Trinken wir bald im Auto Kaffee und lesen die Zeitung, während uns das Fahrzeug ans gewünschte Ziel bringt? Und wie wünschenswert ist es eigentlich, dass wir nicht mehr selbst fahren, sondern uns von unserem Auto fahren lassen? Lesen Sie hier ein Pro & Contra zum autonomen Fahren von Martin Brüning und Isabel Christian.

Isabel Christian (re.) und Martin Brüning - Foto: KW

Isabel Christian (re.) und Martin Brüning – Foto: KW

 

PRO: Vor uns liegen interessante Zeiten, in denen uns das Auto sicherer und effizienter ans Ziel bringen wird und sich das Autofahren in „quality time“ wandelt, meint Martin Brüning.

Dem Autofahren haftet seit Jahrzehnten der Nimbus der Freiheit an. Natürlich könnte man auch heute noch von jetzt auf gleich ins Auto steigen und südwärts Richtung Italien fahren. Wer zum Beispiel am Morgen in Hannover losfährt, der kann schon am Abend in Genua die Badehose aus dem Kofferraum holen. Theoretisch. In der Praxis ist der Nimbus der Freiheit und die Idee der nahezu unbegrenzten mobilen Möglichkeiten inzwischen ziemlich ramponiert. Denn wer am Morgen Richtung Italien aufbricht, steht vermutlich spätestens am Vormittag im ersten Stau und quält sich in den Zeiten, in denen es vorwärts geht, konzentriert zwischen Lastwagen-Kolonnen die Autobahn entlang. Freiheit haben wir uns doch einmal irgendwie anders vorgestellt. Wäre es da nicht bestechend, wenn einem das Auto die Fahrerei einfach abnehmen und uns so effizient wie möglich an unser Ziel bringen könnte? Und wäre es nicht angenehm, die Zeit im Auto sinnvoller zu verbringen und zum Beispiel ein Buch zu lesen, anstatt in einer Baustelle die schmale Spur zu halten?

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Das autonome Fahren wird ein neues Zeitalter eröffnen, in dem die Mobilität auf ihren ureigenen Sinn reduziert wird: mit einem Gefährt von A nach B zu kommen. Die autonomen Fahrzeuge werden Automobilisten mit Herzblut vermutlich emotional nicht erreichen. Aber es spricht doch nichts dagegen, am Wochenende den Young- oder Oldtimer aus der Garage zu holen und sich unter der Woche vom autonomen Fahrzeug, das einem auch gar nicht mehr selbst gehören muss, ins Büro bringen zu lassen. Den Weg zur Arbeit könnten die einen zum Akten büffeln oder Zeitung lesen und die anderen zum Frühstücken nutzen. Autofahren wird auf einmal zur „quality time“. Ich freue mich schon auf die ersten serienmäßigen Frühstücksbrettchen neben dem obligatorischen Becherhalter.

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Hinzu kommt, dass die autonomen Fahrzeuge den Verkehr revolutionieren könnten. Die digitale Vernetzung kann Verkehrsströme flüssiger machen, was sich sogar positiv an der Fußgängerampel auswirken könnte. Es gibt kaum noch Verkehr durch Parkplatzsuche und die Zahl der Unfälle und damit auch der Unfalltoten wird drastisch zurückgehen. Mehr als 3200 Menschen sind im vergangenen Jahr in Deutschland bei Unfällen im Straßenverkehr getötet worden. Die Unfallursache saß dabei häufig hinter dem Lenkrad. Mehr als zwei Drittel aller Verkehrsunfälle gehen auf menschliches Fehlverhalten zurück. Auch das spricht dafür, dem Kollegen Computer das Steuer zu überlassen.

Natürlich gibt es auch Nachteile. Wir werden für das autonome Fahren bezahlen müssen. Nicht nur mit Geld, sondern auch mit unseren Daten. Alle Wege, die wir mit dem autonomen Fahrzeug zurücklegen, werden nachvollziehbar sein. Wer einen Weg zurücklegen und seine Privatsphäre dabei mit größtmöglicher Sicherheit schützen möchte, der wird möglicherweise auf das Fahrrad steigen müssen. Dabei sollte er dann allerdings das Handy mit GPS-Technologie zuhause lassen. Denn damit sind unsere Wege bereits heute digital durchschaubar. Das autonome Fahren ändert daran nichts.

Vor uns liegen interessante Zeiten, in denen uns das Auto nicht nur sicherer ans Ziel bringen wird, sondern uns auch noch ganz neue Möglichkeiten eröffnen wird. Vorbei mit der Ausrede, für das Lesen des Feuilletons in der Zeitung sei mal wieder keine Zeit gewesen. Dafür haben Sie schließlich eine ganze Autofahrt lang Zeit.

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CONTRA: Contra: Selbstfahrende Autos sind eine schöne Zukunftsvision. Aber der Weg dorthin ist noch lang und alle Risiken lassen sich nicht beseitigen, meint Isabel Christian.

Ein Auto ist ein Luxusgut. Auch wenn man heute nicht mehr zu den oberen Zehntausend gehören muss, um ein Auto zu besitzen, die laufenden Kosten muss man dennoch bezahlen können. Mit der Massenproduktion von selbstfahrenden Autos aber beginnt der Klassenkampf auf der Straße von vorn. Wer hat das Geld, sich chauffieren zu lassen – und wer muss noch selbst ans Lenkrad? Über die Gerechtigkeit in dieser Frage lässt sich streiten. Es ist aber klar, dass der Kostenfaktor einen hybriden Verkehr aus selbstfahrenden (für die reichen Besitzer) und normalen Autos (für die übrigen) zur Folge hat. Und das stellt einiges infrage, das eigentlich für die Roboter auf vier Rädern spricht.

Da wäre zum Beispiel der Sharing-Ansatz. Eine Anzahl von selbstfahrenden Autos fährt im Stadtgebiet umher. Wer gerade eines braucht, lotst es per App zu seinem Standort und muss sich weder über den Parkplatz noch über die Unterhaltskosten Gedanken machen. Eigentlich eine gute Sache, dieses Auto zum Teilen. Doch das Teilautosystem funktioniert schon jetzt – mit normalen Autos ¬- nur in den Großstädten. Denn in ländlicheren Gebieten muss man lange suchen, bis man ein Auto von Anbietern wie Stadtmobil oder Quicar findet. Da ist es einfacher und viel bequemer, ein Taxi zu rufen oder gleich das eigene Auto zu nehmen, um die Eltern auf dem Land zu besuchen. Ein selbstfahrendes Auto könnte zwar angefordert werden, doch damit dieses etwa im Emsland in einer annehmbaren Zeit auf dem Dorf mit 1000 Einwohnern auch zum wunschgemäßen Zeitpunkt ankommt, müsste es in der Nachbarstadt stehen. Ein Unternehmen, das den Taxiservice mit selbstfahrenden Autos anbieten will, muss also sehr viel Geld investieren, um Stadt und Land flächendeckend mit den Fahrzeugen auszustatten. Denn nur dann wird das System funktionieren und von den Kunden auch genutzt werden. Der Kostenfaktor gilt auch für die Gedankenspiele mit dem öffentlichen Nahverkehr.

https://soundcloud.com/user-385595761/autonomes-fahren-so-weit-sind-wir-wirklich

In der Vorstellung ist ein Alltag mit selbstfahrenden Autos vor allem eines: entspannt. Der Fahrer kann auf dem Weg zur Arbeit Nachrichten lesen, frühstücken oder ein Nickerchen halten. Solange es hybriden Verkehr gibt, wird diese Vision allerdings niemals wahr werden können. Denn solange der Verkehr nicht komplett aus miteinander vernetzten Fahrzeugen besteht, die jederzeit schon vorher wissen, dass aus der nächsten Seitenstraße ein Auto kommt und wie die Ampel an der Kreuzung schaltet, wird es weiter Unfälle geben. Denn Menschen verhalten sich im Gegensatz zu Maschinen gern irrational. Sie rasen bei dunkelgelb noch über die Kreuzung oder vergessen beim Wechsel der Spur den Seitenblick. Und schon hat es gekracht. Selbstfahrende Autos können mit einem solchen Verhalten (noch) nicht umgehen. Sie sind auf Standartsituationen programmiert und können nicht auf Situationen reagieren, die eine rasche Entscheidung erfordern. Etwa, wenn sich in den Abstand zwischen zwei Autos ein drittes hineindrängt. Ein menschlicher Fahrer ist knappe Abstände gewohnt und reagiert entsprechend, indem er ein bisschen abbremst. Der Sensor eines selbstfahrenden Autos registriert dagegen, dass der vorgeschriebene Sicherheitsabstand krass unterschritten wurde, und macht eine Vollbremsung. Auf der Autobahn kann das für den Insassen im schlimmsten Fall tödlich enden. Mehrere Tests haben das bestätigt. Doch auch wenn nur noch selbstfahrende Autos auf der Straße unterwegs wären, so würden immer noch Unfälle passieren. Denn der Verkehr hat mehr Teilnehmer als Autos. Jeder Mann, jede Frau, jedes Kind und jeder Hund müssten mit einem Sensor ausgestattet sein, damit ein selbstfahrendes Auto sie als Verkehrsteilnehmer erkennt und dementsprechend frühzeitig auf ihr Handeln reagieren kann. Eine Sensorisierung der Menschheit wird es aber kaum geben. Ein Lenkrad muss es daher in jedem selbstfahrenden Auto geben, damit der Fahrer in unerwarteten Situationen sofort eingreifen kann. Ein Teil des Traums vom selbstfahrenden Auto – die komplette Entspannung – ist damit dahin.

Wer heute ein Auto fährt, ist verantwortlich für das, was er damit tut. Wie aber ist das, wenn er diese Verantwortung an eine Maschine abgibt? Das fängt bei der profanen Haftungsfrage an. Wer zahlt, wenn das Roboter-Auto wegen der starren Abstands-Programmierung eine Vollbremsung macht und ein anderes Auto deshalb hinten auffährt? Der Insasse des selbstfahrenden Autos, weil er der Halter ist? Der Hersteller, weil es seine Programmierung ist? Der Fahrer des anderen Autos, weil er der Mensch ist und Menschen Fehler machen? Noch interessanter wird es, wenn es um ethische Fragen geht. Zum Beispiel den Horrorklassiker aus der Fahrschule. Bei der Fahrt durch eine belebte Hauptstraße rollt plötzlich ein Ball zwischen parkenden Autos hervor, kurz darauf springt ein Kind hinterher. Ein menschlicher Fahrer drückt die Bremse durch und versucht ein Ausweichmanöver. Selbst wenn er dadurch in ein entgegenkommendes Auto kracht. Was aber würde ein computergesteuertes Auto tun? Es hat die Wahl: 1. Das Kind anzufahren. 2. Eine Vollbremsung zu machen, bei der aber der Insasse schwer verletzt werden könnte. 3. Das Auto in den Gegenverkehr zu lenken. 4. Das Lenkrad herumzureißen und in ein parkendes Auto zu fahren, in dem noch jemand sitzt. Das Verhalten in Situationen wie diesen müssen Menschen programmieren. Sie müssen entscheiden, wessen Leben im Ernstfall mehr zählt. Wer trägt die Verantwortung dafür? Die Maschine bestimmt nicht.

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