Prof. Susanne Menzel-Riedl ist seit 2019 die Präsidentin der Universität in Osnabrück. Die Professorin für Biologiedidaktik übernahm mit 42 Jahren als zu der Zeit jüngste Frau die Leitung einer Hochschule. Im Gespräch mit dem Politikjournal Rundblick spricht sie über die Erwartungen an weibliche Führungskräfte – und sie wagt die These, dass der Krieg in der Ukraine auch mit tradierten und damit häufig männlich geprägten Politikstrukturen zu tun haben kann.

Die Osnabrücker Uni-Präsidentin Susanne Menzel-Riedl spricht im Rundblick-Interview über autoritäre Männer, die Macht der Diversität und Rollenklischees. | Foto: Uni Osnabrück/Simone Reukauf

Rundblick: Frau Prof. Menzel-Riedl, kann man aus Ihrer Sicht die Eskalation in Putins Krieg gegen die Ukraine auch auf die männliche Prägung der Politik zurückführen?

Prof. Menzel-Riedl: Natürlich sind einfache Antworten wie diese verlockend – aber einfache Antworten sind nicht immer richtig. Was richtig ist, ist die Beschreibung der Situation. Wenn ich mir anschaue, wer dort auf der Seite der Aggressoren aktiv ist, sind es ältere Männer, die sich in tradierten Netzwerken – im Fall von Putin auch alte KGB-Seilschaften – bewegen. Sie müssen dort Erwartungen erfüllen, Versprechen einhalten, Mitstreiter bedienen und Erzählungen pflegen. Das ist die eine Seite. Hinzu kommen Ideale etwa bei Wladimir Putin oder Alexander Lukaschenko, die auf als besonders männlich geltende Attribute setzen – körperliche Präsenz, die Unnachgiebigkeit und der Hang zur Gewalt als Lösung von Konflikten.

Rundblick: Heißt das, dass dies bei weiblich geprägter Politik weniger zu befürchten wäre?

Prof. Menzel-Riedl: Das ist eine hypothetische Frage – denn tatsächlich ist der politische Betrieb sehr stark männlich dominiert. In diesem Zusammenhang würde ich gern auf die große Bedeutung der tradierten Netzwerke hinweisen, die bei Männern nach meiner Erfahrung eine sehr viel größere Rolle spielen als bei Frauen. Wenn sich Netzwerke bilden, gewinnen häufig die Leute, die einem selbst sehr ähnlich sind. Ich halte das für einen menschlichen Zug – uns sind zumeist Typen sympathischer, die so sind wie wir. In einer männerdominierten Politik führt das zur Förderung von Ähnlichkeiten und zur Beförderung von Eigenschaften, die – wie bei Putin oder Lukaschenko – mehr als fragwürdig sind. Solche Netzwerke fördern eher konservative Positionen, verstärken Abhängigkeiten und erschweren den Ausweg ohne Gesichtsverlust.

Rundblick: Wie lautet denn die Alternative zu solchen Netzwerken?

Prof. Menzel-Riedl: Die Alternative heißt Diversität. Die Kette der Ähnlichkeiten muss durchbrochen werden. Ich bin wahrlich keine Gegnerin von Netzwerken, diese sind nützlich, wenn es um die Durchsetzung bestimmter Pläne geht. Das Problem sind aus meiner Sicht die tradierten, eingefahrenen und fragwürdigen Netzwerke – und das Paradebeispiel bietet Putin. Wenn mehr Frauen in der Politik tätig werden, bekommen sie die Chance, neue Netzwerke an der Sache aufzubauen – und das kann mehr Vielfalt erzeugen, die für die Belebung einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar ist. Das Aufbrechen alter Muster kann nicht nur heilsam sein, sondern ist überfällig.

Rundblick: Wie beispielsweise agiert aus Ihrer Sicht die Bundesaußenministerin?

Prof. Menzel-Riedl: Annalena Baerbock ist belächelt worden im Wahlkampf und vor Antritt ihres Amtes. Als Newcomerin ist sie angetreten. Mittlerweile hat sie der Welt gezeigt, wie gut sie dem politischen System tut, sie hat sich Respekt erarbeitet. Ihre Rede vor der UN-Vollversammlung zeugt davon. Sie hat sowohl eine sachlich-realpolitische Position bezogen, als auch die persönliche Betroffenheit und die menschliche Perspektive des Kriegsgeschehens erwähnt. Dabei spürte man ihre Unabhängigkeit – und ihre erfrischende Art. Sie ließ sich nicht davon leiten, ausschließlich entlang früherer Beschlüsse ihrer Partei oder anderer politischer Vorgaben zu agieren. Sie sprach frei, emotional und sachlich – und zeigte, dass sie als Frau eine sehr viel größere Bandbreite der Auftrittsformen hat als viele ihrer männlichen Kollegen.

„Über die Breite betrachtet würde ich sagen, dass es eine Frau sehr viel schwieriger zustande bringen könnte, eine Politik des menschlichen Leides und der aggressiven Kriegsführung zu vertreten.“

Rundblick: Würden Sie so weit gehen zu sagen, dass Frauen sich nicht so entwickeln könnten wie die autoritären Herrscher nach der Art von Putin oder Lukaschenko?

Prof. Menzel-Riedl: Einzelfälle mag und wird es immer geben. Aber über die Breite betrachtet würde ich sagen, dass es eine Frau sehr viel schwieriger zustande bringen könnte, eine Politik des menschlichen Leides und der aggressiven Kriegsführung zu vertreten – und dafür dann noch die Zustimmung wenigstens eines Teils der Bevölkerung zu bekommen. Bei Margret Thatcher, die den Falkland-Krieg führte, hat es ja Proteste gegeben, sie spürte schnell den Druck, wenn ihre Politik nach der öffentlichen Meinung zu hart geworden war. Ich denke, eine von Unnachgiebigkeit geprägte Politik, die großes Leid verursacht, würde von einer Frau so nicht vertreten werden, solange sie von der Zustimmung der Bevölkerung abhängt.

Rundblick: Noch eine persönliche Frage: Heute ist der internationale Frauentag, sie wurden damals als jüngste Hochschulpräsidentin ins Amt eingeführt. Hat sich die Universität an Sie gewöhnt?

Prof. Menzel-Riedl: Ich habe erstmal gedacht, ok, das ist jetzt eine gute Story. Ich bin offensichtlich ein anderer Typ als meine Vorgänger und das fällt auf und lässt sich gut auch medial aufgreifen. Aber eigentlich war ich davon ausgegangen, dass sich die Dinge schnell relativieren und niemandem mehr auffällt, dass unsere Uni von einer Frau geleitet wird. Aber das stimmt nicht. Es fällt noch immer auf und gerade Menschen, die neu an unsere Uni kommen, erwähnen das auch sehr positiv. Für Studentinnen und Wissenschaftlerinnen hat es eine Bedeutung, zu sehen, dass ein ambitionierter Job mit Familie und guter Laune zusammengebracht werden kann. Damit bin ich einigen Menschen zum Rollenvorbild geworden – ob es mir passt oder nicht.

„Ich bin einigen Menschen zum Rollenvorbild geworden – ob es mir passt oder nicht.“

Rundblick: Unterscheiden sich männliche und weibliche Führungskräfte vom Typ?

Prof. Menzel-Riedl: Führungskräfte unterscheiden sich immer voneinander. Sicher gibt es da Stile, die an bestimmten Faktoren festgemacht werden könnten. Überlegen Sie einmal mit: Ältere Führungskräfte haben vielleicht einen anderen Stil als jüngere. In Banken finden wir möglicherweise einen anderen Führungsstil als in einem jungen Start-up. In Familienunternehmen finden wir andere Führungsstile als im Großkonzern. Aber schon bei den Beispielen merken Sie: Es könnte sich unterschiedlich darstellen, muss es aber nicht. Und Hand aufs Herz: Haben Sie sich jetzt bei den Beispielen eher Männer vorgestellt als Frauen? Sehen Sie: Viele der Vorstellungen, die vielleicht auch Ihnen jetzt durch den Kopf gegangen sind, sind Zuschreibungen. So ist das. Es gibt Unterschiede, aber sie sind nicht pauschal und unterscheiden nicht trennscharf Männer von Frauen. Die Zuschreibungen, die unterscheiden sich aber schon. Und zwar deutlich. Eine der maßgeblichsten Zuschreibungen ist,  dass mit Frauen – und auch ich kann mich davon nicht freimachen! – eher nicht gerechnet wird, wenn wir über Führung sprechen.