29. Mai 2022 · 
Parteien

Rinck und Schledde versprechen eine neue Phase der Einigkeit in der AfD

Das ist eigentlich ein Novum, so lange es die AfD in Niedersachsen gibt: Der Sonderparteitag mit vorgezogener Neuwahl des Vorstandes am vergangenen Wochenende in Hannover verläuft recht harmonisch. Der alte Vorstand unter dem Northeimer Jens Kestner übergibt mehr oder weniger freiwillig die Macht in die Hände eines neuen Teams, das vom 35-jährigen Frank Rinck aus Uelzen angeführt wird. Breite Mehrheiten sichern die Vorstandsmitglieder ab – und in den Reden wird immer wieder betont, ja beschworen, wie wichtig doch die Einigkeit sei. „Lassen Sie uns alte Animositäten in den Hintergrund bringen“, fordert der scheidende Chef Kestner in seinem kurz gehaltenen Tätigkeitsbericht. Er habe wahrgenommen, dass „der Wunsch nach einer frühzeitigen Neuwahl besteht“, und jeder wäre „ein Tor, der solche Signale nicht ernst nimmt“. Dann kommt es am Rande des Parteitags noch zu einer Umarmung von Kestner und Rinck. Das wirkt in dieser Partei, die von tiefen Feindschaften geprägt war, geradezu fremd. Oder gespielt.

Gespielte Nähe? Der neue Parteivorsitzende
Frank Rinck (r.) umarmt seinen Vorgänger Jens Kestner. | Foto: Wallbaum

Was ist geschehen? Der Landesvorstand unter Kestner, gestützt von seinem Vertrauten Armin-Paul Hampel, war in den vergangenen Monaten zunehmend geschwächt und in die Defensive geraten. Sein Versuch, die Landtagsliste per Briefwahl aufzustellen, scheiterte furios, da nur ein Kandidat die nötige 50-Prozent-Mehrheit bekam und die Beteiligung der 2500 Mitglieder schwach blieb. Der Verbündete Stephan Bothe, MdL aus Lüneburg, wechselte die Lager und wandte sich gegen den Vorsitzenden. Dann nahm die Bundesgeschäftsstelle die Organisation des – von 18 Kreisverbänden vehement geforderten – Landesparteitags in die Hand. Für knapp 100.000 Euro wurde ein Zelt auf dem Schützenplatz in Hannover errichtet, die Bundesgeschäftsstelle traf intern alle Vorbereitungen, der Landesvorstand war faktisch entmachtet, der Generalsekretär ging auch noch von der Fahne. Dass Kestner mit Beifall bedacht und von demonstrativer Freundlichkeit seiner Nachfolger begleitet wurde, war Teil einer internen Abmachung: Wenn Streit unterbleibt, bekommt Kestner einen gesichtswahrenden Abgang – und kann womöglich hoffen, später in der AfD noch mal wieder etwas zu werden. Später, nicht jetzt.

Sie führen jetzt die AfD Niedersachsen:
Parteichef Frank Rinck (l.) und sein erster
Stellvertreter Ansgar Schledde. | Foto: Wallbaum

Der neue Vorsitzende Frank Rinck, Landwirt und Reitstall-Betreiber im Kreis Uelzen, wirkt ein wenig ungeduldig, da er zu Beginn selbst den – dann erfolgreichen – Antrag stellt, vor der Wahl der Vorstandsposten auf die Befragung der Kandidaten zu verzichten. „Bisher diente das immer dazu, um die Bewerber mit bestimmten Fragen zu beschädigen“, sagt er zur Begründung. Dann beschließt die große Mehrheit auf Antrag von Stephan Bothe, die Entlastung des alten Vorstandes und den Rechenschaftsbericht zu verschieben. Das kann als Spitze gegen Kestner verstanden werden, zumal zwischen beiden Männern inzwischen eine tiefe Abneigung besteht. Die Bewerbungsrede von Rinck ist dann stark nach innen gerichtet. Die AfD müsse „aufhören, sich gegenseitig selbst zu zerfleischen“ und sich „im Lagerkampf gegenseitig in die Fresse zu hauen“. 250 AfD-Mitglieder stimmen dann für Rinck, 74 gegen ihn, das entspricht 77 Prozent. Sein erster Stellvertreter wird Ansgar Schledde (44), Bauunternehmer aus Schüttorf (Grafschaft Bentheim), seit vier Jahren Vorsitzender des AfD-Kreisverbandes Ems-Vechte und Fraktionschef der AfD im Kreistag in Nordhorn. Er bekommt sogar 87,2 Prozent Zustimmung – und wird, wie auf dem Parteitag sichtbar wird, von viel mehr Zustimmung begleitet als die Nummer eins. Eine lange Schlange an Mitgliedern wartet, um ihm zu gratulieren.

Das verwundert nicht, da Schledde schon seit Jahren der eigentliche Machtfaktor in der niedersächsischen AfD ist. Nur wurde das bisher nie so sichtbar wie jetzt. Sein mitgliederstarker und reger Kreisverband kann in Kooperation (etwa mit den Hannoveranern) im Handumdrehen Mehrheiten auf Parteitagen sichern und Entwicklungen lenken. So geschah es Ende 2020, als die AfD-Liste für die Bundestagswahl aufgestellt wurde. So geschieht es jetzt wieder bei dieser – fast geräuschlosen – Machtübergabe im Landesvorstand. Parteifreunde beschreiben Schleddes Erfolg mit einer Mischung aus Führungsstärke, Personalförderung und Motivation. Der Bauunternehmer ist finanziell unabhängig genug, braucht die Politik nicht zum Broterwerb und kann es sich leisten, anderen den Vortritt zu lassen – so dem früheren General Joachim Wundrak auf der Bundestagsliste oder Frank Rinck beim Landesvorsitz. Zwar hält sich Schledde aktuell nicht im Hintergrund, im Gegenteil, niemand tritt beim Parteitag so oft in Geschäftsordnungs- und Personalfragen ans Saalmikrophon wie er. Doch kämpft Schledde anscheinend viel stärker für seine Leute als für sich selbst. Das beschert ihm im eigenen Lager bisher eine Geschlossenheit, die im Kestner-Lager nur selten vorhanden war.

Der innerparteiliche Frieden ist brüchig

Nur einmal droht das inszenierte Bild vom „Parteitag der Versöhnung“ an diesem Wochenende ins Wanken zu geraten – merkwürdigerweise genau in einem Augenblick, als wieder heftiger Regen auf das Zeltdach prasselt und für ein dumpfes Hintergrundgeräusch sorgt. Für das Amt des dritten Stellvertreters kandidierte Bothe, der abtrünnige frühere Kestner-Mann, und gegen ihn treten zwei Mitbewerber auf: der Diepholzer Andreas Iloff und der Braunschweiger Landtagsabgeordnete Stefan Wirtz, dessen Weigerung zur Kooperation mit anderen AfD-Abgeordneten dazu führt, dass eine neue AfD-Landtagsfraktion wegen Verfehlen der Mindestgröße nicht gebildet werden kann. Wirtz beginnt in seiner Bewerbungsrede, die Harmonie zu zerstören: Der bisherige Landesvorsitzende sei „abgefertigt worden, ohne sich rechtfertigen zu können“, viele Mitglieder seien schon gegangen und der Bewerber Bothe könne für vieles stehen, „nur sicher nicht für die Zukunft der Partei“. Wirtz meint: „Ein Aufbruch in der AfD sähe bestimmt anders aus.“ Es gibt ein paar Buh-Rufe, aber auch Applaus, Wirtz bekommt am Ende nur wenige Stimmen – aber immerhin muss Bothe in den zweiten Wahlgang, um dann mit gerade mal 50,9 Prozent gewählt zu werden. An dieser Stelle wird sichtbar, wie brüchig der innerparteiliche Frieden in Wahrheit ist.

Die größte Aufgabe für den neuen Vorstand kann nicht lange warten: Eine Landesliste für die Landtagswahl muss aufgestellt werden, und nach der gescheiterten Briefwahl bieten sich jetzt zwei Varianten an – eine Versammlung aller Mitglieder (wie jetzt beim Parteitag) oder ein Delegiertensystem. Für Anfang oder Mitte Juli wird mit einem Termin gerechnet, eine Halle wird dringend gesucht. Bis 1. August hat die AfD Zeit, ihre Liste einzureichen. Manche halten den Gifhorner Arzt Stefan Marzischeswki-Drewes für den geeigneten Spitzenkandidaten, zumal er an der Basis sehr beliebt ist. Doch er soll angeblich zögern. So könnte jemand aus dem Kreis der bisherigen Abgeordneten (Peer Lilienthal, Stephan Bothe, Christopher Emden, Harm Rykena, Klaus Wichmann oder Stefan Henze) vorn stehen, und auch Ansgar Schledde wird für die Liste gehandelt. Allerdings: Wie man es von Schledde kennt, strebt er nicht die Spitzenposition an, er muss nicht selbst vorn stehen.

Dieser Artikel erschien am 30.5.2022 in Ausgabe #100.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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