In einer teilweise aufgewühlten, aber auch sehr disziplinierten Delegiertenversammlung haben die Linken in Niedersachsen am Wochenende in Stade zwei langjährigen Führungsvertretern eine schwere Schlappe beschert. Der Kulturmanager, Bundestagsabgeordnete und einflussreiche Stratege des Landesverbandes, Diether Dehm (71), verpasste die Wiederaufstellung auf einen der als sicher eingeschätzten Ränge. Die Spitzenkandidatin der Bundestagswahl 2017, Pia Zimmermann (64) aus Wolfsburg, versuchte es diesmal auf Platz drei, unterlag aber und erreichte dann nur den fünften Rang. In der Linkspartei heißt es, bei den gegenwärtigen Umfragen könnte die Landesliste bis Platz fünf ziehen.

Ali und Perli führen Landesliste an

Das neue Team der niedersächsischen Linken für die Bundestagswahl wird nun von der Bundestagsfraktionsvorsitzenden Amira Mohamed Ali (40), Rechtsanwältin aus Oldenburg, angeführt. Auf Platz zwei kommt der Haushaltspolitiker im Bundestag und Politikwissenschaftler Victor Perli (39) aus Wolfenbüttel, ihm folgt auf Platz drei die Linken-Landesvorsitzende Heidi Reichinnek (32) aus Osnabrück, sie ist Politologin und arbeitet als Projektleiterin für die Jugendhilfe in Osnabrück. Auf Platz vier bewirbt sich Mizgin Ciftci (29), hauptamtlicher Verdi-Funktionär aus Osterholz-Scharmbeck, der sich selbst einen „marxistischen Gewerkschaftssekretär“ nennt und auf seine kurdische Herkunft verweist.

Amira Mohamed Ali bei ihrer Bewerbungsrede – Foto: kw

Das politische Ende einer zentralen Figur

Die schwere Schlappe von Dehm bezeichnet einen tiefen Einschnitt in der Geschichte der niedersächsischen Linken. Der äußerst erfolgreiche und vermögende Musikproduzent, Liedermacher und Politiker war seit den siebziger Jahren zunächst in der SPD aktiv, wechselte dann aus Protest gegen den Kosovo-Krieg in den neunziger Jahren zur PDS. Seit dieser Zeit war er eine der zentralen Figuren der Partei. Mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen und zugespitzten verbalen Angriffen polarisiert Dehm stark, gilt aber auch als der Meister des Wahlerfolges von 2008, als die Linken bei der Landtagswahl 7,1 Prozent erhielten und für fünf Jahre im Landtag mitwirkten. Hier war es ihm gelungen, ein Bündnis zwischen den gemäßigten und den radikaleren Kräften zu schmieden, einen Pakt, der auch Jahre nach dem Ausscheiden der Linken aus dem Landtag noch gehalten hatte.

Manch einer hätte Dehme „einen würdevolleren Abgang gewünscht“ – Foto: Linksfraktion Bundestag

Als Dehm 2018 Bundesaußenminister Heiko Maas ein „Nato-Strichmännchen“ nannte, rief das parteiübergreifend Empörung hervor. In jüngster Zeit wird Dehm teilweise auch innerparteilich verübelt, dass er sich sehr kritisch mit der Corona-Politik auseinandersetzte und die Freiheitsbeschränkungen vehement ablehnte. Auch in der Gender-Sprachdiskussion ergriff Dehm deutlich Position – und verteidigte die herkömmliche Sprech- und Schreibweise. Dehm ist in der Linkspartei einer der profiliertesten und umstrittensten Vertreter, einer der bekanntesten obendrein. Aber er ist immer auch einer der geschicktesten Brückenbauer gewesen.

Sein Listenplatz wird wohl nicht ziehen

Noch zu Jahresbeginn hatte Dehm vor, erneut für Rang zwei der Landesliste anzutreten. Als in den vergangenen Wochen zunehmend Gegenwind spürbar wurde, verständigte er sich mit Perli und wich bei der Kandidatur auf Platz vier aus. In der Bewerbungsrede in Stade trat der 71-Jährige an diesem Sonnabend wie gewohnt wortgewaltig auf, verlangte die Abschaffung der Nato, die er „ein Terrorquartett“ nannte, und forderte „das Ende der Aggressionen gegen China und Russland“. Als eine Delegierte ihn später nach seiner Einstellung zum Feminismus fragte, meinte Dehm, Männer und Frauen bräuchten „mehr Zärtlichkeit und mehr Weichheit“ – eine Bemerkung, die von einigen Teilnehmern der Versammlung mit deutlich wahrnehmbaren Gemurmel quittiert wurde.

Dehm bei seiner Bewerbungsrede – Foto: kw

Einige Linken-Mitglieder posteten später in den sozialen Netzwerken, Dehms Niederlage markiere „die Abwahl eines chauvinistischen, egoistischen und schmutzigen Machtsystems“. Andere meinten am Rande des Parteitags, sie hätten ihm „einen würdevolleren Abgang gewünscht“. Am Nachmittag bewarb sich Dehm noch für Listenplatz sechs – gegen drei Mitbewerber. Er schaffte es dann in die Stichwahl gegen den Hildesheimer Kreisvorsitzenden Maik Brückner (29). Das Resultat fiel denkbar knapp aus: 77 Delegierten votierten für Diether Dehm, 76 für seinen Gegenkandidaten – einer hatte sich der Stimme enthalten. Damit hat es Dehm gerade so auf den – unsicheren – sechsten Platz geschafft.