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Bartels, ein leidenschaftlicher Vollblut-Politiker, litt zusehends unter den Attacken, die ihn persönlich zur Zielscheibe hatten. In einer Videobotschaft am vergangenen Freitag erklärte er, die schweren Symptome von Burnout anfangs ignoriert zu haben. Jetzt hätten ihm seine Ärzte aber geraten, sich aus dem politischen Geschäft zurückzuziehen. Ob er dem folge, sei noch unklar. Auf jeden Fall werde er zunächst das Innenministerium bitten, ihn amtsärztlich untersuchen und gegebenenfalls krankschreiben zu lassen. Nach einem möglichen Ausscheiden aus dem Dienst müsste der Kreistag den Neuwahltermin bestimmen, dieser wäre dann voraussichtlich Mitte des kommenden Jahres.
Weggefährten wussten von seiner Erkrankung
Politische Weggefährten wussten schon seit mehreren Wochen von Bartels‘ Erkrankung, für die Öffentlichkeit kommt das überraschend. In der zehnminütigen Videobotschaft erklärte der Landrat, auf dem Campingplatz in Lügde (Nordrhein-Westfalen) seien seit 20 Jahren mit dem organisierten Kindesmissbrauch „schwere Verbrechen“ begangen worden, der Kreis Hameln sei in den vergangenen drei Jahren daran auch beteiligt gewesen, als das Jugendamt festlegte, ein Kind bei dem mutmaßlichen Haupttäter unterzubringen – „eine Fehlentscheidung“, wie Bartels sagt.Lesen Sie auch: Bereits 107 Ermittlungsverfahren wegen Hass-Kommentaren
Er habe gehofft, der Fall würde eine breite Debatte über eine Änderung der Umstände und Vorschriften bei der Jugendhilfe entfachen, etwa der Bezug zum Entscheidungsrecht der Eltern. „Es braucht mehr als Empörung und Verstecken“, sagte Bartels und spielte damit auf das Bundesrecht an. Die mangelnden politischen Initiativen in diese Richtung hätten auch mit einer Debattenkultur zu tun, die den Mut der Akteure ersticke. Er sei es zwar gewohnt, beschimpft zu werden, doch im Fall Lügde „wurden auch meine Grenzen deutlich überschritten“. Leider seien Hassbotschaften schon „zum Teil der Medienwelt geworden“, auch reguläre Medien würden sich darauf stützen – „dabei ist das ein Zerrbild“. Ein Problem sei, dass manche Entscheidungsträger erst die Reaktionen auf Facebook und Twitter prüfen wollten, bevor sie sich zum Handeln durchringen. Oft geschehe so gar nichts.
Sein Politikstil brachte ihm stets auch viel Kritik ein
Der Jurist Bartels wurde 2006 Bürgermeister der Wedemark. Sieben Jahre später wurde er zum Nachfolger des ermordeten Hamelner Landrats Rüdiger Butte gewählt. Bartels ist für seine hemdsärmelige, entscheidungsfreudige und konfliktbereite Art bekannt. So setzte er die Erdverkabelung für das Stromnetz in seinem Kreis durch. Beim NS-Erinnerungsort auf dem Bückeberg gelang ihm mit einer Mischung von Vorpreschen und Diplomatie, die Weichen für ein gutes Konzept zu stellen.Lesen Sie auch: Wieder kein Einschreiten bei Missbrauchsverdacht? Neue Vorwürfe gegen das Hamelner Jugendamt
Sein Politikstil brachte ihm stets auch viel Kritik ein, doch das Maß an Beschimpfungen und Unterstellungen im Fall Lügde war wohl außergewöhnlich heftig – zumal der Landrat selbst sich vor Mitarbeiter stellen musste, die ihm anfangs ihre Fehler verschwiegen und gar versuchten, diese zu vertuschen. Der SPD-Politiker Watermann, ein enger Weggefährte von Bartels, kritisiert den derzeitigen Trend, für jedes Problem bestimmte Politiker persönlich verantwortlich sprechen zu wollen. Dies sei hier nicht Bartels selbst zuzuschreiben, weil er selbst die Fälle gar nicht bearbeitet und die Fehler nicht begangen habe.

Landespolitik zeigt viel Verständnis
Landtagsvizepräsident Bernd Busemann (CDU) sieht das im Rundblick-Gespräch ähnlich: „Einen Shitstorm im Netz hält auf Dauer niemand aus, auch kein Schwergewicht wie Bartels. Wenn wir hier nichts ändern, finden wir bald keinen mehr, der Verantwortung übernehmen will. Deshalb sind die Umgangsformen staats- und demokratiegefährdend – ebenso wie die verbreitete Haltung, die eigene Position für absolut und kompromisslos zu setzen.“
Einen Shitstorm im Netz hält auf Dauer niemand aus, auch kein Schwergewicht wie Bartels.
Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) sagte zum Rückzug von Bartels: „Ich würde mir wünschen, dass unsere ganze Gesellschaft noch achtsamer wird.“ Er hoffe, dass sein Parteifreund „irgendwann auf die politische Bühne zurückkehrt“.
Auch Uwe Schünemann (CDU), der 2013 die Landratswahl gegen Bartels verloren hatte, ist über die Ereignisse bestürzt, wie er dem Rundblick sagte: „Hinter einer harten Schale verbirgt sich oft ein weicher Kern. In der Auseinandersetzung wird oft vergessen, dass auch ein Politiker ein verletzbarer Mensch sein kann. Darüber sollten wir aus Anlass des Rücktritts von Bartels nachdenken und Konsequenzen ziehen. Ich wünsche ihm schnellstmögliche Genesung.“
Wirbel hat eine Erklärung der FDP-Politikerin Sylvia Bruns zu Bartels‘ Rücktritt ausgelöst. Sie erklärte, der Landrat komme „einem erzwungenen Rücktritt zuvor“. Darauf entgegnete die SPD-Fraktionsvorsitzende Johanne Modder, Bruns‘ Äußerung über einen an Burnout leidenden Menschen sei „beschämend und respektlos“. Sie erwarte eine Entschuldigung.