Kurz vor der Sommerpause geraten Wirtschaftsministerium und Staatskanzlei unter Druck: Sie sollen zu sorglos bei der Vergabe von Aufträgen gewesen sein und Favoriten regelrecht bevorzugt haben. Mehrere Fälle sind in den vergangenen zwei Monaten bekannt geworden. Ab August soll im neuen Vergabe-Ausschuss alles aufgeklärt werden. Aber wie war das nochmal mit Neoskop, der Sieben-Städte-Tour und dem Herrn Kronacher? Ein Wirtschaftskrimi in fünf Akten:

 

Der Fall Kronacher und die Sieben-Städte-Tour

 

August 2013: Die Marketingtochter des Landes, Innovatives Niedersachsen GmbH, veranstaltet einen Workshop. Es geht um die Suche nach einem neuen Claim für Niedersachsen. Die Staatssekretärin und Aufsichtsratschefin der Marketingtochter, Daniela Behrens, soll den Auftrag gegeben haben, als Workshopleiter den Kommunikationsberater Michael Kronacher anzufragen. Staatssekretär Jörg Mielke gibt später zu, man hätte auch zwei andere Berater fragen müssen, doch das sei nicht passiert.

Sommer 2014: Vertreter des Wirtschaftsministerium treffen sich mit der Leitung des Radiosenders ffn, um über eine mögliche Kooperation bei der geplanten Sieben-Städte-Tour zu sprechen. Ein Sprecher erklärt später, das Treffen sei als „Markterkundung“ zu bewerten und damit erlaubt.

Sommer 2014: Der Pressesprecher des Wirtschaftsministeriums schickt acht Wochen vor der Ausschreibung eines Projektmanagers für die Sieben-Städte-Tour den Entwurf des Ausschreibungstextes an Roman Mölling, ehemaligen Leiter der Kommunikation beim ADAC Niedersachsen. Mölling gewinnt später die Ausschreibung.

Im Wirtschaftsministerium wurde die 7-Städte-Tour zur Elektromobilität organisiert – Foto: Jakob Brüning

Januar 2015: Der Pressesprecher schreibt an den neuen Projektmanager, die Ministeriumsspitze habe weitere Verhandlungen mit ffn abgesegnet. Staatssekretärin Behrens schließt nicht aus, dass das „Okay“ von ihr kam.

24. Februar 2015: Die Staatskanzlei schreibt drei Agenturen , darunter auch die von Michael Kronachner, an. Darin geht es laut eines Sprechers der Staatskanzlei „vorrangig um die Prozesssteuerung der weiteren Claim-Findung und Entwicklung“. Die Agenturen bekommen für ihr Angebot 13 Tage Zeit, was dem Sprecher zufolge für „professionell arbeitende Agenturen mehr als ausreichend“ ist. Zwei Agenturen gaben kein Angebot ab – eine hatte sich nicht gemeldet, die andere um eine Fristverlängerung gebeten, die aber abgelehnt wurde.

März 2015: Kronacher bekommt den Auftrag zur Beratung bei der Ausschreibung für den Niedersachsen-Claim.

Kronacher. Klar. In der Staatskanzlei lief in einer Kronacher-Affäre einiges schief – Foto: Jakob Brüning

März 2015: Die Moderation für die Sieben-Städte-Tour wird ausgeschrieben. ffn gewinnt die Ausschreibung mit seinem Angebot in Höhe von 14.500 Euro. Ein Mitbewerber wollte 27.000 Euro haben, ein anderer Sender wollte gar kein Geld für die Kooperation.

Winter 2015: Das Referat für Vergaben kritisiert die Entscheidung, die im Büro des Ministers und der Staatssekretärin getroffen wurde. In einer E-Mail heißt es, die Begründung sei nicht zulässig. Denn die Gründe, warum ffn ausgewählt worden war, spielten in den Kriterien für die Leistungsbeschreibung und dem Vertragsentwurf gar keine Rolle. Außerdem enthalte das Angebot von ffn formale Fehler. Kritik gibt es auch, weil das Wirtschaftsministerium nach der Auswahl pauschal zugesagt haben soll, Kost und Logis für den jeweiligen Moderator zu übernehmen. Die Einwände bleiben folgenlos.

Frühjahr 2015: Das Wirtschaftsministerium veranstaltet die Sieben-Städte-Tour, bei der in ausgewählten Städten die neusten Elektrofahrzeuge mehrerer Hersteller vorgestellt werden. Es gibt ein Programm, bei dem die Bürger für das Thema E-Mobilität interessiert werden sollen. In einer E-Arena gibt es Musik und Comedy. Moderiert wird das Programm von Radiojournalisten von ffn.

 

Der Neoskop-Auftrag

 

10. Dezember 2015: Daniela Behrens, Stattssekretärin im Wirtschaftsministerium, trifft sich mit Vertretern der hannoverschen Webeagentur „Neoskop„. Es geht um die Gestaltung einer neuen Webseite für Standortmarketing und Behrens will ausloten, welche Ideen Neoskop hat. Die Werbeexperten stellen in einer Präsentation vor, wie eine solche Webseite aussehen könnte. Behrens bespricht mit ihnen die Zielgruppen und den Sinn der Webseite.

Januar 2015: Behrens trifft sich erneut mit Vertretern von Neoskop. Spätestens jetzt, so gibt die Staatssekretärin später zu, hätte das Unternehmen als vorbefasst gelten müssen. Entweder hätte man es vom Verfahren ausschließen und für die Beratung bezahlen müssen, oder man hätte sich mit allen anderen Mitbewerbern unter den gleichen Voraussetzungen treffen müssen. Doch nichts davon geschah.

Frühjahr 2016: Neoskop bewirbt sich neben sieben weiteren Unternehmen auf die Ausschreibung der Webseite – mit einem Angebot für 180.000 Euro der teuerste Bewerber. Das günstigste Angebot sollte 50.000 Euro kosten.  Behrens sagt später, Neoskop hätte durch die Qualität überzeugt. Die Opposition wirft dem Wirtschaftsministerium später vor, hier vorsätzlich gehandelt zu haben. Denn weil die Qualität am Ende entscheidend war, dann hatte Neoskop allein dadurch einen Vorteil, weil die Agentur vorher wusste, wie die Seite aussehen sollte. Im Auswahlverfahren sollte der Angebotspreis nur ein Gewicht von 30 Prozent auf die Entscheidung gehabt haben.

September 2016: Die Staatskanzlei entscheidet über den neuen Niedersachsen-Claim.

 

Die Repräsentanz in Chicago

 

September 2016: Das Wirtschaftsministerium vergibt einen Auftrag für die Gründung einer Niedersachsen-Repräsentanz in Chicago an die „Hannover Fairs USA“, eine Tochtergesellschaft der Deutschen Messe AG. 200.000 Dollar (181.000 Euro) soll das Unternehmen dafür bekommen haben. Eine Ausschreibung ist bei diesem Betrag nicht nötig, doch mindestens drei Angebote sollen vor einer solchen Vergabe eingeholt werden. Doch ob es Mitbewerber gab, ist offen.

März 2017: Minister Olaf Lies eröffnet die Niedersachsen-Repräsentanz in Chicago.

Inzwischen auch mit Niedersachsen-Repräsentanz: Chicago – Foto: Oleg Podzorov

10. Mai 2017: Die europaweite Ausschreibung für den dauerhaften Betrieb der Niedersachsen-Dépendance in Chicago beginnt. Fraglich ist, ob es je eine Auswertung des Modellversuchs durch die Hannover Fairs USA gegeben hat. Denn bei der jetzigen Vergabe hätte die Hannover Fairs USA als Startbetreiber die besseren Startbedingungen.

 

Die Vergabe-Affäre beginnt

 

13. Mai 2017: Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Website-Gestaltung an Neoskop werden öffentlich.

14.Mai 2017: Der CDU-Politiker Uwe Schünemann bezeichnet das Verhalten bei Neoskop als Untreue, denn dem Land sei durch das teure Angebot von Neoskop ein Schaden entstanden. Wirtschaftsminister Olaf Lies dagegen bezeichnet die Ereignisse als Vergabefehler.

15. Mai 2017: Der Landesrechnungshof will das Vergabeverfahren im Fall Neoskop prüfen.

16. Mai 2017: Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe der Sieben-Städte-Tour werden öffentlich.

17. Mai 2017: Wirtschaftsminister Olaf Lies gibt im Parlament Verfahrensfehler bei der Sieben-Städte-Tour zu. Der Pressesprecher, der bei der Vergabe des Moderationsauftrags an ffn eine zentrale Rolle gespielt hat, wird versetzt.

18. Mai 2017: Die Staatsanwaltschaft Hannover leitet in den Fällen Neoskop und Sieben-Städte-Tour Verfahren ein. Ermittelt wird gegen Staatssekretärin Daniela Behrens und gegen unbekannt. Der Vorwurf lautet: wettbewerbsbeschränkende Absprachen bei Ausschreibungen.

18. Mai 2017: Wirtschaftsminister Olaf Lies entlässt auf ihren Wunsch die Staatssekretärin Daniela Behrens wegen der Vorwürfe im Fall Neoskop. Sie soll Einfluss auf das Auswahlgremium genommen zu haben.

18. Mai 2017: Die Opposition fordert einen Untersuchungsausschuss, um die Vergabefehler aufzuklären.

22. Mai 2017: Die Staatsanwaltschaft sichert die Akten zu den Fällen Neoskop und Sieben-Städte-Tour im Wirtschaftsministerium.

25. Mai 2017: Die Unregelmäßigkeiten bei der Vergabe des Chicago-Dépendance werden öffentlich.

 

Aufarbeitungs-Versuche

 

28. Mai 2017: Die FDP reicht einen Katalog mit 100 Fragen zu den Vergabevorwürfen bei der Landesregierung ein.

29. Mai 2017: Die Wirtschaftsprüfer von PricewaterhouseCoopers (PwC) prüfen den Fall Neoskop.

2. Juni 2017: Die Landesregierung antwortet auf den 100-Fragen-Katalog. Es gabe bei der Chicago-Vergabe vier Anbieter gegeben, doch drei seien abgesprungen, sodass nur die Deutsche Messe-Tochter übrig blieb. Die FDP sieht dennovch einen Vergabeverstoß, weil freihändige Vergaben ohne vorherige Ausschreibung nur bis 25.000 Euro zulässig sind, hier geht es aber um 181.000 Euro.

9. Juni 2017: Das Gutachten von PwC liegt vor. Darin stellen die Wirtschaftsprüfer im Fall Neoskop gravierende, vergaberechtliche Fehler fest.

  • Der erste sei die starke Beteilung von Neoskop vor dem Verfahren gewesen.
  • Der zweite soll das „optimierte Vermarktungskonzept“ gewesen sein, bei dem Neoskop und Google jeweils Geld im fünfstelligen Bereich bekommen hätten, um die Webseite gut sichtbar zu platzieren. Für die Wirtschaftsprüfer eine Ausweitung des Vertrags und damit ausschreibepflichtig.

9. Juni. 2017: Minister Olaf Lies kündigt die Bildung einer Zentralen Vergabestelle im Wirtschaftsministerium an.

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14. Juni 2017: Der Landtag beschließt, einen Untersuchungsausschuss für die Vergaben einzusetzen.

15. Juni 2017: CDU und FDP werfen der Regierung einen weiteren Vergabe-Fall vor, die Entstehung des Claims „Niedersachsen.klar“ und die Rolle des Beraters Michael Kronacher.

20. Juni 2017: Der Untersuchungsausschuss zur den Vergabefehlern trifft sich zum ersten Mal.

August 2017: Der Untersuchungssausschuss soll Minister Olaf Lies befragen.