Es gibt ihn immer mal wieder in diesen Tagen, diesen kleinen Moment. Wenn Olaf Scholz lächelt, manche sagen: grinst, dann strahlt er damit eine gewisse Überlegenheit aus. Dann scheint es, als wolle er sagen: Seht her, ich bin mir treu geblieben und doch so weit gekommen – obwohl mir das von Euch noch vor wenigen Monaten kaum einer zugetraut hat. So ist es auch an diesem Dienstag in Lehrte, bei einem „Zukunftsgespräch“ der regionalen SPD-Bundestagskandidaten, zu dem Scholz als Hauptgast hinzukommt. Dieses Lächeln hat nun im Endspurt der Sozialdemokraten eine neue Bedeutung bekommen. Es sei, wird erzählt, bereits so etwas wie ein vorweg genommenes Siegeslächeln des nächsten Bundeskanzlers.

Klaus Wallbaum trifft Olaf Scholz.

Wenn die aktuellen Umfragen nicht trügen, kann am kommenden Sonntag eine Sensation passieren: Olaf Scholz, der noch vor einem halben Jahr für seine Kandidatur belächelt wurde, kann als der Star des Abends am 26. September dastehen – und mit einem fulminanten Resultat für seine SPD quasi automatisch den Anspruch auf die nächste Kanzlerschaft betonen. Sollte die SPD bundesweit deutlich vor der Union liegen, könnten sich CDU und CSU noch am Sonntagabend resigniert zurückziehen. Womöglich könnte die Bildung einer neuen Bundesregierung dann doch viel schneller gehen als allgemein angenommen. Die Redaktion des Politikjournals Rundblick hat sich auf den Weg gemacht, um Scholz zu treffen, erst in Peine, dann später in Lehrte. Im Gespräch wirkt der Kanzlerkandidat freundlich, zugewandt und sympathisch – die leise Stimme, sein Markenzeichen, zwingt einerseits die Zuhörer, sich auf seine Sätze zu konzentrieren. Andererseits drückt sie bei Scholz selbst so etwas wie Bescheidenheit aus. In die Gefahr, sich in ganz vielen Worten zu verheddern, gerät der Bundesfinanzminister in diesen Wochen nicht. Denn er spult seine bekannten Botschaften ab, schmückt sie hier und da etwas mehr auf. Daneben gibt er wenig Raum für Plaudereien oder Scherze. Einige sagen, das unterscheide ihn sehr stark vom Rheinländer Armin Laschet, der sich öfter mal verhaspelt als der norddeutsch-distanziert wirkende, häufig schweigsame Scholz. Andere sagen, die Wortkargheit drücke eine Enthaltsamkeit aus, die zur Würde des Amtes passe – des bisherigen wie des angestrebten. Das möge schon als Arroganz gewertet werden, sei aber eine Form von Disziplin und Klarheit, die einen Bundeskanzler auszeichne.

Gut gelaunt in Niedersachsen auf Tour: Bundesfinanzminister Olaf Scholz. Foto: Link

Damit die wenigen Hauptbotschaften möglichst gut bei den Zuhörern abgespeichert werden, hat Scholz sie zum Schluss noch einmal wiederholt – auch in diesem Gespräch: Der gesetzliche Mindestlohn soll angehoben werden auf 12 Euro, das bedeute „eine Lohnerhöhung für zehn Millionen Menschen in Deutschland“. Das Rentenniveau soll nicht gesenkt werden – die Lebensarbeitszeit dürfe aber auch nicht angehoben werden. Die Beschäftigung müsse gesichert und ausgeweitet werden, auch die Arbeitstätigkeit von Frauen. Was die Finanzierung der Rente angeht, peilt Scholz Steuererhöhungen für besonders reiche Bürger an. Die Grünen stehen hier, wie deren Spitzenkandidatin Annalena Baerbock unlängst deutlich gemacht hat, klar an der Seite von Scholz. Scholz revanchiert sich mit der Bemerkung, aus seiner Sicht seien die Grünen der bevorzugte Koalitionspartner. Dahinter kann der Versuch stecken, im letzten Moment mit der Aussicht auf ein reines rot-grünes Bündnis (ohne die notwendige Hilfe von FDP oder Linkspartei) noch einmal Wähler zur Stimmabgabe für die SPD und für die Grünen zu motivieren.

Deutschland steht an einer Stelle, wo es darum geht, dass man richtig abbiegt. Wenn wir das falsch machen, können wir das in vier, acht oder zwölf Jahren nicht wieder rückgängig machen.

Olaf Scholz, SPD-Kanzlerkandidat

Beim Gespräch in Peine und in Lehrte fügte Scholz noch einige Aussagen hinzu: Der Bau von Windkraftanlagen dauere derzeit sechs Jahre – das sei viel zu lang, „wir müssen das in sechs Monaten hinbekommen“. Mit den Grünen als Koalitionspartner sei das „zu machen“, obwohl die Grünen „eine leichte Schwäche für Genehmigungen“ hätten. Der Wohnungsbau solle gefördert werden, eine von ihm geführte Bundesregierung werde „jährlich 400.000 neue Wohnungen bauen, davon 100.000 staatlich geförderte“. Was die Kanzlerschaft angeht, meinte Scholz in seiner Rede in Lehrte: „Ich habe irgendwie das Gefühl: Ich kann das.“

Moderatorin Lea Karrasch, die Rundblick-Chefredakteure Klaus Wallbaum und Christian Wilhelm Link sowie Kanzlerkandidat Olaf Scholz.

Scholz antwortet nicht: Die Rundblick-Redaktion hat einen gut gelaunten Olaf Scholz getroffen – aber gleichzeitig hinterher keine guten Erfahrungen mit der Sprecherin im „Team Scholz“ des Willy-Brandt-Hauses gesammelt. Wir wollten vom SPD-Kanzlerkandidaten die Haltung zu einigen Detailfragen wissen – doch die Sprecherin sah sich trotz mehrfacher Bitte und trotz verschiedener Vermittlungsversuche von SPD-Landespolitikern nicht in der Lage, autorisierte Antworten dazu zu übermitteln. Wir bedauern das sehr und wünschen Olaf Scholz für seine weiteren politischen Ämter mehr Fortune in seiner Pressearbeit. Die Fragen, auf die Scholz wegen der Verweigerungshaltung seiner Sprecherin die Antwort schuldig blieb, wollen wir unseren Lesern dennoch nicht vorenthalten:

  • Die Genehmigungsverfahren für Großvorhaben in Deutschland dauern viel zu lange. Welche Schritte sind aus Ihrer Sicht nötig, damit wir künftig schneller vorankommen? Muss die Bürgerbeteiligung eingeschränkt werden?
  • Brauchen wir nach den Corona-Erfahrungen einen neuen Anlauf für eine Föderalismusreform? Müssen die Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern neu sortiert werden?
  • Weltweit sind die parlamentarischen Demokratien unter Druck. In vielen Ländern gibt es Tendenzen, das System zu ändern oder zu ergänzen. Welche wichtigen Parameter sind aus Ihrer Sicht zu beachten, wenn es um die Fortentwicklung unseres parlamentarischen Systems geht?
  • Was halten Sie von der Einschätzung, wir hätten in der Bundesrepublik eine „Vertrauenskrise“ zwischen Bürgern und Politikern? Ist das übertrieben oder gerechtfertigt? Wenn es gerechtfertigt ist, was kann man dann dagegen tun?
  • Wie nehmen Sie die mediale Berichterstattung über Politik im gegenwärtigen Wahlkampf wahr? Kommt es oft zu Übertreibungen und Polarisierungen?