Bangemachen gilt nicht, auch wenn die Situation in den Innenstädten alles andere als einfach ist – erst recht in Zeiten der Pandemie. Leerstände, Sanierungsstau, starker Onlinehandel, demographischer Wandel, Fachkräftemangel: Regionalministerin Birgit Honé zählte vergangene Woche bei einer Veranstaltung ihres Ministeriums die aktuellen Probleme der Innenstädte auf. Sie alle sind nicht neu und nicht allein eine Corona-Folge.

Birgit Honé, Frank Osterhage, Professor Axel Priebs und Moderator Martin Brüning (v.r.n.l.) – Foto: MB Niedersachsen

Die Pandemie komme als Brandbeschleuniger noch oben drauf, sagte Honé. Sie ist überzeugt: „Die Städte werden in wenigen Jahren ganz anders aussehen, als wir sie heute kennen.“ Der Experte spricht dabei unter anderem von „Multifunktionalität“ und „Multimodalität“. Der Experte war in diesem Fall Frank Osterhage vom Dortmunder Institut für Landes- und Stadtentwicklungsforschung. Seinen Ergebnissen zufolge wird in der Zukunft der Fokus nicht mehr so stark auf dem Handel liegen. Die Gastronomie, das medizinische Angebot und auch das Wohnen werden in den Innenstädten eine größere Rolle spielen. Shopping wird nicht die zentrale Funktion bleiben.

Multimodal wird nach Meinung Osterhages die künftige Frage der Mobilität. Das Auto werde weiterhin eine Rolle spielen, aber auch Busse, Bahnen und E-Bikes müsse man stärker einplanen. Ganz wichtig sei die Aufenthaltsqualität. „Die Menschen müssen sich wieder wohl fühlen, es muss ihnen Spaß machen, sich dort aufzuhalten“, erklärte Osterhage. Es gehe um das vielzitierte „Flair“.

Die Menschen müssen sich wieder wohl fühlen, es muss ihnen Spaß machen, sich dort aufzuhalten.

Genau das ist in den vergangen Jahren häufig etwas vernachlässigt worden, stellte Professor Axel Priebs fest. Er ist Vizepräsident der Akademie für Raumentwicklung in Hannover und war langjähriger Baudezernent in der Region Hannover. Er schlug vor, sich künftig an den Shopping-Centern zu orientieren. „Dort wird alle fünf Jahre alles neu gemacht, so müsste man es eigentlich in den Innenstädten auch machen“, sagte Priebs in der Online-Veranstaltung des Ministeriums. Wenn die Schaukelpferdchen in den Innenstädten traurig die Köpfe hängen ließen, es keine Toiletten oder Sitzmöglichkeiten gebe, dann sei das nicht so attraktiv. „Das hat man häufig sträflich vernachlässigt“, kritisierte Priebs.

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Seiner Beobachtung zufolge haben vor der Pandemie nur wenige Städte strategisch gearbeitet. Als positives Beispiel hob er Verden hervor. Die Stadt habe schon 2007 damit begonnen, an ihrer Innenstadt zu arbeiten und ein Wachstumskonzept erstellt.

Für breite Teile der Bevölkerung gehört das Shopping über das Internet zum festen Bestandteil des Einkaufverhaltens.

Das große Gespenst der Innenstädte ist immer wieder der Online-Handel, der auch in dieser Diskussion ein zentrales Thema war. Alle Teilnehmer waren sich allerdings einig: Das Einkaufen im Internet wird sich nicht mehr ändern, der Online-Handel werde weiterhin ein wichtige Rolle bei den Konsumenten spielen.

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Es sei beeindruckend, wie sich der Online-Handel innerhalb einer Dekade verbreitet habe, meinte Osterhage. „Für breite Teile der Bevölkerung gehört das Shopping über das Internet zum festen Bestandteil des Einkaufverhaltens.“

Das Haptische, das Erleben sollte man nicht unterschätzen. Der stationäre Einzelhandel hat eine Zukunft, muss aber an sich arbeiten.

Dabei spiele es keine Rolle, wie alt die Konsumenten seien und ob sie auf dem Land oder in der Stadt wohnten. Steht der stationäre Handel dem völlig chancenlos gegenüber? Keinesfalls, meinte Axel Priebs. „Das Haptische, das Erleben sollte man nicht unterschätzen. Der stationäre Einzelhandel hat eine Zukunft, muss aber an sich arbeiten“, sagte der Raumplanungsexperte. Und es gibt genug zu tun: Die aktuelle Online-Präsenz des stationären Handels hält Priebs überwiegend für eine Katastrophe. „Da fehlt es an jedem Verständnis dessen, was man erreichen kann“, meinte er. 

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Das Land versucht, gegen die Probleme anzufördern und vor allem den kleinen und mittelgroßen Städten unter die Arme zu greifen. Honé findet es wichtig, gerade auf die Städte zu schauen.  Man habe lange auf die Dörfer gesehen, die Städte habe niemand in den Blick genommen. Dabei spielten gerade sie eine wichtige Rolle im ländlichen Raum. Beim Förderprogramm  „Zukunftsräume Niedersachsen“ gibt es der Ministerin zufolge eine „gewaltige Nachfrage“, das liege auch an den sehr breiten Fördermöglichkeit, die vom „Co-Working-Space“ über die Zwischennutzung von leerstehenden Geschäften bis hin zu neuen Logistiklösungen für die Innenstadt reichten.

Honé sieht Gewinnerwartungen von Eigentümern als „Riesenproblem“

„Alles kann erprobt werde. Das ist auch notwendig, weil wir komplett neu denken müssen“, meinte Honé. Manchmal stößt man aber auch an die Grenzen des Möglichen. So geraten Städte immer wieder mit den Eigentümern von Innenstadt-Immobilien aneinander. Hier sieht Honé ein „Riesenproblem“. Es gebe in Teilen auch „ganz übertriebene Gewinnerwartungen“, man habe es manchmal mit Spekulation zu tun.

Ein weiteres Thema, mit dem die Städte gerade zu kämpfen haben. Wie vielschichtig die Probleme sind, ging aus den zahlreichen unterschiedlichen Fragen der Teilnehmer hervor. Insgesamt waren 180 kommunale Vertreter und Fachleute aus der Stadt- und Regionalentwicklung bei der Online-Konferenz dabei. „Es gibt keine vorgefertigten Lösungsschemata“, erklärte Honé, aber einen allgemeingültigen Tipp gab es schon, er erreichte die Teilnehmer in einer Mail der Stadt Einbeck: „Aufgrund der Individualität der jeweiligen Kommunen ist es wichtig, seine eigene Marke oder ein Alleinstellungsmerkmal herauszuarbeiten und dies nach außen attraktiv zu machen.“

Von Martin Brüning