Seit vielen Jahren gilt Rolf Zick als „der Zeitzeuge“ in Niedersachsen schlechthin. Das führt zu manchen kuriosen Situationen wie im Herbst 2019, als an die 30. Wiederkehr des Falls der Mauer erinnert wurde – und Fernsehteams an einem der Orte des Geschehens, in Wolfenbüttel, ausgerechnet den aus Hannover angereisten Zick fragten, wie es denn damals gewesen sei im Jahr 1989. Es hätte auch viele jüngere gegeben, die etwas dazu hätten beitragen können – doch mittlerweile gibt es in Niedersachsen einen häufig zu beobachtenden Zick-Reflex: Wenn es um historische Berichte geht, welche Epoche auch immer verlangt ist, fragt man gern diesen freundlichen älteren Herren, der stets bereitwillig antwortet.

Zick, der im April nächsten Jahres 100 wird, ist schon eine Ausnahmefigur: Er hat seit den Anfängen des Landes Niedersachsen journalistisch gearbeitet, von Anfang an war die Landespolitik sein Spielfeld. Jeden der elf Ministerpräsidenten kannte er persönlich, zu jedem hat er seine Eindrücke mitzuteilen – und das mit hellwachem Verstand, mit der konkreten Erinnerung an Details und der Fähigkeit, die Besonderheiten der jeweiligen Zeit in klarer Sprache zum Ausdruck zu bringen. Eine Leistung für einen 99-Jährigen. Zick, der lange Zeit den Pressedienst „Nord-Report“ herausgab, die Landespressekonferenz leitete und noch bis vor ein paar Jahren auf fast jedem wichtigen Empfang präsent war, hat seine eigene Zeitzeugen-Eigenschaft quasi zur Hauptbeschäftigung im Ruhestand ausgereift: Er reist umher und hält Vorträge, gibt Interviews und schreibt Bücher – Chroniken etwa über die Geschichte der CDU, der Zahnärztekammer oder der Landesverkehrswacht, über den FDP-Mann Walter Hirche oder über die LPK. Das nächste Werk ist bald fertig.


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Nun, ein gutes halbes Jahr vor seinem großen runden Geburtstag, fällt plötzlich ein Schatten auf dieses Wirken. Der Historiker Christian Alexander Wäldner aus der Region Hannover hat im Bundesarchiv in Berlin zwei Karteikarten in der Orts- und der Gauleiter-Kartei der NSDAP gefunden. Sie weisen Zick als Parteimitglied aus – einen Antrag dazu habe er am 30. Juni 1939 gestellt, wirksam wurde dieser am 1. September 1939 mit dem Kriegsausbruch. Nach dem Abitur musste Zick damals zum Arbeitsdienst, kam dann zur Wehrmacht und war in der Luftabwehr eingesetzt.

Wie Wäldner auf Rundblick-Anfrage sagt, hält er Zick, der über Jahrzehnte in Niedersachsen journalistisch gewirkt und das demokratische System immer verteidigt hat, für einen sehr verdienstvollen Mann. Dass er aber seine NSDAP-Mitgliedschaft bisher verschwiegen habe, spreche gegen seine Erinnerungsarbeit. „Er wirkt in seinen Büchern, auch seinen Darstellungen über die eigene Rolle im Krieg, wie ein Opfer – etwa in der Kriegsgefangenschaft. Hinweise auf die Opfer der Deutschen fehlen dort leider.“ Was Wäldner ebenfalls ärgert, ist die Tatsache, dass Zick bis heute betone, kein NSDAP-Mitglied gewesen zu sein. Er fühle sich in einer Reihe mit anderen Persönlichkeiten wie Walter Jens oder Dieter Hildebrandt, die auch betonten, ohne eigenes Wissen als Parteigenosse geführt worden zu sein.

Zick könnte ein Vorbild liefern für viele junge Menschen, wenn er bekennen würde, vom NS-System fasziniert gewesen und verführt worden zu sein. Doch er streitet alles ab – und trägt damit zu einer Verschleierung bei.

Nun wirft niemand Zick vor, ein NS-Funktionär oder Vollstrecker der Hitler-Diktatur gewesen zu sein. Die Mitgliedschaft in der Partei war kein Verbrechen – aber deutet doch auf eine intensivere Bindung hin, als sie andere Soldaten hatten. Die Glaubwürdigkeit von Zicks Zeitzeugenarbeit stellt Wäldner jetzt schon in Frage. Es gebe, sagt dieser, keinen Zweifel an seiner NS-Mitgliedschaft und den folgenden Beitragszahlungen – auch wenn das Aufnahmeformular, das Zick selbst unterschrieben haben muss, noch nicht in den Archivunterlagen gefunden wurde. „Zick könnte ein Vorbild liefern für viele junge Menschen, wenn er bekennen würde, vom NS-System fasziniert gewesen und verführt worden zu sein. Doch er streitet alles ab – und trägt damit zu einer Verschleierung bei. Soll er doch endlich zugeben, einen Fehler gemacht zu haben“, sagt Wäldner.

Zick selbst, der nach den Berichten sehr betroffen und irritiert wirkt, sagte gestern dem Rundblick: „Das ist mir unbegreiflich. Ich kann mich nicht erinnern, wissentlich einen solchen Antrag unterschrieben zu haben. Ich war kein Nazi – mein Vater wurde von den Nazis degradiert und zwangsversetzt, meine Schwester wurde von den Nazis in der Euthanasie ermordet.“

So steht zunächst Aussage gegen Aussage. Drei Möglichkeiten der Aufklärung gibt es. Erstens könnte Zicks Version richtig sein, wonach ihm ein Aufnahmebegehren quasi unbemerkt „untergeschoben“ wurde – in den hektischen Zeiten 1939, als es um seine weitere Verwendung in der Wehrmacht ging. Zweitens könnte Zick seine schriftstellerische Kraft in vielen Jahrzehnten darauf verwendet haben, die eigene Biographie unbefleckter darzustellen als sie tatsächlich war. Wenn das so wäre, hätte das enorme Folgen für seine Rolle als gefragter Zeitzeuge und Landes-Historiker – denn der Wahrheitsgehalt seiner Darstellungen zur Landesgeschichte müssten dann auch hinterfragt werden. Drittens ist nicht auszuschließen, dass die Verdrängung der Parteimitgliedschaft schon früh und sehr intensiv bei ihm einsetzte, sodass Zick allen Ernstes der Überzeugung ist, keinen solchen Aufnahmeantrag gestellt zu haben. Gerade bei jemand wie Zick, dessen ganzes Leben um die eigene Geschichtsschreibung kreist, kann ein solcher Prozess sehr nachdrücklich wirken.

Zu wenig kritische Distanz?

Die Kritik von Wäldner berührt noch eine andere Schwachstelle bei Zick, wenn er diesem nämlich vorwirft, zu sehr die persönliche Perspektive und zu wenig die der Opfer der Nazi-Herrschaft einzunehmen. Zick hat als Journalist stets der Wiedergabe von Fakten, Abläufen und Daten großen Raum gegeben, die Analysen verblassten hinter den Anekdoten. Seine zeitgenössischen Darstellungen bestechen durch Detailgenauigkeit, weniger durch ihre Einordnung in Prozesse. In diesem Stil stört kritische Selbstreflexion eher. Vielleicht wird diese Art, für die Zick jahrzehntelang landesweit geschätzt und verehrt wurde, ihm jetzt zum Verhängnis: Warum hat er schon vor Jahren in seinem bis heute nicht übermäßig beachteten Buch, das der Verarbeitung der eigenen Kriegserlebnisse diente, nicht mehr kritische Distanz zu sich selbst erkennen lassen? Ist der typische Zick-Stil womöglich ungeeignet für historische Darstellungen, die zwingend eine stärkere Einordnung des Verfassers erfordern? Und wenn das so sein sollte: Warum störte sich bisher niemand daran?

Wäldners Enthüllung über Zick, gestern zuerst veröffentlicht in der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“, werfen nun neue Fragen auf: Soll Zick den „Leibniz-Ring“ des Presseclubs bekommen – und zwar für „sein Lebenswerk“? Oder besser doch für seine unbestrittene Leistung als politischer Beobachter in der Bundesrepublik seit 1949? Soll es im April 2021 eine Ehrung des Landes zum 100. Geburtstag von Zick geben? Viel spricht dafür, dass an diesen Plänen nicht gerüttelt wird. Aber deutlich wird auch: Wie bei vielen historischen Persönlichkeiten sind Werturteile und Zuschreibungen nie eindeutig. Schwarz und Weiß gibt es in den Lebensläufen nicht – meistens ist es ein Grau. (kw)