Wenn SPD, CDU und Grüne gleichauf sind, ist der Wahlkampf plötzlich ganz anders. I Foto: Sven Brauers/Grüne LV Niedersachsen, CDU Niedersachsen, Christian Wilhelm Link, Niklas Kleinwächter I Montage: Audrey-Lynn Struck

Jetzt beginnt die Sommerpause – und für viele Wahlkämpfer ist das die letzte Gelegenheit, noch mal ein paar Tage durchzuatmen, bevor dann spätestens Mitte August der Wahlkampf alle Kräfte absorbieren wird. Dann sind es noch rund sieben Wochen, bis die Wähler über die Zusammensetzung des neuen, des Landtags in der 19. Wahlperiode entscheiden. Die Hoffnung der Sozialdemokraten lautet, dass sich die Partei bundesweit erholt und in Niedersachsen eine Bevölkerungsmehrheit erkennt, wie angenehm der freundliche Stephan Weil als oberster Repräsentant arbeitet. Sein Amtsbonus könnte in der Schlussphase voll zur Entfaltung kommen. Die Hoffnung der Christdemokraten ist, dass die CDU die SPD wird überholen können und Bernd Althusmann Boden wettmacht. Und die Grünen hoffen, im Ringen der beiden anderen möglichst stark zu werden – womöglich gar so stark wie die anderen.

Das Kopf-an-Kopf-Rennen von Sozial- und Christdemokraten ist in niedersächsischen Wahlkämpfen schon eine bekannte Erscheinungsform, zuletzt hatte es dies 2017 gegeben, 2013 ebenso. Anders als 2013 war 2017 allerdings kein ausgeprägtes Lagerdenken, Rot-Grün gegen Schwarz-Gelb, mehr zu erkennen. Sollte sich nun in den kommenden Wochen die Aufwärtsbewegung der Grünen noch verstärken, begünstigt beispielsweise durch einen sehr heißen und trockenen Sommer, der den Klimawandel umso mehr als drängendes Problem bestätigt, so könnte Niedersachsen erstmals einen Dreikampf um die Spitze erleben – eine ähnliche Konstellation wie zum Start des Bundestagswahlkampfes 2021. Dies hätte aber Folgen für die Wahlkämpfer, weil jahrzehntealte Gewissheiten plötzlich in Frage gestellt würden. Hier einige Beispiele dafür, wie eine solche Situation die gewohnten Abläufe durcheinanderwirbeln könnte:

Ein Dreikampf lässt Rot-Grün fragwürdig werden:

Das schon früh gegebene Selbstbekenntnis von Stephan Weil, er strebe für die nächste Wahlperiode eine rot-grüne Mehrheit an, war genau so gemeint, wie er es gesagt hat: „Rot-Grün“ und nicht etwa „Rot-Grün oder Grün-Rot“. Im Wahlkampf von Weil ist die Möglichkeit, dass die SPD Juniorpartner eines Grünen-Ministerpräsidenten werden könnten, nicht vorgesehen – und wohl auch nicht denkbar. Dies würde am starken Selbstbewusstsein der niedersächsischen Sozialdemokratie, die sich sehr klar auf den Mann an der Spitze ausgerichtet hat, zu sehr rütteln. Damit wird die Frage aufgeworfen, ob die Bereitschaft der SPD für ein Bündnis mit den Grünen tatsächlich noch so groß sein würde, wenn die Grünen (wie etwa in der Landeshauptstadt Hannover) stärker werden sollten als die Sozialdemokraten.

Ein Dreikampf bedeutet Stress für die Grünen-Wahlkämpfer:

Am Komfortabelsten für die Grünen wäre es, wenn sie erst auf den letzten Metern – wenige Tage vor der Wahl – kräftig zulegen und CDU oder SPD überholen würden. Liegen sie vorher schon vorn, kommen unweigerlich unangenehme Fragen auf sie zu: Würde Julia Hamburg Ministerpräsidentin werden? Wenn ja, warum sagen die Grünen das nicht jetzt schon? Hat sie vielleicht nicht das Format? Drängt Christian Meyer vielleicht anstelle von Julia Hamburg nach vorn? Sind da vielleicht noch Leute im Hintergrund, die nicht in Erscheinung treten und eher den Vorzug bei der Besetzung der Spitzenposition hätten? Haben die Grünen überhaupt ein austariertes Personaltableau für die höchsten Posten nach der Landtagswahl? Solche Fragen drohen, die Grünen in die Defensive zu drängen – so wie es mit Annalena Baerbock 2021 geschehen war. 

Ein Dreikampf trägt zur Ent-Ideologisierung bei: 

Wenn SPD, CDU und Grüne fast auf Augenhöhe sind, liegt damit auch die Chance für Schwarz-Grün ähnlich gut wie die für Rot-Grün. Mit ihrer neuen Stärke emanzipieren sich die Grünen von ihrem traditionellen Bündnispartner SPD. Damit verschwinden die Lagergrenzen. Der große Verlierer dieser Konstellation ist die FDP, weil über sie am Ende kaum noch jemand reden wird – denn ihre Relevanz für die Mehrheitsbildung schwindet. Begünstigt durch die schwarz-grünen Regierungen in NRW und Schleswig-Holstein werden neue Verbindungslinien zwischen Christdemokraten und Grünen sichtbar – allerdings, und das ist die Schattenseite, auch mögliche Dissens-Punkte in dieser Konstellation.

Bei einer schwarz-grünen Perspektive werden einige Akteure der kapitalismusfeindlichen Grünen-Jugend aufschreien – ebenso wie der rechte Flügel der CDU, der auf Verbrennungsmotoren, Nackensteaks und Umgehungsstraßen setzt. Es sind vor allem die kulturellen Differenzen zwischen konservativ-ländlichen Christdemokraten und großstädtisch-fortschrittlichen Grünen, die dann auf die Probe gestellt werden. Die spannende Frage wird sein, was am Ende bei Schwarz-Grün entscheidender sein wird, die Machtperspektive oder die tradierten gegenseitigen Vorbehalte.

Ein Dreikampf schwächt die Autorität der Spitzenkandidaten: 

Die SPD setzt im Wahlkampf auf die Figur von Stephan Weil, die CDU auf die von Bernd Althusmann. Doch wenn eine Regierung später aus zwei fast gleichstarken politischen Kräften bestehen wird, von denen eine Kraft die Grünen sind, kann der nächste Ministerpräsident nicht die Stärke entfalten, die ihm seine eigene Partei gern andichten will.  Er muss dann mehr moderieren als führen. Aber die Bilder von Weil und Althusmann auf den Plakaten dürften die von entschlossenen Anführern sein, nicht die von zurückhaltenden Gesprächsvermittlern. Das Missverhältnis zwischen Anspruch und erwarteter Wirklichkeit könnte sich dann zu Lasten von SPD und CDU auswirken.