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Auch die Verfassungsrechtler selbst sind in dieser Frage gespalten, wie am Montagnachmittag und -abend eine Anhörung im neugegründeten Corona-Ausschuss des Landtags zeigte. Die hannoversche Professorin für Öffentliches Recht, Frauke Brosius-Gersdorf, vertrat die am weitesten gehende Position. Es handele sich bei den Einschnitten in Grundrechte, die derzeit vom Sozialministerium verfügt werden, um sehr tiefgreifende Schritte. Wenn der Landtag eine Kompetenz zur Rechtsetzung habe, dann dürfe er diese nicht „auf andere abwälzen“. Da die Rechtsgrundlage aller bisherigen Einschränkungen im Infektionsschutzgesetz des Bundes bestehe, sei die Ansicht verbreitet, eigentlich sei die Corona-Politik wohl Bundessache. Doch Brosius-Gersdorf erklärte, das sei eine Fehleinschätzung: „Die Beschränkung der Grundrechte wird nicht vom Bund ausgesprochen, der Bund gibt den Ländern nur eine Ermächtigung. Die Landesregierungen sind es, die hier gehandelt haben.“ Daher folge aus dieser Konstellation nicht nur das Recht des Landtags, als Volksvertretung diese weitgehenden Grundrechtsbeschränkungen seiner eigenen Regierung zu regeln, sondern sogar eine Pflicht. Nach Meinung der hannoverschen Rechtsprofessorin sagt dies aber noch nichts darüber aus, wie weit das Parlament mit eigenen Beschlüssen die Detailregelungen der Corona-Verordnungen mitbestimmen soll.
Landtag soll nicht mit Regierung wetteifern
Von anderer Seite werden eher verhaltene Stimmen laut. So meint der Göttinger Privatdozent Alexander Thiele, der Landtag solle nicht mit der Landesregierung wetteifern und versuchen, möglichst schnell jeden Winkelzug der Verordnungen selbst bestimmen zu wollen. Wenn sich der Landtag stärker in die Corona-Politik einbringen solle, dann in seiner typischen, spezifischen Art, nämlich in einem entschleunigten, auf Gründlichkeit und breite Beteiligung verschiedener Interessen angelegten Prozess. So könne man prüfen, ob im Schulrecht oder im Versammlungsrecht die Vorschriften „pandemiefest“ sind, also genügend Möglichkeiten für schnelle Reaktionen auf Krisen gegeben sind. Grundsätzlich findet es Thiele wichtig, jetzt die Parlamente stärker einzubeziehen – denn es habe „Schwankungen“ in der Erwartungshaltung der Bevölkerung gegeben. Anfangs, im Frühjahr, habe eine große Mehrheit gemeint, jetzt sollten die Regierungen schnell und klar entscheiden, mittlerweile wachse der Bedarf an einer stärkeren parlamentarischen Begleitung und gerichtlichen Würdigung. Wie die Landtagsbeteiligung geschehe, sei nicht so wichtig – wichtig für die Legitimation der politischen Entscheidungen sei, dass es eine solche Beteiligung gebe und im Parlament unterschiedliche Stimmen laut werden. Dabei warnt Thiele nun vor einer „Verwischung der Verantwortlichkeiten“ – der Landtag solle nichts an sich reißen, für das die Exekutive verantwortlich sei. Die Göttinger Verwaltungsrechtlerin Prof. Angela Schwerdtfeger sieht mehrere Möglichkeiten, wie der Landtag stärker Einfluss nehmen könnte – über ein Vetorecht bei jeder Regierungsverordnung beispielsweise. Es sei sinnvoll, so vorzugehen – und es sei auch geboten.Experten sind uneins
Skeptisch bleiben hingegen Prof. Jörn Ipsen von der Uni Osnabrück, der nicht etwa in einer mangelhaften Parlamentsbeteiligung ein Problem der Corona-Politik sieht, sondern darin, „dass eine nicht geringe Gruppe den Sinn der Beschränkungen nicht begreifen will“. Der Staat habe seit Ende der siebziger Jahre den Auftrag, die Bevölkerung zu schützen, die Regierung erfülle diese Aufgabe. Der Rechtsanwalt Christian Johann bezweifelt überdies, dass der Landtag so einfach tätig werden kann. „Dies ist nur im engen Rahmen des Infektionsschutzes möglich“, meint er.