13. Nov. 2022 · 
P und P

Wie ein junger SPD-Abgeordneter plötzlich zu einem außenpolitischen Experten wird

Adis Ahmetovic (Mitte rechts) und Europa-Staatsminister Michael Roth (Mitte links) gehen durch Sarajevo. | Foto: Jasmin Agovic

Der Name verrät viel über ihn, und schon die Schwierigkeit bei dessen Aussprache gehört gewissermaßen zu seiner Biographie. Adis Ahmetovic, 29 Jahre alt und seit 2021 Bundestagsabgeordneter, außerdem SPD-Chef in der Landeshauptstadt Hannover, stammt aus einer bosnisch-herzegowinischen Familie. Er ist in Hannover geboren, aber weil seine Eltern Kriegsflüchtlinge während des Jugoslawienkrieges waren, hatte er in den ersten Jahren nur die bosnisch-herzegowinische Staatsangehörigkeit. Erst viel später, als die rechtlichen Möglichkeiten geändert waren, gab Ahmetovic seinen bosnisch-herzegowinischen Pass ab und holte sich einen deutschen. Für ihn war das gewissermaßen ein Schritt der Integration, ein Zeichen dafür, zur deutschen Gesellschaft wirklich dazu zu gehören.

Adis Ahmetovic im Gespräch mit den Rundblick-Redakteuren Klaus Wallbaum und Niklas Kleinwächter. | Foto: Link

Manchmal führen die persönlichen Wege einen dorthin zurück, wo man eigentlich gar nicht hingewollt hatte. Als Ahmetovic in den Bundestag kam, meldete er sich für den Auswärtigen Ausschuss. Er hat zuhause neben Deutsch auch Bosnisch gelernt, und so war er auch ideal vorbereitet für ein Thema, das in Deutschland wohl nur eine Handvoll Politiker interessiert, obwohl es doch für die Sicherheitslage Europas von großer Bedeutung ist – die politische Lage auf dem Balkan, der dortige russische Einfluss und Bemühungen um eine Demokratisierung der Region. Die Politik führte Ahmetovic in die alte Heimat seiner Eltern, nach Bosnien und Herzegowina. Zu den handelnden Akteuren der Region pflege er gute Kontakte, ein enger Berater von ihm ist etwa der frühere Bundespostminister Christian Schwarz-Schilling von der CDU, der schon seit Jahrzehnten für eine Befriedung der Region eintritt – und ebenso wie Ahmetovic gar nicht erfreut ist über Tendenzen, die sich dort verfestigen und die autoritären Regimen in die Hände spielen.

Foto: Admir Kuburovic

Die Lage in Bosnien und Herzegowina ist seit 1995, dem Ende des Jugoslawien-Krieges und dem Dayton-Abkommen, kaum vergleichbar mit der Lage in anderen Ländern. Der Staat bleibt zwar formal unabhängig, souverän und ungeteilt, doch es gibt eine strikte Aufteilung nach drei ethnischen Gruppen – den orthodoxen Serben, den katholischen Kroaten und den muslimischen Bosniaken. In den staatlichen Organen müssen alle drei Ethnien abgebildet werden, alle acht Monate wechselt die Führung des Staates zwischen diesen. Auch die Gerichte sind derartig geordnet. Wer als Jude oder evangelischer Christ in Bosnien und Herzegowina lebt, ist in der Repräsentanz nicht vorgesehen. „Das alles ist eine Form von Apartheid im 21. Jahrhundert, und das mitten in Europa“, sagt Ahmetovic. Eine Sonderrolle hat auch der Hohe Repräsentant, der sozusagen als Wächter der internationalen Staatengemeinschaft in Bosnien und Herzegowina agiert und das Recht hat, eigene Vorschriften und Regeln zu erlassen. Es handelt sich um Christian Schmidt von der CSU, den früheren deutschen Bundeslandwirtschaftsminister.

Diese Zustände sind aus Sicht des SPD-Abgeordneten Ahmetovic aus zwei Gründen nicht mehr tragbar. Erstens fühlten sich viele Menschen in Bosnien und Herzegowina in diesem System der ethnischen Einteilungen und Klassifizierungen eingeengt, immer mehr junge Leute würden das Land verlassen. Zweitens biete dieses System, das einst zur Friedenssicherung und Stabilisierung des Gleichgewichts der Kräfte gedacht war, den Gegnern der Demokratie nun die perfekte Kulisse für starken, immer stärker werdenden Einfluss. Das betrifft vor allem die Serben mit ihrer schon traditionellen Russlandnähe, aber auch die Türkei, die Chinesen und den Ungarn. Bei vielen Menschen in Bosnien und Herzegowina bemerkt Ahmetovic auf seinen Reisen in die Region „einen tiefsitzenden Frust über Brüssel, Berlin und Paris“, sagt er. Denn die europäische Politik habe sich nicht um die Region gekümmert, obwohl das heute dringender denn je nötig sei – gerade dann, wenn man Flüchtlingsströme über die Balkan-Route klären oder das Verhältnis zur Türkei ordnen wolle.

Will mit den Bosniern auf Augenhöhe reden: Adis Ahmetovic. | Foto: Tomasz Lipinski

Die richtige Antwort auf die Probleme besteht für Ahmetovic zum einen in einer Staatsreform für Bosnien und Herzegowina. Die Leute sollten wie in einer normalen Demokratie ihre Politiker direkt wählen können – unabhängig von Einteilungen in Ethnien und ohne Rücksicht auf ein religiöses Kastensystem. Wenn man einen klaren Weg beschreibe, wie die Länder auf dem Balkan in die EU integriert werden können, sei das auch das angemessene Signal an die Menschen, dass sie in Europa willkommen sind. Denn beispielsweise in Bosnien und Herzegowina sei die Bevölkerung schon in die Richtung der EU orientiert, doch sie verliere zunehmend die Hoffnung, dass es auf absehbare Zeit zu diesem Schritt kommen kann. Die Zeit der „Appeasement-Politik“, einer Annäherung an autoritäre Mächte zum Zweck eines wirtschaftlichen Vorteils und verbunden mit der Hoffnung auf „Wandel durch Handel“, hält Ahmetovic für endgültig gescheitert. Der Sozialdemokrat setzt auf die Stärken der europäischen Idee und auf die klare demokratische Haltung – und dazu gehöre es auch, längst überfällige demokratische Reformen endlich in Gang zu bringen. Was Serbien angehe, könne es schon ein erster Schritt sein, wenn die Repräsentanten der EU, auch der deutschen Bundesregierung, „bei ihren Staatsbesuchen nicht immer nur die Vertreter der Regierung treffen würden, sondern auch die der Opposition und der Zivilgesellschaft.“

Adis Ahmetovic | Foto: Link

Verbündete in seinem Ziel hat Ahmetovic schon gewonnen – parteiübergreifend. Die Grünen-Europaabgeordnete Viola von Cramon aus Göttingen zählt dazu, ebenso der FDP-Bundestagsabgeordnete Konstantin Kuhle aus Göttingen, oder auch der Christdemokrat Michael Brand aus Fulda. Der größte Gegner für diese Gruppe von Politikern, die sich vehement für Reformen einsetzen, sind aber nicht unbedingt diejenigen, die bisher immer diplomatische Zurückhaltung und eine Politik der Vorsicht etwa gegenüber der serbischen Regierung gepredigt haben. Die sind auch ein Problem, sicher. Aber schlimmer noch sind die vielen in der Politik, die sich für das Schicksal von Ländern wie Bosnien und Herzegowina gar nicht interessieren, weil ihr Horizont an den eigenen Landesgrenzen endet.

Niklas Kleinwächter, Klaus Wallbaum und Adis Ahmetovic. | Foto: Link
Dieser Artikel erschien am 14.11.2022 in Ausgabe #201.
Klaus Wallbaum
AutorKlaus Wallbaum

Artikel teilen

Teilen via Facebook
Teilen via LinkedIn
Teilen via X
Teilen via E-Mail