(rb) Die Milchbauern in Niedersachsen blicken düsteren Zeiten entgegen. Seit Monaten erhalten sie von den deutschen Molkereien für ihre Milch keine kostendeckende Entlohnung. Die Erzeugerkosten für einen Liter Milch liegen bei 40 bis 45 Cent. In den Taschen der Landwirte landen nach durchschnittlich 42 Cent im Jahr 2013 derzeit nur noch etwa 26 Cent. Viel zu wenig, um moderne und artgerechte Kuhställe zu unterhalten, um die finanziellen Aufwendungen für Mitarbeiter, Investitionen, innovative Melkroboter oder anspruchsvolle Kühltechnik leisten zu können. Ein Ende der Talfahrt auf den Milchhöfen ist angesichts einer weltweiten Überproduktion von Milch nicht in Sicht. In der Folge werden sich wohl viele kleinere Betriebe von der Milchviehhaltung verabschieden, prognostiziert der Bauernverband. Sie können mit der Milch kein auskömmliches Einkommen mehr für ihre Familien erwirtschaften. Niedersachsen ist als Deutschlands Agrarland Nummer 1 besonders arg betroffen. Schließlich befindet sich in der Küstenregion zwischen Cuxhaven, der Wesermarsch und Ostfriesland Norddeutschlands Zentrum der Milchviehhaltung.
Doch das Dilemma ist nicht hausgemacht. Neben der Überproduktion sind das Einfuhrverbot nach Russland und der anhaltend schwächelnde Markt in China die aktuellen Hauptindikatoren, die den Milchbauern das Leben so schwer machen. Da wird es nur wenig nutzen, dass Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil auf seiner jüngsten Russland-Reise für eine Wiederöffnung des Marktes im östlichen Riesen-Reich geworben hat. Doch während der Ministerpräsident seit Monaten auf die Landwirte zugeht, Verständnis für deren wirtschaftliche Probleme äußert und sie vor öffentlichen Anfeindungen in Schutz nimmt, positioniert sich sein Landwirtschaftsminister von den Grünen erneut öffentlich mit ideologisch gefärbten Forderungen: Christian Meyer plädiert für eine Reduzierung der Milchmengen, mithin also für einen Rückbau der Milchviehbestände. Seit im Frühjahr die bis dahin europaweit geltende Milchquoten-Regelung beendet wurde, entwickle sich der freie Milchmarkt zum Wirtschaftshemmnis, stellt der Agrarminister fest. Mit verstärkten Exporten sei das Problem nicht in den Griff zu bekommen, allenfalls mit einer europaweiten Drosselung der Milchproduktion. Doch mit dieser Position wird Meyer den produzierenden Landwirten nicht gerecht. Die haben gerade in den letzten Jahren wegen des Auslaufens der Quotenregelung in neue Kuhställe investiert und müssen nun mit ihrem Milchgeld die für die Investitionen benötigten Bankkredite bedienen. Nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums in Hannover ist die Zahl der im Lande gehaltenen Milchkühe von 2010 bis 2014 um 8,6 Prozent auf rund 850 000 Tiere gestiegen.
Die Landwirte haben die Schuldigen für ihre finanzielle Misere längst ausgemacht: Der Lebensmitteleinzelhandel drücke die Preise, um mit immer neuen Sonderangeboten für Milch und Milchprodukte Kunden in die Supermärkte zu locken. Während die Milchbauern inzwischen auf gut ein Drittel des früheren Milchgeldes verzichten müssen, sind die Preise in den Regalen der Discounter nur um etwa 15 Prozent gesunken. Jüngstes Beispiel für eine drastische Preissenkung: Einer der ganz großen Supermarkt-Betreiber hat vor einigen Tagen den Preis für einen 150-Gramm-Becher Jogurt von 49 auf 25 Cent reduziert. Da bleibt für den Landwirt kein Geld übrig.
Mit Protesten, Demonstrationen und einem Trecker-Korso quer durch die Republik haben viele Landwirte in diesen Tagen auf ihre prekäre Lage aufmerksam gemacht. Sie setzen auf die Hilfe der Politik, verlangen mehr politischen Einsatz, um die Export-Märkte in Russland wieder bedienen und auch in China wieder Fuß fassen zu können. Doch die meisten Politiker agieren derweil eher hilflos. So hat Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt den Lebensmitteleinzelhandel im Visier und fordert bisher vergebens eine Abkehr von den ständig sinkenden Preisen für Milch und Milcherzeugnisse. Auch der Landesbauernverband in Niedersachsen will von staatlichen Eingriffen in den Milchmarkt nichts wissen. Heinz Korte, selbst Milchviehhalter und Vizepräsident des Niedersächsischen Landvolks, will mehr Wettbewerbsfähigkeit für die Höfe. Dem stünden leider zusätzliche Auflagen von Bund und Ländern entgegen. Staatliche Marktinterventionen seien keine Hilfe, sagte der Bauernfunktionär mit einem kritischen Blick zurück: Auch während der Zeit der staatlich organisierten Milchquoten-Regelung seien niedrige Auszahlungspreise für die Bauern nicht zu vermeiden gewesen. stuDieser Artikel erschien in Ausgabe #162.