Die niedersächsische Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne) fordert von der Ampel-Koalition in Berlin, schleunigst mehr Defensiv-Waffen an die Ukraine zu liefern. „Wir haben ein ‚mismatch‘ zwischen dem, was von der Ukraine angefragt wurde, was die Bundesregierung zugesagt hat und was nun tatsächlich ankommt“, sagte die Politikerin vor Journalisten in Hannover.

Foto: Kleinwächter

Sie wirft der Bundesregierung vor, dass den Ankündigungen die „Wahrhaftigkeit“ fehle. „Nach der Regierungserklärung des Bundeskanzlers Ende Februar hatten viele den Eindruck, alle in Deutschland verfügbaren defensivfähigen Waffen sollen auch bereitgestellt werden. Das ist nicht der Fall“, stellte sie auf Nachfrage klar. Zu den Details der Waffenlieferungen wollte sie sich jedoch aus Sicherheitsgründen nicht näher äußern, auch nicht zu der Frage, an welcher Stelle es derzeit hake. Am Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (Bafa) liege es aber nicht, fügte sie noch hinzu.

„Die Ukraine darf nicht verlieren, Putin darf nicht gewinnen.“

Die Grünen-Politikerin bekräftigte energisch ihre Position zur uneingeschränkten Unterstützung des angegriffenen Landes. „Die Ukraine darf nicht verlieren, Putin darf nicht gewinnen“, sagte sie und zitierte damit Hannovers Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne), der diese Worte zuvor gewählt hatte. Deshalb müsse der Westen die Ukraine sowohl humanitär als auch militärisch und finanziell unterstützen. „Die militärische Lösung dieses Konflikts wird uns aufgezwungen. Die Ukraine muss sich militärisch verteidigen können, sonst gibt es keinen Sieg für sie“, erklärte die EU-Parlamentarierin.

„Der Angriffskrieg ist ein Vernichtungskrieg.“

Als stellvertretende Vorsitzende des EU-Ukraine-Assoziationsausschusses pflegt von Cramon enge Beziehungen zu dem von Russland attackierten Land. Die derzeitigen Entwicklungen seien absehbar gewesen, meint sie. Schließlich habe Putin nicht im Geheimen gehandelt, sondern bereits im Mai 2021 in einem öffentlich einsehbaren Aufsatz angekündigt, was er nun vollstreckt. Deshalb ist sich von Cramon auch sicher: „Der Angriffskrieg ist ein Vernichtungskrieg.“ Das erklärte Ziel sei es, die Ukraine als Kulturnation und souveränen Staat zu vernichten.


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Sie ist überzeugt davon, dass das Schlimmste noch bevorstehe. Derzeit sehe man schon, wie der russische Kriegstreiber Städte aushungern lasse. Was man hierzulande aber noch nicht so deutlich wahrnehme, seien Säuberungswellen in den russisch besetzten Gebieten, die an das Terrorregime der Stalin-Zeit in den 30er- und 40er-Jahren des vergangenen Jahrhunderts erinnerten. Von Cramon schilderte, dass unerwünschte Personen, wie etwa Journalisten, aus ihren Wohnungen gezerrt und in Foltergefängnisse verschleppt würden.

McAllister fordert Verteidigungsunion

Unterstützt wird von Cramon auch von David McAllister (CDU), der ebenfalls die Lieferung von Waffen in das Kriegsgebiet befürwortet. „Die Ukraine befindet sich in einem Verteidigungskrieg, deshalb sind Waffenlieferungen geboten“, begründete der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des EU-Parlaments diesen Kurswandel der bundesrepublikanischen Außen- und Sicherheitspolitik.


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Aus der derzeitigen Situation ergibt sich für McAllister allerdings noch ein weiterreichender Schritt. „Grundannahmen, an die wir alle geglaubt haben, gelten nun nicht mehr“, sagte er. „Wir haben alle nicht geglaubt, haben nicht glauben wollen, dass Krieg in Europa möglich ist.“ Der Christdemokrat folgert daraus die Forderung, dass sich die Europäische Union auf dem Weg hin zu einer Verteidigungsunion weiterentwickeln müsse. Die EU müsse ihre Stärke für die eigene Verteidigung bündeln – allerdings nicht als europäischer Alleingang, sondern „um dadurch den EU-Pfeiler innerhalb der Nato zu stärken“, sagte McAllister.

„Putin hat kalkuliert, dass die EU nicht in der Lage sein wird, zu reagieren. Aber zum Glück ist der gegenteilige Effekt eingetreten.“

Dass die Europäische Union im Angesicht des Krieges Geschlossenheit gezeigt hat, hob der EU-Abgeordnete Bernd Lange (SPD) anerkennend hervor. „Putin hat kalkuliert, dass die EU nicht in der Lage sein wird, zu reagieren“, sagte der Vorsitzende des Handelsausschusses des EU-Parlaments. „Aber zum Glück ist der gegenteilige Effekt eingetreten.“ Innerhalb sehr kurzer Zeit habe man sich auf zahlreiche Sanktionspunkte einigen können, von Schritten gegen russische Oligarchen über Exportrestriktionen bis hin zum Ausschluss russischer Banken vom Swift-Zahlungsverkehr. „Russland ist ökonomisch isoliert“, erklärte Lange. Als dann noch innerhalb von nur fünf Tagen der Flüchtlingsstatus der Ukrainer einstimmig innerhalb der EU geklärt werden konnte, verstand der Sozialdemokrat das als „Zeichen der Einheit basierend auf gemeinsamen Werten der EU.“

Sollte es ein Energie-Embargo geben?

Ein Lieferstopp für Öl, Kohle und Gas aus Russland müsse gut überlegt sein, meint die Grünen-Politikerin von Cramon. Es könne kein Interesse daran bestehen, dass die größte Volkswirtschaft der EU ins Stottern gerät. Allerdings arbeite die Energiewirtschaft derzeit rund um die Uhr daran, „uns aus dieser misslichen Situation herauszuführen“, so von Cramon. McAllister fordert, man müsse „so schnell wie irgend möglich aus der Abhängigkeit herauskommen.“ Innerhalb der EU gebe es aber unterschiedliche Auffassungen: Österreich, Bulgarien, Slowakei, Tschechien, Deutschland und Italien seien stärker auf die russischen Exporte angewiesen.


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Bernd Lange sieht durch die aktuelle Lage die „Investitionsbereitschaft und die politische Bereitschaft zur Umsteuerung hin zu mehr Erneuerbaren Energien gesteigert“. Allerdings sieht er auch die Gefahr, dass durch steigende Energiepreise der gesellschaftliche Zusammenhalt hierzulande unter Druck geraten könnte. Langfristig führe die Unabhängigkeit von russischen Rohstoffen dazu, dass keine wesentlichen Handelsbeziehungen mehr mit dem russischen Regime eingegangen werden müssten, hofft der EU-Handelsausschuss-Vorsitzende.