15. Jan. 2023 · 
Wirtschaft

Warum Handel, Industrie und Mittelstand das geplante EU-Lieferkettengesetz fürchten

Diskutieren auf der Domotex in Hannover über die Herausforderungen durch das neue EU-Lieferkettengesetz für die Textil- und Möbelindustrie (von links): Bert Bergfeld, Roman Eberharter, Bernd Lange, Yasmine Farid Khamis und Moderator Marc Semmler. | Foto: Link

Für Großunternehmen gilt seit Jahresbeginn das neue Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG). Es verpflichtet Firmen mit Sitz in Deutschland, beim Einkauf von Materialien auf Umweltstandards und die Einhaltung von Menschen zu achten. Doch weil das Gesetz für sämtliche Produktionsschritte im In- und Ausland gilt, ist es in der Wirtschaft als „Bürokratiemonster“ verschrien. Und dass die EU-Kommission eine europäische Version des Lieferkettengesetzes mit noch schärferen Vorgaben vorbereitet, hebt nicht gerade die Stimmung. „Unsere Sorge ist nicht, dass das Gesetz nicht notwendig ist. Daran gibt es gar keine Zweifel. Wir erwarten jedoch Bürokratie in Bereichen, die absolut unnötig sind“, sagte Bert Bergfeld vom Bundesverband Großhandel Heim und Farbe (GHF) am Freitag bei einer Podiumsdiskussion auf der Domotex in Hannover, der internationalen Leitmesse für Teppich und Bodenbeläge. Weil die holz- und textilverarbeitenden Branchen ganz besonders vom Lieferkettengesetz betroffen sind, hatten sie EU-Parlamentarier und Handelsexperten Bernd Lange zum Gespräch eingeladen. Der SPD-Politiker machte zwar deutlich, dass die Bedenken der Unternehmen in Brüssel angekommen sind. Letzte Zweifel konnte er aber nicht vom Tisch räumen.

EU-Handelsexperte Bernd Lange stellt auf der Domotex die Planungen für das neue EU-Lieferkettengesetz vor. | Foto: Link

„Wir wollen keinen Schnellschuss produzieren. Hier gilt wie im Straßenverkehr: Sicherheit vor Schnelligkeit“, betonte Lange. In Brüssel habe die Diskussion gerade erst begonnen, die Beratungen im EU-Parlament würden frühestens Ende dieses Jahres beginnen. Das deutsche Lieferkettengesetz gilt zunächst für Unternehmen mit mindestens 3000 Beschäftigten im Inland, ab 2024 wird diese Grenze auf 1000 Arbeit­­­­nehmer abgesenkt. Die für 2025 geplante EU-Regelung soll bereits für Unternehmen mit 500 Mitarbeitern gelten. In einigen Branchen ist laut Lange sogar eine Untergrenze von 250 Beschäftigten im Gespräch. Insbesondere die kleineren und mittleren Betriebe dürften aber nicht überfordert werden. „So ein Betrieb kann sicher nicht einschätzen, ob der Zulieferer die erforderlichen Kriterien erfüllt“, stellte Lange fest. Er forderte deswegen die Schaffung einer Datenbank, die den Unternehmen bei der Risikobewertung hilft. Und er stellte die Anerkennung von bereits bestehenden, freiwilligen Zertifikaten in Aussicht.

„Der Import von Ahornsirup aus Kanada hat eine andere Risikostufe als der Import von T-Shirts aus Bangladesch."

Bernd Lange (SPD), Vorsitzender des EU-Handelsausschusses

Lange sagte auch, dass innerhalb der Lieferkette priorisiert werden müsse. Ein Material, das nur ein Prozent der Wertschöpfung ausmache, sei der Überprüfung eher zu vernachlässigen. Ein Vorprodukt, das an der Wertschöpfung besonders großen Anteil habe, müsse dafür umso mehr in den Blick genommen werden. Außerdem gebe es viele Produkte aus hochentwickelten, demokratischen Staaten, die man eigentlich überhaupt nicht betrachten müsse. „Der Import von Ahornsirup aus Kanada hat eine andere Risikostufe als der Import von T-Shirts aus Bangladesch“, sagte Lange.

„Die Grundintention ist sicherlich richtig, Nachhaltigkeit weltweit zu etablieren. Nur steckt der Teufel im Detail. Wir regulieren uns zu Tode, die Unternehmen brauchen Luft zum Atmen“, kommentierte Roman Eberharter das geplante EU-Liefergesetz. Der Geschäftsführer eines österreichischen Bettenherstellers und Präsident des europäischen Möbel-Handelsverbands FENA bewerte die neuen Vorgaben als einen Versuch, Verantwortlichkeit auf die Wirtschaft abzuwälzen. „Es wäre hilfreicher und sinnvoller, wenn die Politik mittels Handelsabkommen sicherstellt, dass die Kriterien eingehalten werden“, sagte Eberharter und fügte hinzu: „Wir brauchen Standards, die die EU bei ihren Partnern einfordern muss.“ Lange versicherte jedoch, dass genau das bereits geschehe. „Die Europäische Union hat 50 Handelsabkommen mit über 70 Ländern“, stellte der Vorsitzende des EU-Handelsausschusses klar. Entsprechende Vereinbarungen gebe es etwa für Holz aus Vietnam oder Kakao aus Ghana und der Elfenbeinküste. Die Wirtschaft müsse aber auch einen Beitrag leisten. „Natürlich werden die Unternehmen die Zwangsarbeit in Malaysia nicht abschaffen können. Aber ich erwarte von ihnen, dass sie den Spielraum nutzen, den sie haben“, sagte Lange.

Eberharter kritisierte, dass ausgerechnet die EU wieder einmal voranprescht und den europäischen Unternehmen einen Wettbewerbsnachteil beschert. Die ägyptische Unternehmerin Yasmine Farid Khamis widersprach allerdings dieser Einschätzung. „Ich habe den Eindruck, dass die USA bei dem Thema vorangehen“, sagte die CEO von Oriental Weavers Carpets, einem der weltweit führenden Teppichherstellern. Der Konzern beschäftigt nach eigenen Angaben rund 26000 Mitarbeiter in 130 Ländern und verkauft weltweit 48 Teppiche pro Minute. Seit etwa acht Jahren würden Großkunden wie Ikea oder Walmart ihre Unternehmensgruppe immer stärker auditieren, um die Einhaltung von Umweltzielen und Menschenrechten zu überprüfen. Die US-amerikanische Großhandelskette Costco etwa führe inzwischen jährlich drei Unternehmensprüfungen durch und könne ihre Ansprüche auch problemlos durchsetzen. „Sie haben die Macht, jede Lieferung zu stoppen“, sagte Khamis. Die Familienunternehmerin wies darauf hin, dass es in der Branche eigentlich schon genügend freiwillige Labels gebe. „Wir brauchen nur einen kleinen Schubs, damit sie auch von allen verwendet werden“, so Khamis. „Der Handel hat einen großen Hebel, er muss sich aber auch auf Labels verlassen können“, bestätigte auch FENA-Präsident Eberharter. Einig waren sich die drei Wirtschaftsvertreter in ihrem Ruf nach einer White- und Blacklist. Dadurch könne unnötige Bürokratie vermieden und Risiken frühzeitig aufgezeigt werden.

Diskutieren auf der Domotex in Hannover über die Herausforderungen durch das neue EU-Lieferkettengesetz für die Textil- und Möbelindustrie (von links): Bert Bergfeld, Roman Eberharter, Bernd Lange, Yasmine Farid Khamis und Moderator Marc Semmler. | Foto: Link

Für die Unternehmen ist die Frage der Haftbarkeit ganz entscheidend. Wer muss den Kopf hinhalten, wenn innerhalb der Lieferkette später Menschenrechtsverletzungen oder Umweltverbrechen festgestellt werden? Das fragen sich nicht nur die vom Liefergesetz direkt betroffenen Firmen. Die kleinen und mittleren Zulieferer befürchten, dass die Großunternehmen die Verantwortlichkeit an sie abwälzen werden. „Der Mitwirkungspunkt der mittelbar Betroffenen ist der Punkt, der große Verunsicherung schafft“, sagte GFH-Geschäftsführer Bergfeld und klagte: „Der Mittelstand ist immer zwischen Hammer und Amboss.“

Dass das Liefergesetz gerade hier eine Schwachstelle hat, ist auch Lange bewusst. „Das Risiko des Wegduckens ist da, aber das darf nicht passieren. Es kann nicht sein, dass Unternehmen die Verantwortung weiterschieben“, stellte der EU-Parlamentarier klar. Für ihn ist Transparenz das beste Mittel, um zu verhindern, dass sich Firmen aus der Pflicht stehlen. Die Unternehmen müssten die eigenen Anstrengungen offenlegen, die sie unternommen haben, um die Sorgfaltspflicht zu erfüllen – natürlich, ohne dabei Betriebsgeheimnisse verraten zu müssen. „Bevor wir über Sanktionen reden, geht es aber erst mal darum, dass man auch ein zuverlässiges Monitoring sicherstellt“, sagte Lange. Eine zivilrechtliche Haftung sieht er insgesamt kritisch. Schwerwiegende Verstöße müssten freilich durch Bußgelder geahndet werden, auch um die Opfer der Verstöße zu entschädigen. Laut dem deutschen Lieferkettengesetz sind Strafzahlungen von bis zu acht Millionen Euro oder bis zu zwei Prozent des weltweiten Jahresumsatzes möglich. Für die Kontrolle der unternehmerischen Sorgfaltspflicht ist das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) zuständig.

„Wenn wir den Lieferketten nicht Zeit geben, um sich auf das neue Gesetz einzustellen, kann das Ganze nach hinten losgehen. So ein Wechsel der Unternehmenskultur hat eine Lernkurve und braucht Zeit“, warnte Textilunternehmerin Khamis. Insgesamt hält sie den Gesetzesvorstoß aber eher für einen Segen als für einen Fluch. „Auch wir als Hersteller haben die Pflicht, eine bessere Zukunft für unsere Kinder zu hinterlassen. Und ich glaube, es ist höchste Zeit, dass wir damit anfangen“, sagte die CEO von Oriental Weavers Carpets. Die Einhaltung von Menschenrechts- und Umweltstandards sei für die Unternehmen letztlich kein Ding der Unmöglichkeit. Khamis: „In unseren Herzen wissen wir genau, was richtig und was falsch ist.“

Entwicklungsländer sollen nicht unter Liefergesetz leiden

Lange versicherte zudem, dass man den anderen Ländern durch das neue Gesetz nicht die europäischen Wertvorstellungen aufdrücken wolle. „Gesetzgebung hat die Aufgabe, die Lebensbedingungen der Menschen zu verbessern. Und wenn ein Gesetz dazu beiträgt, ist es ein gutes Gesetz“, sagte der EU-Politiker. Das Lieferkettengesetz dürfe nicht dazu führen, dass Unternehmen die Handelsbeziehungen zu Ländern wie etwa Äthiopien plötzlich abbrechen. Lange: „Unternehmen sollten sich nicht aus diesen Ländern zurückziehen, sondern sich aktiv für eine Verbesserung von Lebens- und Arbeitsbedingungen vor Ort einsetzen.“

Dieser Artikel erschien am 16.1.2023 in Ausgabe #006.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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