18. Nov. 2021 · 
Justiz

Wie weit geht das Beichtgeheimnis? Prälat Bernard plädiert für die strenge Beachtung

Der Leiter des katholischen Büros in Niedersachsen, Prälat Felix Bernard, hat sich in einem längeren Aufsatz mit einer zentralen Frage auseinandergesetzt: Soll das Beichtgeheimnis, das Priester gegenüber den Beichtwilligen zu wahren haben, eine Grenze haben? Soll es beispielsweise für Pfarrer und andere Seelsorger verpflichtend werden, dass sie die Polizei und Justiz informieren, wenn sie von einer geplanten Straftat hören oder auch von Fällen von Kindesmissbrauch? Bernard zitiert Regeln in Australien und in Kalifornien, die vor nicht allzu langer Zeit dort erlassen worden sind. So seien Priester im australischen Hauptstadtterritorium dazu verpflichtet, Vorwürfe des Missbrauchs an die Behörden zu melden – selbst dann, wenn sie in einer Beichte davon Kenntnis bekommen haben. Bei Zuwiderhandlungen droht ihnen dann eine Gefängnisstrafe von bis zu zwei Jahren. Bernard, der sich wiederholt wissenschaftlich mit theologischen Fragen beschäftigt hat und auch lehrt, ist nun dem Beichtgeheimnis auf den Grund gegangen.

Prälat Felix Bernard. | Foto: Katholisches Büro Niedersachsen

Dabei arbeitet er die Besonderheiten dieser Vorschrift heraus. Die geistliche Schweigepflicht bestehe schon seit dem 13. Jahrhundert und könne als „älteste Datenschutzvorschrift in der Rechtgeschichte“ bezeichnet werden. Seit dem Jahr 1215 verlange die katholische Kirche die absolute Wahrung des Beichtgeheimnisses. In jenem Konzil von 1215 heiße es wörtlich, dass der Bruch des Beichtgeheimnisses für den Beichtvater mit Absetzung und Verbannung in ein strenges Kloster geahndet werden solle. Diese Weisung werde in der katholischen Kirche bis heute strikt eingehalten. Bernard nennt in einem Aufsatz, den er in einer Festschrift für den scheidenden theologischen Hochschullehrer Andreas Weiß veröffentlicht hat, mehrere Beispiele für tragische Schicksale im Zusammenhang mit dem Beichtgeheimnis. So habe 1393 König Wenzel den Priester Johannes von Nepomuk zunächst foltern und ihn dann von der Prager Karlsbrücke in die Moldau werfen lassen, weil dieser sich geweigert hatte, die ihm von den Königs Frau anvertrauten Geheimnisse zu offenbaren. Seither werde Johannes von Nepomuk als Märtyrer verehrt. Der Münchener Geistliche Hermann Josef Wehrle war von Beteiligten am Hitler-Attentat am 20. Juli eingeweiht worden. Als er sich später weigerte, den Inhalt der Beichte preis zu geben, verurteilte ihn Volksgerichtshofpräsident Roland Freisler zum Tode und ließ ihn im September 1944 hinrichten.

Prälat Bernard: Beichtgeheimnis ist absolut vertraulich

Wie Bernard herausarbeitet, wird in der Wissenschaft kontrovers diskutiert, ob der Beichtende den Priester überhaupt von der Schweigepflicht entbinden kann. Selbst diejenigen, die das bejahten, meinten aber, dass ein Priester sich nicht darauf einlassen solle, sondern darauf hinwirken müsse, weitere Gespräche zu führen, in denen die zur Weitergabe gedachten Fakten dann geklärt werden. Die absolute Vertraulichkeit des Beichtgeheimnisses gehe so weit, dass ein Priester einer Eheschließung selbst dann assistieren müsse, wenn er vorher in der Beichte Hinweise bekommen hat, die die spätere Nichtigkeit der Ehe bewirken. Rechtlich wäre das Beichtgeheimnis dann dem Zeugnisverweigerungsrecht gleichgestellt, wie es etwa auch für Anwälte, Journalisten oder Ärzte gilt. Aber während die anderen Gruppen aus beruflichen Gründen ihre Schweigepflicht hätten und davon entbunden werden könnten, gehe das beim Priester viel weiter. Bernard schreibt: „Das Beichtgeheimnis erweist sich in der Praxis als Ernstfall des menschlichen Grundrechts auf Wahrung der Intimsphäre und des guten Rufes. Die Beichte ist mehr als ein Gespräch von Mensch zu Mensch. In der Beichte ist der eigentliche Zuhörer Gott.“ Der Sinn liege darin, „dem reuigen Sünder das Aussprechen seiner Schuld zu ermöglichen. Ihm wird zugesagt, dass gerade nicht als letztes Wort auf das Schuldbekenntnis das Gericht wartet, sondern die Barmherzigkeit Gottes.“ Von daher, meint Bernard, bestehe auch ein Allgemeininteresse am Schutz des Beichtgeheimnisses, auch in den Kontexten von Mord, Verrat, sexuellem Kindesmissbrauch oder der gesellschaftlichen Forderung nach mehr Transparenz.

Foto: GettyImages/SeventyFour
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #208.
Christian Wilhelm Link
AutorChristian Wilhelm Link

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