27. Aug. 2015 · 
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Zum Tage: In Bewegung

(rb) Manchmal hat es auch etwas Gutes, wenn sich Fremdenfeindlichkeit derartig Bahn bricht wie im sächsischen Heidenau, wo Kanzlerin Angela Merkel am Mittwoch, wenige Tage nach den Krawallen und Übergriffen auf Flüchtlinge und Polizeibeamte, von Rechtsextremen mit dem Schlachtruf „Wir sind das Pack“ begrüßt worden ist. Denn selten war die Aufmerksamkeit der großen Politik für die Nöte der Kommunalpolitik so groß wie in diesen Tagen, die geprägt sind von brennenden Asylbewerberunterkünften ebenso wie von überbordender Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung. Das bislang eher als „Betroffenheitstourismus“ an den Brennpunkten der Tagesaktualität geschmähte Auflaufen von Bundespolitikern erreicht sein Ziel. Sei es der Besuch von Bundesinnenminister Thomas de Maizière im Lager Friedland oder auch die aktuellen Stationen, die die Kanzlerin derzeit an prekären Quartieren macht – all das verfehlt seine Wirkung nicht. Konkrete Hilfe vor Ort können die Betroffenen zwar nicht erwarten, aber die klaren Worte, die etwa Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel gefunden hat, als er den Begriff vom „Pack“ prägte, der ihm und seiner Partei einen so gewaltigen „Shitstorm“ von rechts und so viel Solidarität vom Rest der Welt eingebracht hat, sind von vielen Menschen als regelrecht befreiend empfunden worden. Aber es geht nicht nur um mehr oder weniger große und prägnante Worte. Offenbar kommt nach diesen bewegten Tagen auch in die konkreten Fragen Bewegung. Die Staatskanzlei in Hannover übte sich am Mittwoch in „vorsichtigem Optimismus“, was die Finanzierung der Flüchtlingsversorgung betrifft. Die jetzt auf die Länder verteilten weiteren 500 Millionen Euro Bundesmittel, die bereits vor Monaten verabredet waren, werden wohl nicht das Ende der Fahnenstange sein, war die Gesamtsumme doch einst auf der Grundlage von 350 000 erwarteten Flüchtlingen auf eine Milliarde Euro festgelegt worden, während der Bundesinnenminister inzwischen eine Zahl von rund 800 000 bis zum Jahresende als sicher bestätigt hat. Auch die Vorschläge aus Niedersachsen und anderen Bundesländern, den Ländern und Kommunen die Unterbringung unter erleichterten bürokratischen Bedingungen zu erlauben, fallen in Berlin auf fruchtbaren Boden. Große Hoffnungen setzen Länder und Kommunen in den Flüchtlingsgipfel, der für den 24. September im Kanzleramt angesetzt ist und für weitere Klarstellungen sorgen soll – auch über die Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterbringung und Versorgung der Asylbewerber. De Maizière hatte bereits am Dienstag in Friedland von einer „strukturellen Hilfe“ des Bundes gesprochen und Unterstützung für die niedersächsische Bundesratsinitiative signalisiert, ebenso wie Bundeswirtschaftsminister Gabriel, der zumindest bei der Zulassung von Ausnahmen von den strengen Vorgaben des Vergabegesetzes großzügig agieren will. Das gilt auch für die Bundesumweltministerin hinsichtlich der energetischen Anforderungen beim (Um-)Bau von Gebäuden für die Unterbringung von Asylbewerbern. Die Staatskanzlei wusste zudem von Überlegungen auf Bundesebene zu berichten, den Kommunen direkte finanzielle Unterstützung zukommen zu lassen, auch wenn dies eine erneute Änderung des Grundgesetzes notwendig machen würde. Einen Tag nach dem Flüchtlingsgipfel steht bereits die Bundesratsinitiative Niedersachsens auf der Tagesordnung der Länderkammer, für die sofortige Sachentscheidung beantragt werden soll. Einer Zustimmung sämtlicher Ebenen dürfte nichts im Wege stehen, wenn Bund, Länder und Gemeinden beim Gipfel tatsächlich im Schulterschluss und lösungsorientiert beschließen werden, wie dies u.a. auch der Bundesinnenminister in Friedland eingefordert hatte. az
Dieser Artikel erschien in Ausgabe #154.
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