Kann die Politik die Freiheit schützen, indem sie Medien in ihrer Berichterstattung einschränkt? Die niedersächsische Europaabgeordnete Viola von Cramon (Grüne) aus Göttingen hat das umstrittene Vorgehen der Europäischen Union verteidigt, russische Nachrichtenplattformen zu verbieten. Bereits Anfang März hatte Brüssel als Reaktion auf die russische Invasion in die Ukraine den beiden Kreml-gestützten Sendern RT/Russia Today und Sputnik die Sendetätigkeit in der EU untersagt. Anfang Mai kündigte die EU-Kommission nun an, demnächst drei weitere Programme auf die Verbotsliste zu setzen.

„Kommunikation, die zu einer Gefahr für Leib und Leben führt, fällt nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit“, argumentierte die EU-Parlamentarierin Viola von Cramon. | Foto: STAGEVIEW/Pedro Becerra für den Deutschen PR-Tag

Es sei zwar „hoch umstritten“, die Sender aus der EU zu verbannen, erklärte von Cramon kürzlich auf dem deutschen PR-Tag in Hannover. Doch das Verbot sei „nicht wegen abweichender Meinung, sondern wegen gezielter Verbreitung von Lügen und Desinformation“ verhängt worden. „Kommunikation, die zu einer Gefahr für Leib und Leben führt, fällt nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit“, argumentierte die EU-Parlamentarierin. Sie verglich dies mit jemandem, der „Feuer“ rufe, obwohl es nicht brennt, und damit etwa eine Massenpanik auslöst.


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Im Falle Russlands führe die gezielte Verbreitung von Lügen etwa dazu, dass ukrainische Bürger fälschlicherweise von einer angeblichen Kapitulation ihrer Regierung erfahren, sich daraufhin ergeben und in Straflager verbracht werden – oder dass sich russische Staatsbürger nicht gegen Corona impfen ließen, weil der Staat zunächst verbreitet hatte, die Pandemie sei eine Erfindung des Westens. In Vorbereitung seines Feldzugs gegen die Ukraine hatte Putin zudem sein eigenes Volk durch Desinformation gegen die Ukrainer aufgebracht.

Die EU will ihre Widerstandsfähigkeit stärken

Für die Abwägung der Reaktionen sei Desinformation allerdings zwingend zu unterscheiden von Fehl- oder Missinformation, erklärte von Cramon. Während eine Person, die eine Fehlinformation verbreitet, nichts von ihrem Fehler wisse, handele es sich bei der Desinformation um eine bewusste, absichtliche Lüge und ein „besonders heimtückisches Mittel“. Infolgedessen müssten auch die Maßnahmen unterschieden werden. Auf Missinformation müsse man behutsam reagieren, mit Aufklärung und Information, so von Cramon. Desinformation hingegen müsse sanktioniert und verurteilt werden. „Wir leben im Zeitalter der Desinformation, der heimtückischen Täuschung mit der Absicht, das Fundament der liberalen Demokratie zu schwächen“, sagte die Grünen-Politikerin vor Vertretern der PR-Branche.

Als Mitglied des „Inge“-Sonderausschusses hat Viola von Cramon MdEP daran mitgewirkt, die EU-Institutionen gegen ausländische Einflussnahme zu wappnen. | Foto: STAGEVIEW/Pedro Becerra für den Deutschen PR-Tag

Der Kreml gebe hunderte von Millionen für „alternative Informationsquellen“ wie RT oder Sputnik aus, hinzu kämen außerdem eigene Kanäle auf dem Messenger-Dienst Telegram sowie regelrechte Troll-Armeen in den sozialen Netzwerken, die dort Informationen für Russen in Europa bereitstellen und verbreiten sollen. Dennoch seien „die Kosten für Desinformation geringer als der Nutzen“, erklärte von Cramon. Die EU stärke deshalb gerade ihre alten Instrumente und schaffe neue, um ihre Widerstandsfähigkeit sicherzustellen.



Ein Sonderausschuss, dem auch die Grünen-Politikerin angehört, hat anderthalb Jahre lang an einer europäischen Antwort auf ausländische Einflussnahme auf die demokratischen Prozesse in der EU gearbeitet. Anfang März wurde das Abschlussdokument des sogenannten „Inge“-Ausschusses vom EU-Parlament beschlossen – und das Mandat verlängert. Der russische Angriffskrieg war nicht der Auslöser für das Agieren der EU, die Beschlussfassung über den Abschlussbericht des Sonderausschusses fiel lediglich mit dem Überfall auf die Ukraine zusammen. Neben Russland setzten etwa auch China, der Iran, die Türkei und Indien Desinformation aktiv als Waffe ein.

Sonderausschuss will freien, unabhängigen Journalismus fördern

In seinem Abschlussbericht hat der Sonderausschuss neben anderem herausgearbeitet, dass drei wesentliche Kompetenzen in den EU-Institutionen ausgebaut werden müssen, damit Störmanöver künftig aufgedeckt und verhindert werden können. So brauche man zum einen das technische Know-how, um moderne Kommunikationswege überwachen zu können. Wichtig sei zum anderen aber auch, dass sowohl die entsprechenden Sprachkenntnisse als auch das Wissen um das jeweilige kulturelle Umfeld vorhanden sind. Von Cramon fügte an, dass man dies allerdings beispielsweise im Falle Chinas nicht an die Konfuzius-Institute auslagern könne, da diese häufig als verlängerter Arm ihrer Regierung agierten.

„Für seriöse Journalisten wird es schwer, in der digitalen Kakophonie gut recherchierte Informationen zu transportieren.“

Das beste Rezept gegen Desinformation ist aus Sicht der Parlamentarier ein freier, unabhängiger, faktenbasierter Journalismus, dessen Finanzierung transparent geregelt ist. Diesen gelte es deshalb zu fördern, während ein auf Klickzahlen fokussierter „leicht verdaulicher“ Online-Journalismus problematisch sei. Auch die Algorithmen der Social-Media-Plattformen, die Emotionalisierung und Zuspitzung belohnen, sieht der EU-Ausschuss kritisch. Hier erkennt die Politikerin einen Konflikt zwischen dem Schutz der Meinungsfreiheit und der notwendigen Kontrolle solcher Plattformen. Es gehe ihr aber darum, „integren Journalismus“ zu stärken: „Für seriöse Journalisten wird es schwer, in der digitalen Kakophonie gut recherchierte Informationen zu transportieren.“