Die Zufriedenheit mit der Agrarpolitik der Ampel-Regierung in Berlin hält sich beim Protestbündnis „Wir haben es satt“ auch nach über einem Jahr deutlich in Grenzen. Für den kommenden Sonnabend rufen sie deshalb erneut zur Demonstration in der Bundeshauptstadt auf, wie sie es alljährlich zu Beginn der „Internationalen Grünen Woche“ tun. Beginnend am Brandenburger Tor, wollen die Veranstalter für eine „sozial gerechte Agrarwende“ und „gutes Essen für alle“ demonstrieren.

Neu ist in diesem Jahr, dass neben den üblichen ökologisch orientierten Landwirtschaftsverbänden und den geläufigen Umweltschutzorganisationen auch Gewerkschaften und Erwerbsloseninitiativen zu den Mitunterzeichnern der Protestnote zählen. „Gutes Essen ist ein Menschenrecht. Gutes Essen hat seinen Preis und jeder muss es sich leisten können“, erklärte Inga Lange, Sprecherin des Aktionsbündnisses vorab in einer Pressekonferenz. Sie fordert, die Frage der guten Ernährung, also der Ernährung mit Bio-Produkten, zum „Kanzlerthema“ zu machen und erklärt: „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen.“ Mit dieser Ankündigung nimmt sie Bezug auf den vermeintlichen Gegensatz von ökologischen Standards in der landwirtschaftlichen Produktion auf der einen und der Versorgungssicherheit mit Lebensmitteln auf der anderen Seite.
„Gutes Essen ist ein Menschenrecht. Gutes Essen hat seinen Preis und jeder muss es sich leisten können.“
In den politischen Diskurs eingespeist wurde dieses Gegensatzpaar mit dem Beginn des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine. Globale Versorgungsnöte infolge von Lieferstopps aus der Ukraine und Sanktionen gegen Russland haben in Europa und Deutschland zu einer Debatte über die Notwendigkeit etwa von ökologischen Vorrangflächen geführt. Einstweilen konnten sich damals jene Kräfte durchsetzen, die zumindest für das vergangene Jahr ein Aussetzen der EU-Vorgaben erreichen wollten. Bei den Akteuren von „Wir haben es satt“ sieht man dabei die Agrarlobby am Werk, die den Kurs des Bundesagrarministers Cem Özdemir (Grüne) korrumpiert hätten.
Dabei habe man noch vor einem Jahr eine „historische Chance“ gesehen, erklärte Martin Kaiser von Greenpeace vor Journalisten. Dass in der Ampelregierung sowohl das Agrar- als auch das Umweltressort von zwei Grünen-Politikern, nämlich Özdemir und Steffi Lemke, geführt werden, hätte den angeblichen Makel der Großen Koalition ausgeräumt, als die beiden Häuser von Union und SPD geführt wurden und deshalb nicht immer im Einklang gehandelt haben. Özdemir zeichne sich nun zwar dadurch aus, dass er die Herausforderungen klar benenne und dadurch „klarer und ehrlicher als seine Vorgänger“ sei. Allerdings fehlten die Taten. Die Bilanz der bisherigen Amtsführung von Özdemir fasst das Bündnis „Wir haben es satt“ insgesamt mit „mutlos, zu wenig, zu langsam“ zusammen.
Bündnis fordert: Weniger Flächen für Futtermittel, mehr für Ackerbau und Grünland
Mit sechs Forderungen richten sich die mehr als 100 Organisationen, zu denen auch die Diakonie, die IG BAU, Oxfam oder das Netzwerk Grundeinkommen zählen, nun an die Bundesregierung. So fordern sie etwa, dass die Regelsatzlücke im Bürgergeld geschlossen werden müsse. Die letzten verbliebenen Sanktionen und Leistungskürzungen sollten „überwunden“ werden. Auch Empfänger von Sozialleistungen sollen sich „ökologischen Konsum“ leisten können. Die Bundesregierung soll es zudem dem Lebensmittelhandel verbieten, landwirtschaftliche Produkte für Preise unterhalb der Erzeugerkosten zu verkaufen. Damit sich mehr Menschen Bio-Produkte leisten können, sollen außerdem Mindestlohn und Renten angepasst werden. Im Agrarsektor soll eine stärkere Tarifbindung erzielt werden. Zur Refinanzierung sollen die Lebensmittelkonzerne, die zu den Krisengewinnern gehören, zur Kasse gebeten werden. Eine Übergewinnsteuer soll auch bei ihnen ansetzen.
Das Bündnis spricht sich zudem für eine stärkere Umverteilung auch im Steuersystem aus. „Umweltschädliche Subventionen“ sollten abgeschafft werden – also der verminderte Mehrwertsteuersatz von bislang sieben Prozent auf Lebensmittel solle für tierische Produkte künftig nicht mehr gelten. Die Mehreinnahmen des Staates sollen dann dafür genutzt werden, die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte auf Null zu setzen. Jörg Andreas Krüger, Präsident des Naturschutzbundes (Nabu) Deutschland, wirbt besonders dafür, die Nutzung von Flächen zu überdenken und weniger Ackerfläche für die Herstellung von Futtermittel zu verwenden, sondern dort Lebensmittel für den Menschen anzubauen oder es als Grünland zu belassen. Würde der Durchschnittsdeutsche künftig statt einem Kilogramm Fleisch pro Woche nur noch 400 Gramm zu sich nehmen, wäre das nicht nur gesünder, sondern auch mit der veränderten Flächennutzung vereinbar, argumentiert Krüger. Zuletzt richtet das Bündnis den Blick noch in die Welt: Lebensmittelspekulationen sollen verboten, freies Saatgut garantiert und „unfaire Handelsabkommen“ gestoppt werden.