Niedersachsen ist nun wahrlich nicht gepflastert mit Experten, die sich in der jüngeren Landesgeschichte gut auskennen und dort viel zu erzählen hätten. Das mag auch daran liegen, dass es zwar immer mal wieder Wellen gibt, in denen die Vergangenheit des Landes in den Blickpunkt gerät. In diesem Jahr beispielsweise, zum 75. Landesjubiläum. Aber diese ebben auch immer wieder rasch ab. Was zurück bleibt, ist sehr überschaubar.

Foto: stockcam/Getty Images, Stadt Hannover

Landesgeschichte macht sich auch an Figuren fest – und eine davon steht diese Woche im Fokus der Betrachtung. Am 16. April wird Rolf Zick, der Nestor des niedersächsischen Journalismus, 100 Jahre alt. Vor ein paar Jahren, als der neue Vorstand der Landespressekonferenz (LPK) gewählt worden war, richtete Ehrengast Zick noch einen Gruß an die versammelte Journalistenschar: „Ich lade Euch alle ein, 2021 gemeinsam mit mir meinen 100. zu feiern.“ Das hartnäckige Corona-Virus sorgt dafür, dass diese Feier später nachgeholt werden muss.

Der lange Schatten der Nazi-Zeit

Manchen dürfte das durchaus gelegen kommen, denn immer noch ungeklärt scheint ein Vorgang, der im vergangenen Sommer Diskussionen auslöste. Ein Historiker fand in den Karteikästen der NSDAP, die im Bundesarchiv lagern, einen Hinweis auf die Parteimitgliedschaft von Zick, die dieser 1939 als 18-Jähriger abgeschlossen habe. Ein Aufnahmeformular fehlt noch, und Zick selbst erklärte später, sich an einen Parteibeitritt nicht zu erinnern. Diese Darstellung teilte das interessierte Publikum in mehrere Lager. Die einen sagten, Zick agiere unglaubwürdig, leugne seinen Schritt und schöne seinen Lebenslauf – damit mache er seine gesamte publizistische Arbeit angreifbar. Die anderen verweisen auf die Hektik der damaligen Zeit und die merkwürdigen Praktiken der Nazis, sie halten es für nachvollziehbar, dass er wider eigenes Zutun in die Mitgliedskartei aufgenommen wurde. Die „Gefolgschaft“ sei so stark überhöht und von formalen Schritten überwölbt worden, dass die Gefolgten davon womöglich gar nichts bemerkt haben könnten. Das wäre nicht das erste Mal, dass so etwas bekannt wird – andere Prominente hatten sich ähnlich erklärt.

Er suchte die Verständigung und das Gespräch

In jedem Fall zeigt diese Debatte, wie widersprüchlich alle Menschen sind – und wie wenig ein paar wenige Sätze reichen, ein bewegtes Leben zu beschreiben. Der 100. Geburtstag indes bietet Gelegenheit, die besondere Rolle von Rolf Zick in der Landespolitik nach 1946 zu skizzieren. Er, der im hohen Alter geistig hellwach und fähig zu spontan druckreifen Aussagen ist, begleitet seit 60 Jahren das Geschehen im Landtag – erst als Journalist für den Nord-Report, der lange nach seinem Ausscheiden mit dem Rundblick fusionierte und damit eine Wurzel des Politikjournals beschreibt, im Ruhestand dann als Buchautor und gern gesehener Gast in verschiedenen Sendungen, bei Vorträgen und Diskussionen.

Man kann ihn wohl einen Konservativen nennen, der CDU und FDP stets näher gestanden hat als SPD und Grünen. Aber Zick bewahrte sich über viele Jahre davor, allzu eifrig aufzutreten oder gar missionarisch, er suchte die Verständigung und das Gespräch. Er zeigte meistens Offenheit gegenüber anderen Meinungen – wenn auch der Zweifel in seinen Beschreibungen keinen großen Raum erhielt. Zick wurde auch deshalb vertrauenswürdig, weil ihm wichtig war, von allen Seiten akzeptiert und als journalistische Instanz ernst genommen zu werden. Wenn er charakterisiert wird, dann häufig als „liebenswürdiger älterer Herr“, der bereitwillig Auskunft gibt – und den man eben deshalb auch gern fragt. Viele Jahre lang hat er die LPK als Vorsitzender geleitet, und mit seinen charakteristischen Eigenschaften galt er als Idealbesetzung.

Zick wurde auch deshalb vertrauenswürdig, weil ihm wichtig war, von allen Seiten akzeptiert und als journalistische Instanz ernst genommen zu werden.

Aus der Zickschen Art wurde zuweilen abgeleitet, er sei ein objektiver Beobachter und stehe quasi über den Parteien und den Streitfragen. Das trifft natürlich nicht zu, und in verschiedenen Büchern ließ er durchaus seine Meinung unmissverständlich anklingen – beispielsweise in den siebziger und achtziger Jahren, als ihm links stehende Journalisten mit ihrem investigativen Ansatz erkennbar auf die Nerven gingen. Zick war nie eine „neutrale Instanz“, auch wenn er oft den Anschein erweckte. An dieser Stelle hieß es einmal über ihn: „Zick hat als Journalist stets der Wiedergabe von Fakten, Abläufen und Daten großen Raum gegeben, die Analysen verblassten hinter den Anekdoten.“ Er gefiel sich in der Rolle des Chronisten, der sich jeder Kommentierung enthalten will – um eben dadurch auch zu kommentieren. Immerhin widerstand der „Journalist alter Schule“ trotz seines Standpunktes und seiner politischen Verortung der Versuchung, der andere landespolitische Berichterstatter in Niedersachsen erlegen waren, sich nämlich in die Rolle von Beratern der Politiker oder der von Einflüsterern zu begeben.

Einflussnahme hat er nie bewusst angestrebt

Ob Zick durch seine Art, zu berichten, trotz dieser Zurückhaltung dennoch politische Prozesse befördert oder gelenkt hat, lohnt sicher eine Untersuchung. Auf jeden Fall darf man ihm unterstellen, dass er einen Einflussnahme nie bewusst angestrebt hat. Womöglich ist dies und seine bis in diese Tage aktuelle Menschenfreundlichkeit und Höflichkeit der Grund dafür, warum er sich großer Beliebtheit erfreuen kann. Zum 100. zeigt er sich durchaus nachdenklich über den Bedeutungsverlust seiner Zunft und immer größere Bevölkerungsteile, die stärker als früher geneigt sind, auch den größten Unsinn zunächst durchaus für wahr zu halten. Dem Wächteramt der Journalisten wird oft nicht mehr getraut.

Und der Streit über seine Mitgliedschaft in der NSDAP? Das Lebenswerk dieses Mannes in den vergangenen 60 Jahren, das so eng mit der landespolitischen Entwicklung zu tun hat, ist viel zu groß, als dass sein Verhalten in der NS-Zeit bei der aktuellen Ehrung übermäßig ins Gewicht fiele. Sicher, vielleicht erscheint Zick nach Bekanntwerden dieser Nachricht etwas weniger als jemand, der ohne Verdrängung, ohne subjektive Fehler und ohne Fehleinschätzungen in wichtigen Fragen wirken kann. Vielleicht wird man seine Texte etwas vorsichtiger lesen, mit der Frage verknüpft, ob er neben den vielen erwähnten Details doch wichtige Gesichtspunkte vergessen haben könnte. Oder ob sein Grundansatz zu einseitig ist. Aber das wäre nicht nachteilig für ihn, sondern würde ihn im Gegenteil menschlicher machen. Denn das markiert ja die Größe eines Zeitzeugen: dass er, trotz allem Bemühen um eine gerechte Sicht der Dinge, am Ende immer subjektiv entscheidet. (kw)