Wie werden wir in Zukunft unseren Energiebedarf decken? In einer kleinen Serie mit dem Titel „Netzgeflüster“ hat Rundblick-Redakteurin Audrey-Lynn Struck die verschiedenen Formen der Strom- und Wärmeerzeugung unter die Lupe genommen. Heute: der Solarstrom.

Silke Weyberg (rechts) spricht mit Audrey-Lynn Struck über Möglichkeiten und Grenzen der Photovoltaik. | Foto: Link

Aus dem Solarstrom entsteht inzwischen weltweit der günstigste Strom und die Kraft der Sonne hat wohl das größte Potenzial unter den erneuerbaren Energien. Mehr als 2,2 Millionen Photovoltaik-Anlagen sind bereits auf den deutschen Dächern und Grundstücken installiert, teilt das Statistische Bundesamt mit. Dennoch deckte der Solarstrom im ersten Quartal 2022 nur 6,3 Prozent der gesamten Stromerzeugung in Deutschland. Reicht das, um die Klimaneutralität bis 2050 zu erreichen? Sind andere erneuerbare Energien trotzdem sinnvoller? Und wie weit ist Niedersachsen bei dem Ausbau?

Jahrelang hat man sich in Niedersachsen vor allem auf die Windenergie konzentriert. Die klimatischen Bedingungen im Norden sind dafür gut und es mussten nicht extra große Flächen ausgewiesen werden. Aber dank einiger Änderungen im novellierten Erneuerbaren-Energie-Gesetz (EEG) lohnen sich Photovoltaik-Anlagen nicht nur für private Hausbesitzer, sondern auch für die Kommunen. „Wir sehen die erneuerbaren Energien noch zu wenig unter dem Aspekt der Wertschöpfung für den ländlichen Raum“, sagt Weyberg. Das dürfte sich nun ändern. Kommunen können mit 0,2 Cent pro Kilowattstunde beteiligt werden, das finanzielle Risiko tragen weiterhin Projektierer, die auf Flächen die Anlagen installieren. Das Geld könnte dann zum Beispiel direkt in die Infrastruktur einfließen, so ein Vorschlag der LEE-Geschäftsführerin. Die Abgabe gilt sowohl für Solar- als auch Windanlagen. „Und das ist auch noch von der Kreisumlage befreit“, sagt Weyberg. Das Geld bleibe folglich in der Gemeinde und werde nicht für deren Abgaben an den Landkreis eingerechnet. 

Klicken Sie auf den unteren Button, um den Inhalt von Soundcloud zu laden.

Inhalt laden

Mindestens 0,47 Prozent der Landesfläche sollen für Solaranlagen vorgehalten werden, so das Ziel der niedersächsischen Landesregierung. Die installierte PV-Leistung soll insgesamt 65 Gigawatt betragen. Niedersachsen hat damit noch einen langen Weg vor sich. Aktuell liegt der Wert bei rund 5,4 Gigawatt. „Wir müssen unser Ausbautempo praktisch verzehnfachen“, fasst Weyberg zusammen. Ohne große Freiflächenprojekte geht das aus Sicht der LEE-Geschäftsführerin nicht. „Da haben wir in Niedersachsen noch zu üben. Wir liegen mit unserem Freiflächen-PV derzeit 20 Prozent unter dem Ertrag von Baden-Württemberg und Bayern.“ Die Samtgemeinde Lachendorf aus dem Landkreis Celle sei beim PV-Ausbau ganz vorne mit dabei. Mehr als 40 Hektar Fläche mit geringem landwirtschaftlichem Nutzen wurden dort für Solaranlagen ausgewiesen, der produzierte Strom soll direkt zur Versorgung der dortigen Papierfabrik eingesetzt werden.

„Wir müssen unterhalb der PV-Anlagen Ausgleichsflächen definieren und diese dann auch anrechnen, sonst bekommen wir ein Flächenproblem.“

Insgesamt sollen 50 Gigawatt auf bereits versiegelten Flächen, zum Beispiel Dächern, installiert werden, die weiteren 15 Gigawatt auf Freiflächen. Das ist das Ziel der Regierung. Doch der Platz in Niedersachsen ist begrenzt. Auf 2,2 Prozent der Landesfläche soll Windenergie betrieben werden, auf 0,47 Prozent Solar. Zusätzlich braucht jede Photovoltaik-Freifläche noch eine Ausgleichsfläche. „Wir müssen unterhalb der PV-Anlagen Ausgleichsflächen definieren und diese dann auch anrechnen, sonst bekommen wir ein Flächenproblem“, sagt Weyberg. Zeitgleich würden pro Tag sieben Hektar durch Zubau versiegelt. Für die LEE-Geschäftsführerin ist das ein Unding. „Es darf keine Versiegelung mehr von Flächen geben ohne dass man überlegt, welche erneuerbare Energie man bei diesem Bauwerk nutzen kann.“ Bisher gibt es in Niedersachsen nur eine Solar-Pflicht für Gewerbedächer, die ab 2023 greifen soll. Weyberg befürwortet hingegen eine Photovoltaik-Pflicht für alle Neubauten. „Es ist Aufgabe der Landesregierung zu prüfen, wie das auch unabhängig vom Hauskredit gefördert werden kann, sodass die Kosten nicht auf den Häuslebauer abgewälzt werden.“ Zusätzlich solle auch Solar auf denkmalgeschützten Gebäuden einschließlich Fachwerkhäusern in Erwägung gezogen werden, wenn es die Statik erlaubt. Dem gern verwendeten Argument, dass PV-Anlagen nicht ins Stadtbild passen, erteilt Weyberg eine Absage. Mittlerweile gibt es auch weniger auffällige Lösungen wie Solardachziegel. Vorreiter bei PV-Anlagen auf Dächern bleibt in Niedersachsen die Landwirtschaft mit 14 Prozent.

Pilotprojekt von Fraunhofer ISE in Rheinland-Pfalz: Solarmodule schützen die Apfelbäume unter anderem vor zu starker Sonneneinstrahlung und Extremwetter. | Foto: Fraunhofer ISE

Eine weitere Möglichkeit ist die PV-Doppelnutzung. In Schleswig-Holstein wurde kürzlich beschlossen, dass bei Parkplätzen mit mehr als 100 Stellplätzen eine PV-Anlage installiert werden muss. Auch bei der Freilandhühnerhaltung kann sich Weyberg gut PV-Anlagen vorstellen, die zeitgleich den Hühnern ein schützendes Dach vor Greifvögeln bieten könnten. Allerdings seien auf diesem Gebiet die rechtlichen Grundlagen noch nicht abschließend geklärt. „In der Öko-Hühnerhaltung geht das, aber nicht in der konventionellen Freilandhaltung.“

Agri-Photovoltaik bleibt für LEE-Geschäftsführerin „Gimmick“

In der Landwirtschaft testet man derzeit Agri-Photovoltaik. Unter Photovoltaik-Anlagen werden weiterhin Früchte angebaut und so wird versucht, eine scheinbare Konkurrenz zwischen der Nahrungsmittel- und Energieerzeugung  zu umgehen. Am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE) gibt es aktuell das Projekt „APV-Obstbau“, das Solar in Verbindung mit dem Obstanbau untersucht. Unter PV-Anlagen werden verschiedene Apfelsorten angebaut und getestet, inwieweit die Module vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen. Mit den Modulen könne man möglicherweise Schutzkonstruktionen wie Hagelschutznetze oder Folienüberdachungen ersetzen. Erste Ergebnisse werden zur Vollernte 2023 erwartet. Für LEE-Geschäftsführerin Weyberg bleibt Agri-PV hingegen vorerst ein „Gimmick“. 

Foto: Fraunhofer ISE

Ein mögliches zukünftiges Problem könnte die Abhängigkeit von China werden, wo bereits mehr als 80 Prozent der Solarmodule produziert werden. Dabei war Deutschland bis in die 2010er Jahre federführend auf diesem Gebiet. „Wir haben Photovoltaik erfunden, hatten aber in der Politik keine Stringenz. Es gab irgendwie lange Zeit nicht so ganz den Willen, dass Solarenergie ausgebaut werden muss“, bemängelt Weyberg. 2011 änderte sich die Gesetzlage, die Bundesregierung passte das Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) an, senkte unter anderem die Vergütungssätze einmalig um 15 Prozent. Die Folge waren hohe finanzielle Verluste in der PV-Industrie, mehr als 100.000 Arbeitsplätze mussten abgebaut werden.

Lange Transportwege verschlechtern CO2-Fußabdruck

Die Produktion verlagerte sich in den asiatischen Raum mit Schwerpunkt in China, wo man nun seit Jahren in die Produktionskapazitäten investiert. Durch die Verlagerung der Produktion ins Ausland verschlechterte sich die Ökobilanz von Photovoltaik. „Mit PV-Modulen, die in der EU hergestellt wurden, spare ich 40 Prozent an CO2-Emissionen im Vergleich zu Modulen, die aus China importiert wurden“, hieß es dazu bereits 2021 von Holger Neuhaus, Abteilungsleiter für Modultechnologie am Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Nach spätestens einem Jahr decke die produzierte Energie allerdings den zur Herstellung benötigten Stromverbrauch, so das Umweltbundesamt.

Foto: GettyImages/Wichien Tep

Neben der Produktion hat auch die spätere Entsorgung Auswirkungen auf die CO2-Bilanz von Photovoltaik. In Deutschland sollen laut Hochrechnungen allein 2020 bis zu 51.600 Tonnen Altmodule entsorgt worden sein, schrieb die Deutsche Umwelthilfe in einem Bericht im März 2021. Die Lebensdauer der Module liegt zwischen 20 und 25 Jahren, in absehbarer Zeit dürfte die Zahl der zu entsorgenden Module damit deutlich steigen. Ist die Abfallwirtschaft darauf gut genug vorbereitet? Aus Sicht der Deutschen Umwelthilfe nicht: „Experteninterviews ergaben, dass die Rücknahme von PV-Modulen bei einigen Sammelstellen nur eingeschränkt oder überhaupt nicht umgesetzt wird.“ Dabei könnte gerade die Wiederverwertung von einzelnen PV-Bauteilen eine gute Hilfe in Zeiten von Materialknappheit sein. 

Fachkräftemangel wirkt sich auch auf PV-Ausbau aus

Neben weiteren Gesetzesanpassungen, finanziellen Förderungen und dem weiteren Netzausbau, um eine Überlastung zu vermeiden, muss die Politik noch ein Problem bewältigen, wenn der PV-Ausbau in Deutschland glücken soll – den Mangel an Fachleuten. „Wir haben ja noch nicht einmal genügend Leute zum Anschließen. Ich weiß wirklich nicht, wo die ganzen Arbeitskräfte herkommen sollen, die im Klimagesetz drin stehen“, sagt Weyberg. Die Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin berechnete, dass bei einem Photovoltaikausbau auf 590 Gigawatt bis 2035 über 250.000 Arbeitsplätze in der PV-Branche benötigt werden würden. Dennoch gibt sich Weyberg recht zuversichtlich: „Wir haben viele Pflöcke eingeschlagen, die müssen aber jetzt auch wirken. Wir dürfen nicht den Fehler machen zu sagen: Jetzt müssen wir hier und da nochmal was Neues machen. Man muss gucken was nicht funktioniert, das dürfen aber nur noch kleine Stellschrauben sein.“