Früher war das Stromnetz weitgehend autark
Das mitteleuropäische Verbundnetz ist mittlerweile so groß, dass es von Dänemark über Deutschland bis in die Türkei reicht. Es besteht aus mehreren Ebenen. Die Kraftwerke speisen ihren Strom, der regional nicht benötigt wird, in die Höchstspannungsnetze ein. Tennet ist einer von 34 europäischen Betreibern eines solchen Übertragungsnetzes. Mit einer Spannung von 380 und 220 Kilovolt fließt der Strom kilometerweit durch ihre Überlandleitungen. Wo er gebraucht wird, zapfen Transformatoren Strom ab, wandeln ihn in eine Spannung von 110 Kilovolt um und schicken ihn weiter durch Verteilnetze. Hieraus wiederum fließt der Strom in einer Spannung von 30 bis 40 Kilovolt in die lokalen Mittelspannungsnetze. Und diese verteilen ihn auf die nur wenige Hundert Meter langen Niederspannungsnetze, die den Strom mit 0,4 Kilovolt in die Steckdosen leiten. „Das System der Stromerzeugung funktionierte früher normalerweise weitgehend geplant, sozusagen an das Stromnetz angepasst. fast automatisch. Größere Netzeingriffe waren damals nur relativ selten nötig, vielleicht drei, vier Mal im Jahr“, sagt Weinreich. Doch Mitte der Neunziger kamen die Strombörse und die Erneuerbare-Energie-Offensive. Die Kraftwerke produzieren Strom nicht mehr zur reinen Bedarfsbefriedigung, sondern auch zur eigenen Gewinnmaximierung. Und durch die erneuerbaren Energien werden Kraftwerke nicht mehr dort gebaut, wo Bedarf besteht, sondern dort, wo die Stromproduktion am günstigsten ist. „Dadurch hat sich unser Aufgabenbereich als Netzbetreiber komplett verändert“, sagt Weinreich. „Wir sind jetzt für die Netzstabilität und die Versorgungssicherheit zuständig, zusätzlich müssen wir den Strom heute über weitere Distanzen dorthin transportieren, wo er gebraucht wird.“ [caption id="attachment_28306" align="alignnone" width="656"]
So wie die Stromverbindung zwischen Deutschland und Norwegen soll auch der Suedlink nach Bayern funktionieren. Grafik: Tennet[/caption]
Die Stromproduktion hat sich hauptsächlich in den Norden verlagert. Hier weht ein starker Wind, hier gibt es viele Flächen für Sonnenkollektoren. Doch der Strombedarf ist auch im Süden hoch. Also muss der Strom aus dem Norden in den Süden geleitet werden. Das bringt jedoch die bestehenden Netze an ihre Kapazitätsgrenzen. Die Stromtrasse Suedlink soll dieses Problem beheben. Wie bei einem Nonstop-Flug fließt hier der Strom gleichförmig durch ein Höchstspannungskabel unter der Erde von Wilster in Schleswig-Holstein nach Grafenrheinfeld in Bayern. Erst dort wird er wieder in die Hochspannungsnetze eingespeist. Doch der Suedlink ist nur der Anfang. Auf allen Ebenen werden die Netze ausgebaut werden müssen. „Je nach Wetterlage decken Windräder und andere erneuerbare Energieproduzenten in einigen Gebieten den gesamten Strombedarf und produzieren lokal noch mehr Strom, der weitergeleitet werden muss“, sagt Weinreich. Doch momentan scheitert der Abtransport meist an Engpässen in nachgelagerten Verteilnetzen oder am sogenannten vertikalen Engpass. Dieser kommt dadurch zustande, dass das Höchstspannungs-Übertragungsnetz aus den Verteilnetzen keinen Strom aufnehmen kann. „Um eine Überlastung der Netze zu verhindern, bleibt uns im Moment daher oftmals nur, einen Teil der Windräder vom Netz zu nehmen“, sagt Weinreich.
Dazu kommt der horizontale Engpass. Denn die ertragreichsten erneuerbaren Energien unterliegen starken Schwankungen. Weht kein Wind und scheint keine Sonne, müssen verlässlichere Energiequellen wie Kohle- oder Wasserkraftwerke die fehlende Stromleistung erbringen. Dadurch wird aber weniger in die Höchstspannungsnetze eingeleitet. Damit in Bayern trotzdem genug Strom aus der Steckdose kommt, müssen dort Kraftwerke angefahren werden, obwohl sie teurer Strom produzieren als die im Norden. Dafür weisen die Ingenieure der operativen Netzsteuerung eine bestimmte Zahl von Kraftwerksbetreibern an, ihre Produktion hochzufahren. Der Fachbegriff dafür lautet „Redispatch“, übersetzt „Neuversendung“. Griffen die Ingenieure der operativen Netzsteuerung vor der Energiewende ins Netz ein, dann ein oder zweimal im Jahr. Mittlerweile werden sie mehr als 1000 Mal im Jahr tätig, 2015 nahezu jeden Tag. Nur so lässt sich das Netz noch stabil halten.


