(rb) In diesem Jahr sollen es also noch einmal so viele Flüchtlinge werden wie im vergangenen Jahr oder sogar noch viel mehr. Diese Einlassungen von Ministerpräsident Stephan Weil in der Flüchtlingsdebatte im Landesparlament können nach der jeweiligen Sichtweise interpretiert werden. Entweder wollte Weil alle diejenigen, die bereits die aktuelle Lage als ausgereizt betrachten, in Angst und Schrecken versetzen, oder er wollte uns mit Realitäten vertraut machen, an denen offenbar kein Weg vorbeiführt. So oder so, hat er allerdings keine Lösungsvorschläge angeboten, außer dem einen, dass der Bund zu einer Kehrtwende kommen muss, was auch immer damit gemeint ist.
In den Kommunen werden diese feinen Unterschiede der Verantwortlichkeiten zwischen Bund und Land inzwischen nicht mehr gemacht. Dass die Unterbringung in den Gemeinden trotz der massiven Probleme immer noch funktioniert und in Teilen sogar schon mit ersten Integrationsmaßnahmen begonnen wird, ist aus ihrer Sicht kein Grund, auch nicht für das Land, die Hände in den Schoß zu legen und die Dinge weiterhin der Kommunalpolitik zu überlassen. So ist zumindest das Fazit zu verstehen, das der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund (NSGB) nach einer Präsidiumssitzung in einem Gespräch in der Berliner Landesvertretung mit Staatssekretär Michael Rüter gezogen hat. Auch in den Kommunen ist man sich dessen bewusst, dass die Probleme in diesem Jahr erst richtig losgehen werden und die Flüchtlingsthematik alle anderen Fragen überdecken wird.
Allein bei der Unterbringung sind die meisten Kommunen längst am Limit. Gefragt sei jetzt die Förderung von Infrastruktur auch im ländlichen Raum, es fehle an allen Ecken und Enden, heißt es dort. Alle denkbaren Turnhallen seien belegt; niemand könne dort noch angemessen untergebracht werden. Zudem fehle es an einem planvoll gesteuerten Herangehen an die Integration, sowohl beim Bund als auch beim Land. Beide Ebenen hätten jetzt Entscheidungen zu treffen, die viel Geld kosten. „Wir müssen klotzen und nicht kleckern, damit wir wirksam helfen können“, meinte NSGB-Präsident Dr. Marco Trips in Berlin. Er forderte Bund und Land auf, die Frage zu beantworten, wie sie die Kommunen angesichts der dramatisch weiter steigenden Zuwanderungszahlen finanziell unterstützen wollen.
Bei aller Anerkennung für das Bündnis „Niedersachsen packt an“, um dessen Mitgliedschaft mittlerweile ein regelrechter Wettbewerb im politischen Raum des Landes ausgebrochen zu sein scheint, könne dies nur ein erster kleiner Schritt sein, mit dem der Blick auf die anstehenden Probleme gelenkt werde, findet Trips. Das könne aber bei weitem nicht ausreichen, denn es sei überhaupt nicht ersichtlich, dass die europäischen oder internationalen Maßnahmen wirken. Im Gegenteil: Inzwischen ist Deutschland gefühlt noch das einzige Land mit offenen Grenzen. Wenig Verständnis äußerte Trips dafür, wie wenig strukturiert der Bundestag nach wie vor über die Zuwanderungspolitik diskutiert und dass keine konkreten Maßnahmenpakete geplant sind.
Dennoch geht ein Großteil der Kritik an die Landesebene. „Wir brauchen eindeutig mehr Vertrauen statt Misstrauen in die kommunale Ebene“, sagt Trips und verweist auf die vielen bürokratischen Hindernisse, die die rotgrüne Landesregierung in ihrer nunmehr dreijährigen Amtszeit aufgebaut hat und die die derzeitigen Probleme mit der Zuwanderung nicht eben erleichtern. Als aktuelles Vorhaben wird die Raumordnung genannt, die die Ansiedlung von Supermärkten in kleinen und mittleren Städten und Gemeinden erschwere; beim Landesmediengesetz bleibe die kommunale Ebene ganz außen vor. Zusätzliche Kosten entstünden durch neu einzustellende hauptamtliche Gleichstellungsbeauftragte im Kommunalverfassungsgesetz und durch mehr Freistellung der Personalräte im Personalvertretungsgesetz. All das koste viel Geld und passe so gar nicht in diese Zeit. „Wir brauchen jetzt alle Kraft, um die große Aufgabe der Unterbringung und Integration der Flüchtlinge zu schaffen“, betonte Trips. Die Städte und Gemeinden erwarten Hilfe und vor allem Vertrauen, um aus der Krise zu kommen. azDieser Artikel erschien in Ausgabe #15.