16. Apr. 2024 · 
Inneres

Weils „Richter“ wird jemand, zu dem der Ministerpräsident einen guten Draht hat

So mancher hat höchst irritiert reagiert auf die Personalnachricht, die sich vor einigen Wochen andeutete und dieser Tage just bestätigt wurde. Den Parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zur Büroleiter-Affäre des Ministerpräsidenten Stephan Weil wird niemand geringeres leiten als Dirk Toepffer, der einstige Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion. Um zu ermessen, was das heißt, muss man die Rollen erklären. Übertragen auf einen Gerichtsprozess würde das bedeuten: Der „Richter“ ist Toepffer – und der „Angeklagte“, vorgeladen durch die antragstellende CDU, ist der sozialdemokratische Ministerpräsident. Das Vergehen, das in etlichen Zeugenaussagen beleuchtet werden muss, ist die Einstellung der Büroleiterin von Weil nach einem Regelwerk, das vorher so nicht bestanden hat. Ist also auf Weils Veranlassung das Recht für eine Genossin geändert und auf einen Einzelfall extra zugeschnitten worden? Oder war alles korrekt, da es ja gar nicht nur um den Einzelfall gegangen ist? Diese Fragen hat der Ausschuss zu klären.

Dirk Toepffer | Foto: Tobias Koch

Da ist nun also der „Richter“ Toepffer und sein „Angeklagter“ Weil – passt das im Verhältnis der beiden überhaupt? Die Personalie hat in beiden politischen Lagern Stirnrunzeln ausgelöst. Toepffer gilt als schneidiger Jurist, kann geschliffen formulieren und zuspitzen. Beim politischen Gegner ist er dafür gefürchtet. Außerdem hat er im politischen Geschäft seit Beginn seiner Landtagstätigkeit 2008 den Ruf, irgendwie immer zwischen den verschiedenen Lagern zu stehen, nie ein „Parteisoldat“ im klassischen Sinne zu sein. Das macht ihn in gewisser Weise unberechenbar und stark. Er, von Sternzeichen Zwilling, kann plötzlich ganz unerwartet reagieren. Den Vertretern von SPD und Grünen, die nun die Verteidigung von Weil übernommen haben, dürfte das gar nicht schmecken. Ein PUA-Vorsitzender, der den Ruf eines unabhängigen Geistes hat, passt schlecht in die bisherige Strategie der rot-grünen Koalition, der CDU in der Büroleiter-Affäre eine „Kampagne“ vorzuwerfen. SPD-Fraktionsgeschäftsführer Wiard Siebels hatte wiederholt erklärt, die Christdemokraten hätten ihr Urteil über Weil doch längst gefällt, und sie wollten den PUA doch nur wie einen Schauprozess einsetzen – ohne echtes Erkenntnisinteresse. Mit Toepffer als Vorsitzendem passt das schlecht überein, denn alle im Landtag wissen: Für taktische Spielchen dieser Art wäre der 58-jährige Rechtsanwalt nicht zu haben. Er übernimmt diese Aufgabe nur, wenn er sie auch ernst nimmt und selbst bestimmt, wie er sein Amt ausführt.

Foto: CDU Fraktion Nds

Aber auch in der CDU gab es Vorbehalte gegenüber Toepffer, die meist nicht offen, sondern eher versteckt geäußert werden. Die Frage kam auf, ob der „Richter“ überhaupt richten kann, wenn so gut bekannt ist mit dem „Angeklagten“. Tatsächlich kennen und schätzen sich beide, Toepffer und Weil, lange und gut. Es war 2003 beim Bockbier-Anstich in Hannover, als sie einen Abend lang am Stehtisch plauderten – über Gott, die Welt und das Wesen der Politik. Weil, damals Stadtkämmerer von Hannover, galt seinerzeit schon als der nächste OB-Kandidat der SPD in Hannover. Nur offiziell erklärt war das noch nicht. Toepffer, damals frisch gewählter Vorsitzender des CDU-Kreisverbandes Hannover, war schon früh als OB-Kandidat seiner Partei nominiert. 2006 traten sie dann gegeneinander an, Weil gewann in der SPD-Hochburg wie erwartet deutlich – aber Toepffer erinnert sich noch, wie überaus fair und würdevoll der Sieger den Unterlegenen damals behandelt hatte. Seither herrscht zwischen beiden eine gewisse Grundsympathie, manche sagen: Freundschaft. Das sollte sich viel später wieder zeigen, in den Jahren 2020 bis 2022, als Weil Ministerpräsident war und Toepffer Chef der CDU-Fraktion, des Koalitionspartners. In der Corona-Krise wurden wesentliche Entscheidungen der Großen Koalition in einem Vierer-Club früh besprochen und vorentschieden. Weil und Toepffer waren dabei, auf der CDU-Seite noch Vize-Ministerpräsident Bernd Althusmann, bei der SPD die Landtagsfraktionsvorsitzende Johanne Modder. Auch heikle Themen klärte die Runde ab – und wie verabredet wurde das dann auch durchgezogen.

Dennoch: Der politische Lebensweg der beiden ist unterschiedlich. Toepffer war jahrelang der Kopf der CDU in Hannover, strategisch und organisatorisch. Er führte eine Partei in der traditionellen Minderheitenrolle. Sein OB-Kandidat schaffte es 2019 zwar in die Stichwahl, aber ein großer Sieg blieb den Christdemokraten in der Landeshauptstadt eigentlich immer verwehrt. Im Landtag führte Toepffer 2017 bis 2022 die CDU-Fraktion, aber anschließend flog die CDU aus der Regierung. Die Mitverantwortung an der Seite der SPD zahlte sich nicht aus. Inzwischen wirkt Toepffer zuweilen, als löse er sich aus der Landespolitik. Gesprochen hat er in dieser Wahlperiode in Plenardebatten noch nicht, obwohl er doch ein hervorragender Redner ist. Weil hingegen konnte an seine OB-Zeit in der SPD-Herzkammer Hannover nahtlos die Ministerpräsidentenzeit anschließen, die nun schon elf Jahre dauert. Politischer Erfolg ist dem Sozialdemokraten stets garantiert gewesen, dem Christdemokraten indes nur selten. Dieses Missverhältnis zwischen den beiden hat ihre gegenseitige Wertschätzung bisher nicht beeinflusst. Aber vielleicht sieht Toepffer im Aufeinandertreffen die Chance, dem bisher so erfolgreichen Weil einen Spiegel vorzuhalten und ihm seine Schwächen zu zeigen. Das wäre wohl die Hoffnung der CDU-Strategen. Oder aber der Ausschussvorsitzende Toepffer sieht sich aus langjähriger Verbundenheit zu Weil veranlasst, den Ministerpräsidenten gegen allzu harte Angriffe seiner eigenen Parteifreunde in Schutz zu nehmen. Das könnte die Hoffnung der Sozialdemokraten sein. Was passieren wird, weiß heute keiner.

Das führt zu der Frage, wie stark eigentlich die Rolle des Vorsitzenden in einem PUA ist. Aus der Geschichte der bisher 24 Untersuchungsausschüsse im niedersächsischen Landtag lässt sich keine eindeutige Antwort ableiten. Es hat solche Gremien gegeben, in denen sich der Vorsitzende stark zurückhielt und die Befragung der Zeugen weitgehend den Vertretern der Fraktionen überließ – das sind im nächsten PUA zur Büroleiter-Affäre dann wohl vor allem Carina Hermann von der CDU, Wiard Siebels von der SPD und Volker Bajus von den Grünen. Wen die AfD benennen wird, ist noch nicht sicher. Der Vorsitzende hat es aber in der Hand, selbst den Hauptteil der Arbeit zu bestreiten und zu Beginn einer jeden Vernehmung selbst das Gespräch zu leiten. Da Toepffer ein leidenschaftlicher Jurist ist, die Debatte liebt und auch die Positionierung im Gerichtssaal, könnte ihm ein solches Amtsverständnis vermutlich eher liegen. Von ihm selbst wird es im Wesentlichen abhängen. So vieles ist zu beachten: die Reihenfolge der Zeugenvernehmungen, die Vertiefung einiger Untersuchungsfragen und die Vernachlässigung von anderen. Wie geht man mit Zeugen um, die Erinnerungslücken vorgeben? Dass sich Toepffer in solchen Fragen der CDU-Strategie unterwerfen würde, ist eher nicht zu erwarten. Dass er das Aufklärungsinteresse ganz nach oben stellt, unterdessen schon.

Dieser Artikel erschien am 17.4.2024 in Ausgabe #071.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

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