
Der russische Honorarkonsul in Hannover, Heino Wiese, hat der neuen Bundesregierung geraten, als Leitlinie der Außenpolitik das einst von Egon Bahr geprägte Motto „Wandel durch Annäherung“ zu wählen. „Das heißt dann, dass man zunächst die Annäherung versucht und darauf setzt, dass anschließend ein Wandel einsetzt“, sagte Wiese im Interview mit dem Politikjournal Rundblick. Der Honorarkonsul, der seit wenigen Wochen Präsident des Corps Consulaire Deutschland ist, hatte die Rundblick-Redaktion besucht und zur aktuell zugespitzten Lage im Grenzgebiet von Russland und der Ukraine Stellung genommen. Wiese ließ dabei offen, wie die Nachrichten zur aktuellen Lage politisch zu bewerten sind. „Ich habe viele Informationen, aber auch ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, wie groß die tatsächlichen Bedrohungen sind“, betonte der frühere SPD-Bundestagsabgeordnete.

Es gibt seit Wochen Hinweise auf ein russisches Manöver im Grenzgebiet zur Ukraine, das dort Ängste vor einem bevorstehenden Einmarsch russischer Truppen in dem Land ausgelöst hat. Auf der anderen Seite müsse man berücksichtigen, so Wiese, dass auch die Nato im Baltikum eine Militärübung veranstalte. Hinter dem Vorgehen des russischen Präsidenten Wladimir Putin könne man einen „provokativen Aspekt“ vermuten. Aber er glaube nicht, fügte Wiese hinzu, dass die russische Politik tatsächlich auf Expansion ausgerichtet sei. Vielmehr könne es auch darum gehen, die bestehenden Grenzen schützen zu wollen. Zu beachten sei auch das Vorgehen des ukrainischen Präsidenten Wolodimir Selensyi, der ukrainische Truppen im Donbass aufmarschieren lasse – in einer Gegend seines Landes, in der achtzig Prozent der Bevölkerung eher von den Russen als von den West-Ukrainern Schutz und Rückendeckung erwarte.
Es gebe nun zwei Denkrichtungen in diesem Konflikt. Die einen betonten die territoriale Integrität der Ukraine und billigten ihr das Recht zu, auf ihrem Staatsgebiet frei zu handeln. Dem stehe die andere Seite gegenüber, die der russischen Föderation eine Schutzfunktion zubillige. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendeine der am Konflikt beteiligten Kräfte ernsthaft eine kriegerische Absicht verfolgt“, hob Wiese hervor. Die Ukraine wolle sicher im Augenblick des Regierungswechsels in Deutschland ein Zeichen der Solidarität mit der Regierung in Kiew bewirken. Russland wolle, dass Nord-Stream II in Betrieb geht – und dies vertrage sich nicht mit einer Eskalation. Die Verzögerungen des Starts dieses Projekts Nord-Stream II kosteten Gazprom täglich rund 100 Millionen Euro wegen ausbleibender Gaslieferungen.
Die größte vorstellbare Krise käme, wenn das Verhältnis zu China in die Brüche ginge
Heino Wiese, HonorarkonsulWiese hob auch die energiepolitischen Aspekte dieses Konflikts hervor. Er vermute, dass auch in der Bundesrepublik noch zehn bis 15 Jahre lang Gas für Heizungen, Stromerzeugung und auch für Fahrzeugantriebe nötig bleibe. Die Industrie rechne fest damit, aber die Politik sei – besonders von den Grünen geprägt – „hier oft sehr ideologisch unterwegs“. Auch in der Außenpolitik sei bei vielen Politikern der Grünen eine Haltung nach dem Motto festzustellen „Ändert Euch, dann können wir miteinander reden“. Dies führe aber nicht weiter, die Moralisierung bewirke meistens eine Verhärtung und öffne keine Gesprächsbereitschaft. Wiese meinte, das gelte für das Verhältnis zu Russland, zur Türkei, aber auch zu Polen und Ungarn. „Die größte vorstellbare Krise käme, wenn das Verhältnis zu China in die Brüche ginge. Das könnte dann verheerende Auswirkungen auf die Lieferketten der deutschen Industrie und die Exportstärke unserer Wirtschaft gerade mit Blick auf die Maschinenbauindustrie haben. Dann könnte Deutschland einpacken“, hob Wiese hervor. Der russische Honorarkonsul bemüht sich nach eigenen Worten in diesen Wochen, im Kontakt mit allen Kräften, die an einem sachlichen Dialog mit Russland interessiert sind, eine vernünftige Gesprächssituation zu schaffen.


