Das Vorhaben war ambitioniert und nur wenige hatten daran geglaubt, dass der Plan von Umweltminister Olaf Lies (SPD) und Landwirtschaftsministerin Barbara Otte-Kinast (CDU) aufgehen könnte. Im Eiltempo wollten sie ein umfangreiches Gesetzespaket zum Naturschutz-, Wasser- und Waldgesetz nicht nur untereinander, sondern auch noch mit den wesentlichen Verbänden einen und schließlich zügig vom Parlament beschließen lassen. Getrieben vom Volksbegehren für mehr Artenvielfalt mussten rasch Kompromisse zwischen Umwelt- und Landwirtschaftsverbänden gefunden werden. Die endgültige Abstimmung musste zwingend noch in dieser Woche stattfinden, denn sonst hätten die Initiatoren des Volksbegehrens am Freitag die zweite Stufe des formalen Verfahrens angemeldet – die nötigen Stimmen dafür hatten sie längst.


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Doch gestern war es nun soweit: Einstimmig hat der Landtag den sogenannten „Niedersächsischen Weg“ für mehr Artenvielfalt beschlossen. SPD und CDU, FDP und Grüne stimmten dem Gesetzespaket zu, und sogar die fraktionslosen AfD-Politiker im Landtag unterstützen das Vorhaben bei zwei Enthaltungen. Entsprechend einmütig fiel auch die vorangegangene Beratung aus. Die Rede war von einem „historischen Tag“ (Marcus Bosse, SPD) und einem „einmaligen Vorgang“ (Martin Bäumer, CDU) sowie von „viel sachlichem Austausch“ (Miriam Staudte, Grüne). Die Redner bedankten sich wahlweise bei der Regierung, der Verwaltung, den Verbänden oder den Fraktionen.

Volle Zustimmung für die Artenschutz-Gesetze – Foto: nkw

Beschlossen wurden deutlich breitere Gewässerrandstreifen (mindestens drei statt bislang nur einen Meter), ein Totalverbot für das Pflanzenschutzmittel Glyphosat in Naturschutzgebieten, mehr Schutz für artenreiches Grünland sowie für Alleebäume und Hecken. Gut ein Sechstel der Landesfläche soll zu einem Biotopverbund werden, im Solling soll ein Wildnisgebiet entstehen, der Flächenverbrauch soll sukzessive reduziert werden auf drei Prozent bis 2030 und einem Netto-Null-Verbrauch bis 2050. Es wird ein Aktionsprogramm zum Insektenschutz aufgelegt und es werden Maßnahmen für den Schutz von Wiesenvögeln angestoßen. Hinzu kommt, dass die Landwirte für den Ausfall, den sie durch die Maßnahmen haben, angemessen entschädigt werden sollen. Ein Kompensationskataster soll das einheitlich regeln. Der CDU-Agrarpolitiker Helmut Dammann-Tamke nannte es ein „Maximum an Anreiz mit einem Mindestmaß an Ordnungsrecht“. Auch wenn sich die Grünen hier und da etwas anderes erhofft hatte (breitere Randstreifen, ein Verbot für Insektizide, mehr Kontrollen) jubilierte schließlich sogar Christian Meyer und kündigte an, seine Fraktion könne „sehr freudig zustimmen“ – Gewinner fand man an diesem Tag, wohin man nur schaute.

FDP kritisiert kurze Beratungszeit

Kritik am Verfahren kam jedoch von der FDP-Fraktion. Deren Fraktionschef Stefan Birkner lobte zwar, dass hier Naturschutz mit den Menschen auf den Weg gebracht werde. Dass man dem Gesetzgebungs- und Beratungsdienst des Landtages aber keine weiteren vier Wochen zur genaueren Prüfung der Gesetzestexte einräumen konnte und wollte, hält er für „nicht akzeptabel“. Inhaltlich rügte Birkner zudem den Beschluss, die Maßnahmen des „Niedersächsischen Weges“ nun über die Erhöhung der Wasserentnahmegebühr zu finanzieren.

Auch sein Fraktionskollege Hermann Grupe sagte, es sei nicht hinnehmbar, dass Nabu und Grüne den Landtag hier so unter Druck gesetzt hätten. Ein ausdrückliches Lob erteilte Grupe, der selber Landwirt ist, allerdings dem BUND: „Der BUND hat nach allem, was wir wissen, eine äußerst konstruktive Rolle gespielt im Verfahren. Dank für diese wahren Umweltschützer!“

Versöhnung mit Nabu-Chef Buschmann?

Während sich der BUND eindeutig für den kooperativen Weg entschieden hatte, wurde dem Nabu in den vergangenen Monaten wiederholt ein doppeltes Spiel vorgeworfen. Dies drückte sich in heftiger öffentlicher Kritik an der Person des Nabu-Landeschefs Holger Buschmann aus. Umso bemerkenswerter war deshalb die gestrige Rede des naturschutzpolitischen Sprechers der SPD-Fraktion, Axel Brammer.

„Wenn wir uns fragen würden, wie hätten wir uns in seiner Lage als Landesvorsitzender eines Naturschutzverbandes verhalten, würden wir vermutlich sagen: genau wie er“, sagte Brammer und fügte hinzu, dass er selbst dafür wohl zu feige gewesen wäre angesichts der Anfeindungen, die Buschmann aus der Regierung, den Fraktionen und den Verbänden (auch aus den eigenen Reihen) ertragen musste. Brammer nahm Buschmann damit auch vor seiner eigenen Fraktionsvorsitzenden Johanne Modder in Schutz, die den Nabu-Chef im Sommer scharf kritisiert hatte.

Initiatoren erklären Volksbegehren für beendet

Wie geht es nun weiter? Die erste Konsequenz aus der Entscheidung des Landtags vollzog sich direkt im Anschluss an die Abstimmung. Nur wenige Gehminuten vom Parlamentsgebäude entfernt gaben die Initiatoren des Volksgehrens bekannt, die Sammlung von Unterschriften nicht fortzusetzen. Anne Kura, Vorsitzende der niedersächsischen Grünen, sprach von einem großen Erfolg für alle Naturschützer.

Es war in der Tat ein doppelter Erfolg: Zum einen konnten die Initiatoren die erstaunliche Zahl von 138.118 Unterschriften bekanntgeben – mehr als sechsmal so viel wie zu diesem Zeitpunkt erforderlich gewesen wären. Zum anderen konnten sie ihre wesentlichen Ziele noch schneller umsetzen, als sie anfänglich erwartet hatten. Hanso Janssen, Kuras Tandempartner an der Spitze der Grünen, beteuerte, es gebe in den Reihen der Unterstützer des Volksbegehrens nur Einzelne, die noch enttäuscht seien. Den größten Teil habe man aber von den Ergebnissen des „Niedersächsischen Weges“ überzeugen können.

Ein voller Erfolg – und nun abgesagt: Das Volksbegehren zum Artenschutz – Foto: nkw

Bereits in der Landtagsdebatte hatte Miriam Staudte, Agrarpolitikerin der Grünen, dafür geworben, die lokalen Aktionsbündnisse, die sich für das Volksbegehren eingesetzt haben, nun weiterzuentwickeln. Künftig sollten die engagierten Naturschützer an der Umsetzung der Ergebnisse des „Niedersächsischen Weges“ beteiligt werden, schlug Staudte vor.

Diese Idee traf auch bei Nabu-Chef Buschmann auf offene Ohren. Er sagte, es sei auch sein Wunsch, dass die Aktionsgruppen eingebunden werden. Außerdem sei noch viel zu tun, bekräftigte Buschmann. Am heutigen Mittwoch stehe etwa der Wolf erneut auf der Tagesordnung des Landtags – hier sieht der Nabu den Artenschutz in Gefahr, sollte dieser zum Abschuss freigegeben werden. Gleiches gelte für die Nonnengans, die zwar EU-rechtlich geschützt sei, aber für die man in Niedersachsen Jagdzeiten zugeteilt hatte. „Das Thema Artenschutz bleibt“, so Buschmann.

Auch die Regierung sieht mit dem gestrigen Beschluss den „Niedersächsischen Weg“ noch nicht am Ende angelangt. Agrarministerin Otte-Kinast erklärte, man stehe nun erst am Beginn eines neuen Weges, und Umweltminister Lies verwies auf weitere Akteure, die in den Gesellschaftsvertrag nun eingebunden werden müssten: Kunden, Handel, Verarbeiter und Vermarkter müsse man nun mit ins Boot nehmen und letztlich könne jeder Niedersachse selbst etwas beitragen, beispielweise durch das kaufen von saisonalen und regionalen Produkten oder das Vermeiden von Plastikhecken und Schottergärten. Man solle nicht glauben, dass man durch die Unterschrift auf dem Marktplatz etwas für den Artenschutz getan habe – dafür müsse man letztlich auch zuhause sein Handeln verändern, so der Minister.

Von Niklas Kleinwächter