Knapp zwei Jahre ist es nun schon her, dass in Hannover, Bonn und Berlin die Traktoren zu Tausenden vorgefahren waren, um gegen die Agrarpolitik in Bund und Land zu demonstrieren. Eine ganz neue Bewegung hat sich damals gegründet, die rasch zu politischer Relevanz und Einfluss gekommen ist – aber auch ganz übliche Startschwierigkeiten durchzustehen hatte. Spricht man heute mit Beobachtern und Akteuren von „Land schafft Verbindung“ (LsV), ist auch von „Wachstumsschmerzen“ die Rede.

Die vergangenen zwei Jahre waren agrarpolitisch aufgewühlte Zeiten, sie haben auch bei der Protestbewegung Narben hinterlassen. Ihr Spitzenpersonal wechselt häufig, die Strukturen brechen und formen sich neu. Es stellt sich die Frage, ob es der Protestbewegung gelingt, auch dauerhaft und vor allem verlässlich Politik mitzugestalten. Wo steht die Bewegung heute?

Traktor vor neuem Rathaus - v
Foto: Niklas Kleinwächter

Zunächst ein Blick zurück auf die Anfänge: Im Herbst 2019 herrschte in der Agrarbranche eine aufgeheizte Stimmung. Mit einem Agrarpaket wollte die Bundesregierung den Insektenschutz aufs Feld bringen, zeitgleich verhärteten sich die Fronten im Streit um Überdüngung und „rote Gebiete“. Dieselben Probleme treiben die Landwirte auch heute noch um. Hinzugekommen sind derweil Auseinandersetzungen mit dem Lebensmitteleinzelhandel um faire Preise und ehrliche Herkunftskennzeichnungen.

Dossier: Der Protest der Bauern

Knapp zwei Jahre ist es nun her, dass sich in Deutschland eine neue Protestbewegung etabliert hat. Steigende Auflagen für mehr Arten- und Klimaschutz gepaart mit sinkenden Einnahmen und viel Kritik aus der Gesellschft haben die Landwirte auf die Straße getrieben. Seit Oktober 2019 versucht „Land schafft Verbindung“ nun, die Agrarpolitik in Land und Bund mitzugestalten. Dossier ansehen (RB+)

Innerhalb kürzester Zeit formierte sich damals aus einer Facebook-Gruppe heraus eine Protestaktion, die tausende Landwirte mobilisierte. Die ersten Großkundgebungen in zahlreichen deutschen Städten markierten den Startpunkt dieser neuen Allianz der Unzufriedenen, die „zu Tisch“ riefen und „Verbindung schaffen“ wollten. Anfangs erhielten die plötzlich politisierten Landwirte in Niedersachsen noch Starthilfe vom etablierten Landesbauernverband, dem Landvolk. Doch das Verhältnis dieser beiden Organisationen blieb in den folgenden Jahren ein angespanntes. Man braucht einander, man teilt vieles, doch man missgönnt einander auch so manches. Es bleibt eben auch Konkurrenz.

Wabernde Strukturen, diffuse Verantwortlichkeiten

Vielleicht kann das Protestbündnis „Land schafft Verbindung“ als Fleisch vom Fleische des Landvolks beschrieben werden. Es waren vor allem die Junglandwirte, die man bei den Versammlungen der Landvolk-Kreisverbände immer weniger antreffen konnte, die sich schließlich in der neuen Bewegung formierten. Auch waren, zumindest zu Anfang, viele junge Frauen dabei.

Das erste Gesicht der Bauernbewegung war Henriette Struß, die zuvor mit Erklärvideos gegenüber recht vielen Followern den Alltag auf einem Milchviehbetrieb nähergebracht hat. Ihr Organisationstalent machte sie fast ein bisschen unfreiwillig zur Frontfrau der Bewegung – eine Position, die ihr am Ende doch nicht lag, als ihr der harsche Wind der realen Politik und der politischen Berichterstattung ins Gesicht blies. Dem Landvolk gehörte sie nicht an.


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Relativ schnell zog Struß sich zurück, weil man ihr eine mangelnde Abgrenzung von der AfD angelastet hatte – dabei bestand ihrerseits gar keine Nähe zu der Rechtsaußen-Partei. Ihr Nachfolger war Henning Stegeman, der eher zur CDU tendierte, allerdings auch nicht allzu lange an der Spitze stehen wollte. Aktuell gilt Dirk Koslowski als der erste Ansprechpartner in Niedersachsen. Darin zeigte sich ein Wesenskern der Protestbewegung, der sich bis heute hält: Eine eindeutige Führungsfigur kann und soll es wohl nicht geben. Die Strukturen bleiben wabernd, die Verantwortlichkeit diffus.

Foto: Niklas Kleinwächter

Schon bald bildeten sich bei „Land schafft Verbindung“ mindestens zwei Lager aus, die auch noch heute das zerstrittene Bild prägen. Es gibt auf der einen Seite jene, die konstruktiv mitarbeiten wollen, die sich in Gremienstrukturen begeben, komplizierte Verordnungstexte lesen und durchdringen und an Kompromissen mitwirken wollen. Auf der anderen Seite gibt es allerdings jene, die genau diesen Kurs ablehnen, die auf Maximalforderungen pochen, diese populistisch vortragen und mitunter krawallig auftreten.

Die erste Andeutung jenes Konfliktes offenbarte sich recht früh, gleich nach der ersten Protestwelle. Damals entzündete sich ein Führungsstreit, bei dem die Gründerin der bundesweiten Bewegung, die Niedersächsin Maike Schulz-Broers, aus dem losen Verband ausgeschlossen werden sollte. Der Grund war ein Treffen zwischen ihr und dem Präsidenten des Bundesbauernverbands. Man warf Schulz-Broers vor, sich selbst bereichern zu wollen. Damals kam es zu einem ersten Bruch, weshalb es auf Bundesebene jetzt die eher bedeutungsarme Organisation „Land schafft Verbindung – das Original“ von Schulz-Broers und die stärkere Einheit „Land schafft Verbindung – Deutschland“ gibt.

Bundessprecher Andresen hat sich zurückgezogen

Letztere Organisation wurde lange Zeit von Dirk Andresen repräsentiert, der die Protestbewegung auch in der von der Bundesregierung eingesetzten Zukunftskommission Landwirtschaft in unzähligen Sitzungen vertreten hat. Doch ausgerechnet kurz nachdem die Bauernbewegung im Juni 2021 auf einer Mitgliederversammlung im niedersächsischen Rinteln den Grundstein dafür legte, sich offiziell im Vereinsregister eintragen zu lassen, zog sich Andresen allerdings zurück. Überraschend kam dieser Schritt für viele wohl deshalb, weil die Mitglieder ihn zunächst noch zu einem der drei bundesweiten Sprecher von „Land schafft Verbindung“ gewählt hatten – neben Anthony Lee aus Niedersachsen und Claus Hochrein aus Franken.

Über die Gründe für seinen Rückzug wird erzählt, er habe sich in seinem Engagement sehr aufgerieben, sei müde und müsse sich jetzt wieder um Hof und Familie kümmern. Außerdem habe er viel Kritik einstecken müssen für das, was bei der Zukunftskommission am Ende herausgekommen war. Die Kompromissformeln, die der Landwirtschaft eine Verantwortung am Artensterben oder am Klimawandel zuwiesen, wurden nicht von allen aufgebrachten Landwirten akzeptiert. Etwa zur selben Zeit kam es auf Bundesebene noch zu einem weiteren Zerwürfnis innerhalb des Bauernbündnisses. Die Landesverbände Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Mecklenburg-Vorpommern und Saarland haben sich im Juni und Juli vom Dachverband losgesagt. Angeblich waren „Differenzen einzelner Personen“ der Grund für diese Spaltung.

Die Bewegung muss Verbindung herstellen

Dauerhaft erfolgreich wird die Bewegung wohl nur sein können, wenn ihr gelingt, was ihr eigener Name verspricht: Verbindung herstellen. Dazu müssen die protestierenden Landwirte zunächst ihre eigene Blase verlassen und sich wieder auf Dialog und auch Kompromiss einstellen. Maximalpositionen sind auf Dauer nicht demokratietauglich. Den kleineren Schritt haben sie dabei noch bis zum Landvolk-Verband. Hier sollte eine strategische Allianz gebildet werden, denn beide Organisationen können voneinander profitieren.

Das setzt jedoch voraus, dass man nicht versucht, sich gegenseitig das Wasser abzugraben. Die Vereinsgründung aufseiten der Protestbewegung konnte beim Landvolk allerdings getrost als Herausforderung verstanden werden. Doppelstrukturen oder eine weitere Zerfaserung hilft der schwächelnden und von Strukturbrüchen bedrohten Landwirtschaft aber gar nicht weiter.

Ebenso wenig hilfreich sind Entgleisungen, bei denen Politikerinnen als dumm und unfähig diffamiert werden – zu denen sich kürzlich LsV-Sprecher Lee hat hinreißen lassen. Im eigenen Umfeld mag die Bewegung damit stark mobilisieren können. Doch kann sie jene, die sie auf die Bäume gejagt hat, auch von jenen wieder herunterholen? Im Bund formiert sich gerade eine Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Wenn die Landwirte etwas Glück haben, wird die FDP sich das Agrarressort sichern. Dann werden die zuletzt in der Agrarpolitik aber bisweilen populistisch agierenden Freidemokraten jedoch zeigen müssen, was sie in der praktischen Politik gegen Vorgaben aus Brüssel ausrichten können.

Oder es kommt doch anders, und die Landwirte werden sich künftig mit einem Agrarminister von den Grünen auseinandersetzen müssen – denn die Grünen wissen natürlich auch, dass sie gerade im Agrarressort mehr für Tierwohl, Klima- und Artenschutz erzielen können, als allein im Umweltministerium. In vielen Ländern wurden beide Ressorts sogar schon zusammengelegt, wenn ein Grüner sie führte.

Wie auch immer es kommt, es wird für „Land schafft Verbindung“ essentiell sein, eine Verbindung zu suchen und nicht weiter auf Eskalation zu setzen. Denn sonst setzt sich mit ihnen bald niemand mehr an einen Tisch.

Von Niklas Kleinwächter