Bundeskanzler Willy Brandt in Niedersachsen mit DDR-Spion Günter Guillaume auf einer Wahlkampfreise in Niedersachsen 1974. | Foto: Bundesarchiv

Die Schulpolitik – die ist immer für eine Aufregung gut. Und der gegenwärtig hohe Wert der Unterrichtsausfälle, den Kultusminister Grant Hendrik Tonne (SPD) kürzlich verkünden musste, liefert eigentlich den perfekten Stoff für einen Landtagswahlkampf, der die Schule in den Mittelpunkt rückt. Doch dies scheint derzeit nicht der Fall zu sein. Als die Lehrergewerkschaft GEW kürzlich eine Umfrage zur Bedeutung der Schulpolitik vorstellte, berichtete sie von gerade mal 40 Prozent der Befragten, die „wichtig oder sehr wichtig“ antworteten. Das ist alles andere als überragend. Tatsächlich überlagert die Bundespolitik diesen Landtagswahlkampf stärker als vielen engagierten Landespolitikern wohl lieb sein mag – angefangen vom Ukraine-Krieg über die Gas-Knappheit und die Sorge vor einem Energie-Kollaps bis zur Preisexplosion. Vor allem die Inflation ist es, die die Menschen gerade umtreibt. Der Einfluss der Landespolitik auf die Inflation bleibt indes begrenzt.

Wenn man den Verlauf und die Prägung der vergangenen niedersächsischen Landtagswahlen näher betrachtet, gibt es ganz viele Beispiele nicht nur für den Einfluss der Bundespolitik auf die Entscheidung, sondern für eine direkte Überlagerung:

1974: Ein paar Monate vor der Landtagswahl war die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Wilfried Hasselmann siegesgewiss, was auch an die Erfolgsserie der Partei bei Landtagswahlen in anderen Bundesländern lag. Die sozialliberale Koalition unter Kanzler Willy Brandt befand sich in einer Krise – die Folgen des Ölpreisschocks waren spürbar. Dann wurde Ende April der Kanzler-Referent Günter Guillaume als DDR-Spion enttarnt. Brandt trat am 7. Mai als Kanzler zurück, die sozialliberale Koalition wählte Helmut Schmidt am 16. Mai zum Nachfolger. Drei Wochen später war die Landtagswahl, und die SPD konnte den Schwung des Kanzlerwechsels zur eigenen Profilstärkung nutzen – am Ende verloren die Sozialdemokraten 3,2 Prozentpunkte, die CDU legte im gleichen Umfang zu. SPD und FDP konnten mit einem Mandat Vorsprung eine Regierung bilden.

1982: Die Landtagswahl im sechsten Regierungsjahr von Ernst Albrecht stand ganz im Zeichen der Bundespolitik. Die SPD war in ihrer Haltung zur Atompolitik nach links gerutscht, außerdem in der Verteidigungspolitik. Kanzler Helmut Schmidt drohte aus eigenen Reihen die Unterstützung für die Nato-Nachrüstung zu verlieren. Die CDU legte zwei Prozentpunkte zu auf 50,7 Prozent, die SPD unter Karl Ravens verlor 5,7 Prozentpunkte auf 35,5 Prozent.

Quelle: Grüne-Landtagsfraktion

1986: Der Schatten der Tschernobyl-Katastrophe von Ende April lag über der Landtagswahl, die am 15. Juni stattfand. Für die SPD trat Gerhard Schröder an und wagte erstmals eine offene Annäherung an die Grünen. In Bonn war Kanzler Helmut Kohl schon knapp vier Jahre im Amt. Ernst Albrecht, damals zehn Jahre Ministerpräsident, verlor bei der Landtagswahl 6,4 Prozentpunkte, die SPD legte zu. Aber es reichte zur Bildung einer Koalition aus CDU und FDP.

1990: Die Landtagswahl wurde überschattet von weltpolitischen Ereignissen – der Ostblock war zusammengebrochen, in der DDR war das SED-Regime gestürzt worden. Die ersten Schritte zur Annäherung zwischen Bundesrepublik und DDR wurden gegangen, obwohl im Frühjahr und Frühsommer 1990 die nahende Wiedervereinigung von den Politikern noch nicht thematisiert wurde. In Niedersachsen kandidierte Ernst Albrecht (nach 14 Amtsjahren) erneut, er versprach einen Wechsel zu Rita Süssmuth in der Mitte der Wahlperiode. Am Wahlabend verlor die CDU 2,3 Prozentpunkte, die SPD gewann im gleichen Umfang hinzu – und es reichte am Ende für einen knappen Vorsprung von Rot-Grün.

1998: Nach der SPD-Alleinregierung (seit 1994) hatte Gerhard Schröder seine Machtposition in der niedersächsischen SPD enorm gefestigt, für die CDU versuchte es Christian Wulff ein zweites Mal. Die Politik war das ganze Jahr über fixiert auf die Bundestagswahl im Herbst, bei der Helmut Kohl nach 16 Amtsjahren ein weiteres Mal antreten wollte. In der SPD war unklar, ob der – als linker Flügelmann geltende – Oskar Lafontaine, oder der – als Kandidat der Mitte gepriesene – Gerhard Schröder die Kanzlerkandidatur übernehmen sollte. Gerhard Schröder erklärte die Landtagswahl zur Vorentscheidung über die Frage, wer für die SPD Kanzler werden soll. Schröder sagte, er stehe für eine Bewerbung ums Kanzleramt nicht zur Verfügung, wenn er bei der Landtagswahl mehr als zwei Prozentpunkte einbüßen sollte. Am Ende legte die SPD 3,6 Prozentpunkte hinzu, die CDU verlor 0,5 Prozentpunkte. Damit war Schröders Kanzlerkandidatur gesichert, Lafontaine zog zurück.

Christian Wulff auf einem Wahlplakat von 1998. | Quelle: Konrad-Adenauer-Stiftung

2003: Nach der Bestätigung von Rot-Grün bei der Bundestagswahl im Herbst 2002 war der Start des neuen Kabinetts von Gerhard Schröder holprig, noch dazu gab es Streit in der niedersächsischen SPD über die Frage, ob es eine Vermögenssteuer geben soll (was Ministerpräsident Sigmar Gabriel wollte) oder nicht (was Kanzler Schröder nicht nur dachte, sondern kurz vor der Wahl auch in einem Fernsehinterview deutlich äußerte). Die Landtagswahl brachte erdrutschartige Verluste von 14,5 Prozent für die SPD, die nach 13 Jahren die Macht abgeben musste. Christian Wulff und die CDU hatten 12,4 Prozent hinzugewonnen.