Schon seit Monaten steht das Jugendamt des Landkreises Hameln-Pyrmont im Verdacht, die Anzeichen für einen Missbrauch eines Mädchens nicht beachtet und den Pflegevater nicht ausreichend überprüft zu haben. Der Mann lebte auf einem Campingplatz in Lügde (Kreis Detmold), nach heutigen Erkenntnissen gehörte er einem Trio an, dem 298 Straftaten an 23 Kindern vorgeworfen werden. Nun kommt ein weiterer Vorwurf an die Adresse der Hamelner Behörde hinzu: Die Staatsanwaltschaft Hannover geht Hinweisen nach, dass das Jugendamt noch in einem anderen Fall die notwendigen Schritte unterlassen haben soll – es geht um die Eltern einer sechsköpfigen Familie, die im Februar 2019 im nordrhein-westfälischen Höxter festgenommen wurden. Zwei Kinder wurden damals der Obhut des Jugendamtes von Höxter übergeben. Da die Familie erst kurze Zeit vorher aus dem Kreis Hameln-Pyrmont nach Höxter übersiedelte, schöpfte die Behörde in Höxter Verdacht – prüfte und schrieb eine Anzeige.

Die Justizbehörden gingen dem nach und sehen bisher keine Entwarnung. „Ermittelt wird gegen zwei Mitarbeiterinnen des Jugendamtes. Wir prüfen den Anfangsverdacht, ob durch pflichtwidriges verspätetes Eingreifen körperliche Misshandlungen ermöglicht wurden“, sagte Thomas Klinge, Sprecher der Staatsanwaltschaft Hannover, auf Anfrage des Politikjournals Rundblick. Klinge kann aber nicht bestätigen, ob es sich bei einer der Mitarbeiterinnen um die Frau handeln soll, die für die Vertuschung der Versäumnisse im Fall Lügde verantwortlich sein soll.

Über den neuen Verdachtsfall und die Zusammenarbeit der Behörden wurde am gestrigen Donnerstag intensiv in einer vertraulichen Sitzung des Landtags-Sozialausschusses beraten. Wie aus Teilnehmerkreisen anschließend zu hören war, erkundigten sich mehrere Abgeordnete nach organisatorischen Mängeln bei der Kooperation von Behörden – auch der Jugendämter. Manche Politiker im Ausschuss sollen erschrocken reagiert haben, als sie von den neuen angeblichen Versäumnissen im Hamelner Jugendamt erfahren hatten. Im Fall Lügde hatte die Behörde, wie Landrat Tjark Bartels später einräumte, mehrfach frühe Warnhinweise auf eine mögliche pädophile Neigung des Pflegevaters, der auf einem Campingplatz lebte, übersehen oder ignoriert.

Eine Mitarbeiterin soll später versucht haben, mit einer Manipulation in der Akte die Spur, die auf das Versagen der eigenen Behörde deutete, zu verwischen. In dem aktuellen neuen Fall, der vergangenen Februar mit der Festnahme der Eltern in Höxter aufflog, ist von Vorwürfen gegen die vorher noch im Kreis Hameln-Pyrmont lebende Familie die Rede, auf die das Jugendamt Hameln-Pyrmont ebenfalls nicht angemessen reagiert haben soll. Der Sozialausschuss des Landtags will sich in den nächsten Wochen mit der Frage beschäftigen, wie stark die Qualität der Jugendämter voneinander abweicht – und ob Überlastungen oder organisatorische Versäumnisse ursächlich sind für eine Häufung von Pannen in bestimmten Ämtern wie hier beispielsweise in Hameln-Pyrmont.

Kreistag will Behördenhandeln der vergangenen Jahre aufhellen

Unterdessen schlägt die Debatte über die Fehler des Jugendamtes Hameln-Pyrmont auch in den politischen Gremien des Landkreises hohe Wellen. Dort bemüht sich der Jugendhilfeausschuss des Kreistages, das Handeln der Behörde in den vergangenen Jahren aufzuhellen. Dazu gehört auch die Frage, wie die etwa 70 Kinder betreut wurden und werden, die vom Jugendamt im Familienumfeld – also bei Verwandten oder Bekannten – untergebracht worden sind. Die CDU-Kreistagsabgeordnete Ursula Körtner, ehemals Landtagsabgeordnete, soll in der jüngsten Sitzung die Frage aufgeworfen haben, ob der SPD-Kreistags- und -Landtagsabgeordnete Ulrich Watermann befangen sein könne und an der Beratung nicht mitwirken dürfe. Watermann ist formal Geschäftsführer einer Jugendpflegeeinrichtung, die von seinen Töchtern betrieben wird. Watermann verwehrte sich gegen die von Körtner ausgedrückte Unterstellung, in seiner Einrichtung könnten Kinder nicht ordnungsgemäß versorgt werden. Dies seien „ungeheuerliche Vorwürfe“, die CDU müsse sich dafür entschuldigen.


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