sein. Oft geht das mit einer fragwürdigen Interpretation von Fakten einher. Geschenkt – das muss man hinnehmen. Auf keinen Fall aber darf man es akzeptieren, wenn der demokratische Gegner in eine undemokratische, zwielichtige Ecke gerückt und moralisch niedergemacht werden. CDU und FDP müssen lernen, dass Rot-Grün zwar vor Gericht mehrfach verloren hat, aber nie vorsätzlich das Recht gebrochen hat. Und der Ministerpräsident muss lernen, dass es ihm am Ende nicht nützen wird, wenn er den Christdemokraten mit unhaltbaren historischen Unterstellungen den Anstand abspricht.
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