Als Chef der FDP-Bundestagsfraktion gehört Christian Dürr aus Ganderkesee (Landkreis Oldenburg) zu den wichtigsten Politikern der Ampel-Koalition. Beim Besuch in der Redaktion des Politikjournals Rundblick äußert er sich zu schulpolitischen Fragen – und stellt der SPD/CDU-geführten Landesregierung ein schlechtes Zeugnis aus.

Der FDP-Bundestagsfraktionsvorsitzende Christian Dürr spricht im Rundblick-Interview über das Bildungssystem in Niedersachsen. | Foto: Lada

Rundblick: Alle reden von der Digitalisierung in den Schulen – aber die Fortschritte sind doch recht bescheiden…

Dürr: Ja, das hat mich auch überrascht. Da lagen in der vergangenen Wahlperiode des Bundestages fünf Milliarden Euro bereit – aber es ist kaum etwas abgeflossen. Die Ampel-Koalition hat unter Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger die Voraussetzungen dafür geschaffen, dass das nun schneller geht. Die Schulträger und die Länder müssen dafür sorgen, dass das Geld unkompliziert in den Schulen ankommt und dort auch für sinnvolle Dinge ausgegeben wird.

Rundblick: Das klingt gut, hat aber bisher nur mäßig funktioniert – woran liegt das?

Dürr: Ein Grund dafür ist, dass die technischen und personellen Voraussetzungen häufig nicht stimmen. Die Länder sind in der Pflicht, zum einen die Schulen so auszustatten, dass dort mit digitaler Technik gut gearbeitet werden kann. Da hat Niedersachsen noch großen Nachholbedarf. Die zweite Bedingung lautet, dass die Lehrer etwas mit den neuen technischen Möglichkeiten anfangen können müssen. Die Hilfs- und Förderangebote des Bundes sind groß – aber dafür, dass sich die Lehrer technisch fortbilden können, sind die Länder zuständig. Manchmal glaube ich, das Versprechen des Ministerpräsidenten, in der nächsten Wahlperiode jedem Schüler ein Tablet anzubieten, soll von den großen Versäumnissen der Schulpolitik in dieser SPD/CDU-geführten Regierung ablenken – davon nämlich, dass der Schulbetrieb insgesamt auf die Herausforderung der Digitalisierung eingestellt ist. In Niedersachsen ist er das nämlich noch nicht.

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Rundblick: In der schulpolitischen Debatte sind gegenwärtig andere Themen vorherrschend…

Dürr: Ja, durchaus berechtigt. Die miserable Unterrichtsversorgung, die der Kultusminister gegenwärtig zu verantworten hat, ist tatsächlich ein gigantisches Problem. Hier zeigt sich, dass man jahrelang das Problem nicht richtig angepackt hat. Bis 2013, als die FDP noch in der Landesregierung war, hatten wir es immerhin geschafft, die Schulabbrecherquote zu halbieren. Die Zahlen der Unterrichtsversorgung konnten sich damals sehen lassen. Das sind Erfolge, die inzwischen alle verspielt worden sind.

Rundblick: Aber es sind so viele Lehrer eingestellt worden wie noch nie in der Landesgeschichte…

Dürr: Nur ist der Einsatz dieser Fachkräfte offenbar nicht so geschehen, wie es sinnvoll gewesen wäre. Mir drängt sich der Eindruck auf, dass die letzten beiden Landesregierungen, die von Stephan Weil geführt wurden, keinen Schwerpunkt in der Schulpolitik gesetzt hatten. Dabei ist doch gerade Bildung das Feld, in dem sich die Landespolitik besonders beweisen muss.

Rundblick: Bei knappen Finanzen sind die Möglichkeiten eben begrenzt…

Dürr: Wenn es einen Bereich gibt, in dem ein Bundesland spitze sein muss, dann ist es die Bildungspolitik. Eine gute Schulpolitik stärkt den Kern der Lebenschancen eines jungen Menschen. Es geht um Bildungsgerechtigkeit, um das Aufstiegsversprechen. Hier hat die Landesregierung ihre Aufgabe sträflich vernachlässigt.

Rundblick: Der FDP-Vorwurf lautet oft, dass eine Konzentration auf den Kernunterricht nicht mehr ausreichend geschieht. Was meinen Sie damit?

Dürr: Nehmen wir den Ganztagsunterricht: Wir waren immer der Meinung, dass nicht für alle Aufgaben ausgebildete Fachlehrer tätig werden müssen. Man sollte die Vereine einbinden und das Ehrenamt beteiligen, wenn es darum geht, den jungen Menschen am Nachmittag noch etwas beizubringen und sie zu beschäftigen. Das Ehrenamt hier ausschließen zu wollen, wie es die SPD-Politik der letzten Jahre war, halte ich für absurd. Kultusminister Tonne hält alles für gleich wichtig – und macht am Ende nichts richtig.

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Rundblick: Meinen Sie damit auch die Inklusion?

Dürr: Wenn Eltern der Meinung sind, ihr Kind sollte in geschützten Räumen unterrichtet werden, in der Förderschule Lernen, dann dürfen wir ihnen die Unterstützung dafür nicht verweigern. Das geltende Gesetz sieht vor, dass alle Kinder in der allgemeinbildenden Schule unterrichtet werden sollen. Ich habe die Sorge, dass dabei einige, die eine spezielle Förderung benötigen, unter die Räder geraten – weil nicht genügend Unterstützungskräfte bereit stehen.

Rundblick: Aber der Sinn der Inklusion ist doch, dass alle auf die gleiche Art beteiligt werden.

Dürr: Wenn die Umstände am Ende dazu führen, dass einige Schüler schlechtere Chancen haben als andere, dann ist das Ziel der Inklusion verfehlt.

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Rundblick: Müssen wir nicht auch ran an die Lehrpläne, brauchen wir eine Reform der Inhalte, die in den Schulen vermittelt werden?

Dürr: Ich werbe für mehr Eigenständigkeit, für die eigenverantwortliche Schule. Das heißt, dass die Lehrer mehr Möglichkeiten für ihren Unterricht bekommen sollten – etwa auf dem Weg, die MINT-Fächer stärker zu profilieren. Wir sollten wissen: Die Experten dafür, wie Unterricht die jungen Menschen noch besser und nachhaltiger erreichen kann, sitzen in der Schule selbst, es sind die engagierten Lehrerinnen und Lehrer. Es wäre klug, wenn Lehrkräfte und Schulleitungen in Zukunft mehr selbst in die Hände nehmen und festlegen können – auch bei den Inhalten.