Es ist eine Kurswende um 180 Grad: Im Sommer 2021 sperrten sich SPD und CDU im niedersächsischen Landtag noch mit aller Macht gegen die Erdgas-Förderpläne eines niederländischen Unternehmens in der Nordsee. Gestern traten Vize-Regierungschef Bernd Althusmann (CDU) und Chris de Ruyter van Steveninck, Geschäftsführer von One-Dyas, gemeinsam vor die Presse und betonten das partnerschaftliche Verhältnis. „Wir werden uns unabhängiger von russischem Gas machen und dazu brauchen wir Partner. Dieses Projekt könnte einen substanziellen Beitrag zur Versorgungssicherung in Deutschland leisten“, sagte Althusmann und kündigte an, dass Niedersachsen das geplante Erdgasförderprojekt an der deutsch-niederländischen Grenze nachdrücklich unterstützen wird.

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Den Sinneswandel begründete Althusmann mit dem russischen Angriff auf die Ukraine, der ein vollständiges Umdenken der Energiesicherheit in Europa nötig gemacht habe. „Wir werden Druck machen, denn wir wollen sehr schnell vorankommen“, sagte der Wirtschaftsminister. Gleichzeitig sicherte er aber zu, dass das Genehmigungsverfahren beim Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG) „ergebnisoffen“ geführt werde.

Förderung beginnt frühestens 2024

One-Dyas will 20 Kilometer nordöstlich von Borkum das Erdgasfeld N05-A erschließen, das laut de Ruyter van Steveninck etwa 60 Milliarden Kubikmeter Erdgas beinhaltet – die Hälfte davon befinde sich unter deutschem Territorium. Die Förderplattform soll deswegen zwar in niederländischen Hoheitsgewässern gebaut werden, zwölf Bohrungen sollen aber ins deutsche Erdreich führen. Laut dem One-Dyas-CEO können jährlich 2 bis 4 Milliarden Kubikmeter Erdgas aus dem Feld gewonnen werden. Mit Blick auf den deutschen Gesamtbedarf von etwa 90 Milliarden Kubikmetern pro Jahr sei das zwar eine geringe Summe.

Niedersachsens Wirtschaftsminister Bernd Althusmann und One-Dyas-CEO Chris de Ruyter van Steveninck | Foto: Link

Althusmann wies jedoch darauf hin, dass die deutsche Eigenförderung nur etwa 5 Milliarden Kubikmeter beträgt. „Das erste Gas können wir frühestens vorm Winter 2024 fördern“, sagte de Ruyter van Steveninck. Die Plattform soll mit Windkraft betrieben werden und ab 2042 wieder zurückgebaut werden. Laut dem niederländischen Gesetz müsse One-Dyas die dafür nötige Summe bereits im Vorfeld zurücklegen. Insgesamt werde das Unternehmen bis 2025 etwa 450 Millionen Euro in das Projekt investieren, sagte der CEO.

„Grundsätzlich ist es so, dass Erdgas, das auf deutschem Hoheitsgebiet gefördert wird, mit einer Förderabgabe bezahlt werden muss.“

Das geförderte Erdgas soll mindestens zu 50 Prozent nach Deutschland fließen – allerdings zu Marktpreisen. Vergünstigungen wie etwa eine Preisbindung gibt es nicht. „Grundsätzlich ist es so, dass Erdgas, das auf deutschem Hoheitsgebiet gefördert wird, mit einer Förderabgabe bezahlt werden muss“, erläutert LBEG-Sprecher Eike Bruns auf Rundblick-Nachfrage. Die Höhe der Förderabgabe wird in einer Verordnung geregelt und berücksichtigt auch die Marktpreisentwicklung. Die Einnahmen für das Offshore-Projekt werden laut Bruns zunächst in die niedersächsische Landeskasse fließen, werden aber beim Länderfinanzausgleich berücksichtigt.

„Dieses Gas, das dort gefördert werden soll, hat eine deutlich bessere CO2-Bilanz als Importe.“

Die Nordsee ist an der betreffenden Stelle etwa 25 Meter tief. Das Gasfeld selbst befindet sich in einer Tiefe von 4 Kilometern, erläutert One-Dyas-Sprecherin Corine Toussaint. „Das Projekt wird keine signifikanten Auswirkungen auf die Natur haben“, versicherte de Ruyter van Steveninck. Und Althusmann betonte: „Es hat für das Land höchste Priorität eventuelle Beeinträchtigungen für das Naturschutzgebiet Wattenmeer zu verhindern.“

Das Gateway to Ems Gebiet, kurz: GEMS | Quelle: Royal Haskoning DHV

Es sei durch die Bohrung zwar mit einer Absenkung des Meeresbodens zu rechnen, diese werde in der Nähe des niedersächsischen Küstengewässers aber weniger als 0,1 Zentimeter betragen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung werde im nächsten Verfahrensschritt folgen. „Dieses Gas, das dort gefördert werden soll, hat eine deutlich bessere CO2-Bilanz als Importe“, betonte der Wirtschaftsminister und bezeichnete Erdgas als eine notwendige Brückentechnologie hin zu den Erneuerbaren Energien. „Natürliches Gas wird noch in den nächsten 20 Jahren ein Teil des Energiemix sein“, bestätigte auch der One-Dyas-CEO.

Grüne und BUND sperren sich gegen fossile Energien

BUND und Grüne lehnen die Erdgasförderung vor Borkum strikt ab. „Fossile Energien durch fossile Energien zu ersetzen ist ein Irrweg und widerspricht allen Klimazielen“, sagte Fraktionsvize Christian Meyer und plädierte für einen schnelleren Ausbau von Erneuerbaren Energien. Aus seiner Sicht käme die Erdgasförderung zudem „zwei Winter zu spät“. „Was wir jetzt brauchen, sind kurzfristige Maßnahmen für die Energiesicherheit“, sagte Meyer. Die niedersächsische BUND-Landesvorsitzende Susanne Gerstner sieht zudem die Gefahr, dass neue Fördervorhaben durch lange Laufzeiten die dringend notwendige Energiewende ausbremsen. „Das Vorhaben von One-Dyas wird die Meeresumwelt und das Weltnaturerbe Wattenmeer massiv beeinträchtigen. Hinzu kommen unkalkulierbare Risiken durch ein mögliches Austreten von Schadstoffen wie Bohrschlämmen sowie Erdbeben und Landabsenkungen“, sagte Gerstner und kritisierte die Erdgasförderpläne als „unverantwortlich“.

„Es ist einfach an der Zeit, nachhaltig umzudenken und nach wirklichen Lösungen zu suchen“, kritisierte auch Gerd-Christian Wagner (SPD), Vorsitzender der Schutzgemeinschaft Deutsche Nordsee (SDN) und Bürgermeister von Varel. Angesichts der neuen politischen Rahmenbedingungen gebe es aber von Seiten der SDN eine „gewisse Akzeptanz bei der kurzfristigen Lösungssuche“. Wagner forderte allerdings, dass die Gasförderung nahe dem Wattenmeer nicht Tür und Tor für eine zunehmende Industrialisierung der Nordsee öffnen dürfe. „Es ist sehr klar, dass die Insulaner dem Projekt ablehnend gegenüberstehen“, sagte Althusmann gestern und kündigte an, noch am selben Tag per Videokonferenz bei den betroffenen Kommunen um Verständnis und Unterstützung zu werben.