Sollen Menschen, die bereits zweimal gegen das Corona-Virus geimpft wurden, ihre bisher vom Staat begrenzten Freiheitsrechte zügig wieder wahrnehmen können? In einer von der CDU beantragten aktuellen Landtagsdebatte wurden dabei deutliche Unterschiede in der Koalition sichtbar. Der CDU-Rechtspolitiker Christian Calderone warnte vor einem Begriff der Solidarität „aus der Mottenkiste“: „Manche glauben, wir müssen am Ende alle Menschen gleich – gemeint ist dabei im Zweifel gleich schlecht – behandeln, und dann gibt es so etwas wie Gerechtigkeit. Das Gegenteil ist der Fall, denn Freiheit besitzen wir eben durch uns selbst und nicht durch den Staat.“ Jedermann könne nur so lange in diesen Rechten beschnitten werden, soweit und so lange es unbedingt erforderlich ist. Wenn aber klar sei, dass von einem Geimpften keine Ansteckungsgefahr mehr ausgehen könne, falle die Begründung für die Einschnitte weg.


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Dagegen meinte die SPD-Sozialpolitikerin Thela Wernstedt, es stimme zwar, dass die Freiheitsrechte für die demokratische Gesellschaft konstitutiv seien – „die Idee einer gerechten Verteilung der Freiheitsrechte ist es aber auch“. Da man noch nicht allen Impfwilligen auch Impfstoff anbieten könne, zeichne sich kluge Politik gegenwärtig auch durch ein vorsichtiges Agieren aus: „Wir müssen aufpassen, dass unterschiedliche Berechtigungen nicht zu großen gesellschaftlichen Konflikten führen.“

Ministerin verweist auf Ethikrat

Sozialministerin Daniela Behrens (SPD) zitierte den Deutschen Ethikrat, der in diesem Zusammenhang wichtige Hinweise gegeben habe. Erstens müssten Erkenntnisse gesichert sein, dass von zweifach Geimpften keine Ansteckungsgefahr ausgehe. Viel spreche dafür, dass dies so sei. Aber wie Wernstedt hervorgehoben hatte, zeige sich das Robert-Koch-Institut an dieser Stelle noch zurückhaltend.

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Zweitens, betonte Behrens, müssten alle Personen mit einem hohen Risiko einer schweren Erkrankung schon ein Impfangebot erhalten haben. Dies werde, so betonte die Ministerin, vermutlich Anfang Juni so weit sein. Derzeit seien 23,9 Prozent der niedersächsischen Bevölkerung zum ersten Mal geimpft, 6,5 Prozent schon zum zweiten Mal. Bereits jetzt gelte, dass die Geimpften den Getesteten gleichgestellt seien, was etwa den Zutritt zu bestimmten Veranstaltungen anbelangt. Wer vollständig geimpft ist, müsse sich auch nicht mehr testen lassen.

So lange nicht allen Menschen ein Impfangebot gemacht werden kann, sollten wir die unterschiedliche Behandlung von geimpften und nicht geimpften Menschen weitgehend vermeiden.

Nach Ansicht von Behrens liegt aber Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) mit seiner Einschätzung richtig: „So lange nicht allen Menschen ein Impfangebot gemacht werden kann, sollten wir die unterschiedliche Behandlung von geimpften und nicht geimpften Menschen weitgehend vermeiden.“ Der CDU-Abgeordnete Calderone hatte jedoch betont, hier könne es nicht um „Rückgabe“ von Rechten gehen, vielmehr sei für Geimpfte der Grund für die Beschränkung ihrer Rechte weggefallen.

Solidarität der jungen Menschen strapaziert

Mehrere Redner lobten ausdrücklich die differenzierte und abgewogene Argumentation in der Debatte. Helge Limburg (Grüne) unterstützte Calderones Darstellung, wonach die Wahrnehmung der Grundrechte schnell wieder möglich sein solle. Er verstehe gleichzeitig, dass die Solidarität der jungen Menschen strapaziert werde, wenn sie bei den Impfungen gegenüber älteren zurückgestanden hätten – und jetzt bei den Öffnungen wieder den Senioren den Vortritt lassen müssten. Die Lösung besteht für Limburg darin, auch für junge, noch nicht geimpfte Menschen jetzt schon zügig wieder die Teilnahme an größeren Veranstaltungen im Freien zuzulassen. „Völlig unverständlich“ sei überdies, warum bisher Zusammenkünfte in Seniorenheimen weiter untersagt bleiben, auch wenn dort schon alle Bewohner und die meisten Pflegekräfte geimpft worden sind. „Da sollte die Ministerin nicht nur Gespräche führen, sie muss hier mehr tun!“

Stefan Birkner (FDP) stellte sich auf die Seite von Calderone: „So schnell wie möglich müssen die Geimpften wieder ihre Grundrechte nutzen können!“ Auch die Gaststätten sollten wieder öffnen und Geimpfte bewirten können – und zwar schon dann, wenn die bisherige Landesverordnung am 9. Mai ausläuft. Die Hinweise der Bundesregierung, bis Ende Mai zu warten, überzeugten nicht. „Das Problem stellt sich jetzt sofort.“ Laut Birkner wird es auf Dauer auch nicht möglich sein, den negativ Getesteten ebenfalls den Besuch der Gaststätte zu verwehren. „Wir brauchen hier eine Test-Strategie der Regierung.“