Einen Tag vor der mit Spannung erwarteten Vernehmung von Staatskanzleichef Jörg Mielke im Untersuchungsausschuss wird ein schwerer Verdacht gegen die Staatskanzlei laut: Die damals 32-jährige Angestellte Aynur C., Stephan Weils Büroleiterin, ist offenbar im Herbst 2023 auf Basis einer Regelung mit einer AT-Bezahlung bedacht worden, die einen solchen Schritt bei ihr gar nicht gestattet. Nach den neuen Vorgaben, die offenbar extra für den Fall C. getroffen wurden, müssen alle Anwärter „die beamtenrechtlich erforderlichen Bildungsvoraussetzungen erfüllt“ haben. Dies ist aber bei C. nach den bisherigen Erkenntnissen nicht der Fall gewesen – denn sie kann die nach den Vorgaben des niedersächsischen Beamtenrechts geforderten Qualifikationen nicht nachweisen. Dieser Sachverhalt war einer von mehreren Punkten, die der von der CDU eingeschaltete Gutachter Ralph Heiermann festgestellt hatte. Die Staatskanzlei hatte auf Heiermanns Einwände reagiert, in diesem konkreten Punkt aber eine merkwürdige Antwort gegeben, die Nachprüfungen kaum standhält.
Zur Vorgeschichte: Das Fachreferat des Finanzministeriums hatte sich monatelang geweigert, dem Wunsch der Staatskanzlei nach einer Höherstufung von C. zu folgen. Daraufhin wurde auf Bitten des Ministerpräsidenten eine Änderung der Praxis verfügt, die am 1. Dezember 2023 regierungsintern versendet wurde: Ein Einverständnis des Finanzministeriums zu einer AT-Vergütung für Beschäftigte in obersten Landesbehörden ist demnach unter vier Bedingungen nicht mehr erforderlich. Diese Bedingungen lauten: Es geht um eine Stelle zwischen A16 und B2, vorhandene Vertragsmuster müssen verwendet werden, die Person muss „die für das entsprechende Statusamt beamtenrechtlich erforderlichen Bildungsvoraussetzungen erfüllen“ und es muss genug Geld vorhanden sein. Die strittige Frage ist, welche Bildungsvoraussetzungen C. mitbringt. Sie hat einen Abschluss „Master of Laws – Taxation“, also mit Schwerpunkt Steuerrecht.
Regierungssprecherin Anke Pörksen schreibt in der Erwiderung auf Heiermann, C. habe damit die „laufbahnrechtlichen Bildungsvoraussetzungen nach der Niedersächsischen Laufbahnverordnung (NLVO) erfüllt“. Am Wahrheitsgehalt dieser Aussage sind indes große Zweifel erlaubt. In Paragraph 24 der NLVO heißt es nämlich: „Die Studiengänge müssen geeignet sein, in Verbindung mit einem Vorbereitungsdienst oder einer beruflichen Tätigkeit die Laufbahnbefähigung zu vermitteln.“ Pörksen schreibt, dies sei ja bei C. gegeben – mit Blick auf die „Fachrichtung wissenschaftliche Dienste“. Tatsächlich aber ist in Paragraph 25 der NLVO klar vorgegeben, welche beamtenrechtlichen Bildungsvoraussetzungen für spezifische Tätigkeiten bestehen – und das wären bei C. laut Ziffer 13 der Anlage 4 zur NLVO „überwiegend verwaltungswissenschaftliche, sozialwissenschaftliche, politikwissenschaftliche oder wirtschaftswissenschaftliche Inhalte“ des Studiengangs. Die Büroleiterin ist nämlich im „allgemeinen Dienst“ tätig und nicht – wie Pörksen schreibt – im „wissenschaftlichen Dienst“. Damit spricht viel dafür, dass die Staatskanzlei C. ohne vorheriges Einverständnis des Finanzministeriums per Kabinettsbeschluss hochgestuft hat, obwohl dies die neue Rechtsgrundlage gar nicht zugelassen hat. Damit wäre die Berufung von C. rechtswidrig.
Interne Kritik in der Staatskanzlei: Am 21. November 2023 hatte das Kabinett den AT-Vertrag für C. beschlossen, die höhere Bezahlung nach B2 erhielt sie dann rückwirkend zum 1. August 2023. Diese Rückwirkung hatte, wie aus vertraulichen Hinweisen hervorgeht, zu internen Nachfragen in der Staatskanzlei geführt. Abteilungsleiter Kolja Baxmann soll sich Mitte November bei Mielke erkundigt haben, ob das Finanzministerium mit der rückwirkenden Geltung denn einverstanden sei – die Zustimmung des Ministeriums sei nämlich wichtig. Daraufhin soll Mielke knapp geantwortet haben, er verstehe den Schriftverkehr mit Finanz-Staatssekretärin Sabine Tegtmeyer-Dette „als Zustimmung zur rückwirkenden Eingruppierung in diesem Fall“. Hat Mielke hier die Wahrheit gesagt? Tegtmeyer-Dette erklärte am 2. Mai als Zeugin im Untersuchungsausschuss, ihr sei kein Ja ihres Ministeriums zu einer rückwirkenden Gewährung bekannt. Die Referatsleiterin Corinna Kuhny aus dem Finanzressort sagte als Zeugin, eine rückwirkende Inkraftsetzung einer AT-Bezahlung sei „unüblich“ in der Verwaltung. Dass Mielke trotzdem darauf beharrte, sogar gegen interne Bedenken der Staatskanzlei, dürfte ihn aktuell belasten – und macht seine Vernehmung am Donnerstag spannend.